HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 806
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 7/22, Beschluss v. 05.07.2022, HRRS 2022 Nr. 806
Die weiteren Beschwerden der Generalstaatsanwaltschaft gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 16., 17. und 18. November 2021 werden verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel und die den Beschwerdeführern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
I. Die Generalstaatsanwaltschaft München führt ein Ermittlungsverfahren unter anderem gegen die drei Beschuldigten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit von Mandatsträgern und der Steuerhinterziehung (Dr. N. und S.) sowie des Verdachts der Bestechung von Mandatsträgern und der Beihilfe zur Steuerhinterziehung (L.). Gegenstand des Verfahrens ist die entgeltliche Mitwirkung der Beschuldigten, darunter die Parlamentsabgeordneten Dr. N. und S., und mehrerer Mitbeschuldigter an der Veräußerung von Schutzmasken (Mund-Nase-Bedeckungen) an staatliche Stellen zu Beginn der Covid-19-Pandemie.
II. In dem Ermittlungsverfahren hatte die Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten L. sowie Durchsuchungen und Vermögensarreste gegen alle drei Beschuldigten angeordnet. Auf deren Beschwerden haben verschiedene Strafsenate des Oberlandesgerichts mit den drei angefochtenen Beschlüssen insbesondere über die Haft- und Arrestanordnungen befunden. Soweit die Entscheidungen für das Verfahren der weiteren Beschwerde von Bedeutung sind, haben sie nachfolgenden Inhalt:
Am 24. März 2021 hatte die Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts gegen den Beschuldigten L. Haftbefehl erlassen, den sie am 1. April 2021 außer Vollzug gesetzt hatte. An diesem Tag hatte sie des Weiteren einen Arrest über einen Betrag von 1.753.798,78 € in das Vermögen des Beschuldigten angeordnet. Auf seine Beschwerde hat der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 18. November 2021 (7 StObWs 1-3/21) sowohl den Haftbefehl als auch den Arrest aufgehoben.
Am 15. März 2021 hatte die Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts einen Arrest über einen Betrag von 660.000 € in das Vermögen des Beschuldigten Dr. N. angeordnet. Auf seine Beschwerde hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 16. November 2021 (6 St 4-5/21 [9]) die Maßnahme aufgehoben.
Am 12. März 2021 hatte die Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts einen Arrest über einen Betrag von 1.243.000 € in das Vermögen des Beschuldigten S. angeordnet. Auf seine Beschwerde hat der 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 17. November 2021 (8 St 3/21, 8 St 4/21) die Maßnahme aufgehoben. Zugleich hat der Strafsenat das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Vermögensarrestes wegen des Verdachts anderer Straftaten, namentlich der Steuerhinterziehung, und über die Kosten des Rechtmittels an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts München verwiesen.
III. Die Strafsenate des Oberlandesgerichts haben ihre Entscheidungen im Kern übereinstimmend darauf gestützt, dass hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit bzw. Bestechung von Mandatsträgern gemäß § 108e Abs. 1 oder 2 StGB gegen die drei Beschuldigten kein die jeweiligen Strafverfolgungsmaßnahmen rechtfertigender Verdacht mehr bestehe. Das den Beschuldigten nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis anzulastende Verhalten erfülle die Tatbestände dieses Strafgesetzes nicht. Hinsichtlich der verbleibenden Vorwürfe der (Beihilfe zur) Steuerhinterziehung und gegebenenfalls weiterer Delikte haben der 7. und 8. Strafsenat mangels eines gegen die Beschuldigten L. und S. bestehenden Anfangsverdachts im Sinne von § 108e StGB die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120b Satz 1 GVG und damit ihre Sachentscheidungskompetenz als Beschwerdegericht verneint. Der 6. Strafsenat hat einen auf den Verdacht der Steuerhinterziehung gestützten Arrestanspruch gegen den Beschuldigten Dr. N. abgelehnt, weil dieser die Umsatzsteuer zwischenzeitlich vollständig nachentrichtet habe, so dass insoweit die Wertersatzeinziehung nach §§ 73, 73c StGB ausscheide.
IV. Gegen die Aufhebung des gegen den Beschuldigten L. erlassenen Haftbefehls und der Vermögensarreste wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft mit ihren weiteren Beschwerden. Sie greift insbesondere die in den drei angefochtenen Beschlüssen dargelegte rechtliche Würdigung zu § 108e Abs. 1 und 2 StGB an, indem sie eine zu enge Auslegung der Strafnorm beanstandet. Daneben erachtet sie unabhängig vom Vorliegen eines derartigen Anfangsverdachts in dem von ihr geführten Ermittlungsverfahren die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts für den Vorwurf der Steuerstraftaten als begründet.
V. Die Strafsenate des Oberlandesgerichts haben den weiteren Beschwerden mit Beschlüssen vom 23., 24. und 25. November 2021 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt hat mit der beim Bundesgerichtshof am 11. März 2022 eingegangenen Zuschrift die Verwerfung der Rechtsmittel beantragt. Mit vertiefender Begründung ist er der Rechtsmeinung der Strafsenate des Oberlandesgerichts in den entscheidungserheblichen Punkten beigetreten.
Die weiteren Beschwerden der Generalstaatsanwaltschaft sind wirksam auf die Anfechtung der Aufhebung der gegen den Beschuldigten L. angeordneten Untersuchungshaft und der genannten Vermögensarreste beschränkt. Die Rechtsmittel sind gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StPO (L.) bzw. § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO (Dr. N. und S.) statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO). Sie richten sich gegen Beschlüsse, die das nach § 120b Satz 1 und 2 i.V.m. § 120 Abs. 3 GVG zuständige Oberlandesgericht auf die Beschwerden der Beschuldigten (§ 304 Abs. 5 StPO) erlassen hat, und haben eine Verhaftung sowie Vermögensarreste jeweils über einen Betrag von mehr als 20.000 € zum Gegenstand (zur Statthaftigkeit der weiteren Beschwerden im Fall von Beschwerdeentscheidungen, die eine entsprechende Haft- oder Arrestanordnung aufgehoben haben, vgl. BeckOK StPO/Cirener, 43. Ed., § 310 Rn. 6, 9; KKStPO/Zabeck, 8. Aufl., § 310 Rn. 10, 13).
Die Rechtsmittel bleiben allerdings in der Sache ohne Erfolg. Im Hinblick auf den Vorwurf der Bestechlichkeit bzw. Bestechung von Mandatsträgern liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls oder die Anordnung eines Vermögensarrestes nicht vor, weil insoweit - vornehmlich aus rechtlichen Gründen - gegen die Beschuldigten kein einfacher Verdacht (mehr) besteht (nachfolgend I.). Auf den Vorwurf der (Beihilfe zur) Steuerhinterziehung oder der Verletzung eines anderen Strafgesetzes können die Maßnahmen mangels Sachentscheidungskompetenz des Oberlandesgerichts (§ 120b Satz 1 GVG), damit auch des Senats als Gericht der weiteren Beschwerde, nicht gestützt werden (unten II.). Soweit der 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Arrestes in das Vermögen des Beschuldigten S. wegen des Verdachts anderer Straftaten und über die Kosten des Rechtmittels an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts München verwiesen hat, unterliegt die Entscheidung nicht der durch das Rechtsmittel veranlassten Prüfung (unten III.).
I. Wie die Strafsenate des Oberlandesgerichts zutreffend angenommen haben, besteht nach dem Ergebnis der bisherigen, weit vorangeschrittenen Ermittlungen gegen die Beschuldigten kein Verdacht einer Straftat nach § 108e Abs. 1 oder 2 StGB, der den Erlass eines Haftbefehls oder eines Arrestbeschlusses rechtfertigen könnte.
1. Sowohl im Hinblick auf den für die Anordnung eines Vermögensarrestes gemäß § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO notwendigen einfachen Tatverdacht (zum gesetzlich vorausgesetzten Verdachtsgrad s. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 26. Oktober 2018 - 2 Ws 183/18, NZWiSt 2019, 106, 107 f.; SSWStPO/Heine, 4. Aufl., § 111e Rn. 5) als auch im Hinblick auf den für Erlass eines Haftbefehls nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO maßgebenden dringenden Tatverdacht ist nach den im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen davon auszugehen, dass sich mit dem jeweils erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad folgender Sachverhalt zutrug:
a) Der Beschuldigte Dr. N. war bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages, in der ab Oktober 2017 dauernden 19. Legislaturperiode zudem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Darüber hinaus war er Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Firma T. GmbH (fortan: Firma T.).
Der Beschuldigte S., der als Rechtsanwalt Partner zweier Rechtsanwaltssozietäten ist, gehört dem Bayerischen Landtag an. Außerdem war er bis 2013 zu mehr als 90% Gesellschafter der Firma P. GmbH (im Folgenden: Firma P.) gewesen, wobei ein Treuhänder die Geschäftsanteile für ihn gehalten hatte. In diesem Jahr hatte der Beschuldigte die Treugeberstellung auf seine beiden Töchter übertragen, ist allerdings von ihnen in Vermögensangelegenheiten generalbevollmächtigt.
b) Der Beschuldigte L. und der Mitbeschuldigte K., zwei Privatunternehmer, fassten Anfang März 2020 den Plan, Schutzausrüstung zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie aus Asien einzuführen, um sie gewinnbringend an Bundes- und Landesbehörden zu verkaufen. In Abstimmung mit L. trat K. an die ihm persönlich bekannten Dr. N. und S. heran und trug ihnen an, gegen Entgelt ihre Autorität und ihren Einfluss als Mitglieder des Deutschen Bundestages bzw. des Bayerischen Landtages einzusetzen, damit die Behörden die Ware von L. s Firmen oder mit diesen kooperierenden Unternehmen erwerben. Die beiden beschuldigten Abgeordneten erklärten sich mit dem geplanten Vorhaben einverstanden.
In der Folge traten Dr. N. und S. mit Entscheidungsträgern verschiedener Bundes- und Landesbehörden in Verbindung und wirkten auf den Abschluss von Kaufverträgen über Schutzmasken hin. Da die Abnehmer forderten, dass der Vertragspartner - anders als die von L. beherrschten Gesellschaften - in der Europäischen Union ansässig ist, gewann der ebenfalls in den Plan einbezogene Mitbeschuldigte F., ein Rechtsanwalt und Notar, letztlich den Mitbeschuldigten D., einen seiner Mandanten, dafür, die Geschäfte über die von diesem vertretene Firma Lo. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma Lo.) mit Sitz im Hessischen H. abzuwickeln.
Dr. N. vermittelte zwei Verträge der Firma Lo. mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, vertreten durch das Bundespolizeipräsidium Potsdam, vom 20. März 2020 (3 Mio. FFP2-Masken zum Nettokaufpreis von 11,4 Mio. €) sowie mit der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, vom 27./28. März 2020 (7 Mio. FFP2-Masken und 1,5 Mio. FFP3-Masken zum Gesamtnettokaufpreis von 37,25 Mio. €). Er stellte den Kontakt zu den für die Ministerien handelnden Entscheidungsträgern und Mitarbeitern her und setzte sich sowohl bei der Anbahnung der Kaufverträge als auch bei deren Abwicklung für L. und K. ein: So erkundigte er sich beim Bundespolizeipräsidium Potsdam nach einem etwaigen Bedarf und leitete dessen Anfrage an K. weiter. Als es nach Vertragsschluss zu Unstimmigkeiten gekommen war und Zahlungen ausblieben, setzte er sich beim Präsidenten dieser Behörde für die Firma Lo. ein. Beim Bundesministerium für Gesundheit ersuchte Dr. N. etwa um eine förmliche Interessenbekundung an L. Später wies er wiederholt den Bundesminister persönlich darauf hin, die Rechnungen der Firma Lo. zu begleichen, anderenfalls eine ungünstige Presseberichterstattung drohe. Gegenüber den Behörden trat Dr. N. als Mitglied des Bundestags („MdB“) und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf. Auch über die Anbahnung und Abwicklung der beiden Kaufverträge hinaus setzte er sich für L. und K. ein, indem er etwa für sie eine fachliche Auskunft von der Zollverwaltung zur Zertifizierung von Schutzmasken einholte.
S. vermittelte den Abschluss eines Kaufvertrages über Schutzmasken zwischen der Firma Lo. und dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, vom 20. März 2020 (3 Mio. FFP2-Masken und 500.000 FFP3-Masken zum Gesamtnettokaufpreis von 14,25 Mio. €). Er stellte den Kontakt zur zuständigen Mitarbeiterin des Ministeriums her und förderte den Vertragsschluss: So übersandte er eine von der Behörde zu fertigende förmliche Interessenbekundung im Wortlaut und bat darum, diesen Text auf offiziellem Briefpapier an L., den Vermittler des Vertrages, zu senden. Außerdem ersuchte er die TÜV Süd AG um eine Qualitätskontrolle der Masken, zerstreute Bedenken des Ministeriums gegen deren Zertifizierung für die Europäische Union und übermittelte ihm wunschgemäß den Entwurf eines Kaufvertrages. Seine entsprechenden E-Mails an die Behörde versandte S. - teilweise mit der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ - unter der E-Mailadresse einer seiner beiden Kanzleien, verwendete aber auch mehrfach die Signatur“ S. MdL“.
c) Dr. N. und S. erhielten für ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit den Maskenverkäufen abredegemäß eine Entlohnung. Von den eingegangenen Zahlungen zog D. zunächst die für die Beschaffung der Masken entstandenen Kosten und den der Firma Lo. zustehenden Provisionsbetrag ab. Über die von ihm mitgeteilten Restbeträge erstellte L. als Geschäftsführer der Firma P. Ltd. (nachfolgend: Firma Pl.) insgesamt neun Rechnungen über Beratungs- und Provisionsleistungen. Daraufhin veranlasste D. die Überweisung der Rechnungssummen auf das Geschäftskonto dieser Firma bei einer Liechtensteiner Bank. Insgesamt gingen auf diese Weise mehr als 10 Mio. € auf dem Konto ein. Nach der Abrede der drei Beschuldigten und der Mitbeschuldigten K. und F. sollte jeder zu einem Fünftel am Gewinn beteiligt werden.
Dr. N. stellte als Geschäftsführer der Firma T. an eine weitere von L. gegründete Gesellschaft zwei Rechnungen wegen „Abschlagszahlung Beratungshonorar“ über 660.000 € und 600.000 €, von denen die erste beglichen wurde. S. veranlasste, dass die Firma P. gegenüber der Firma Pl. einen Gewinnanteil von 1,243 Mio. € abrechnete. L. überwies daraufhin den Betrag auf das Geschäftskonto der Firma P. .
d) Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den „Vermerk zum Sachverhalt“ der Generalstaatsanwaltschaft vom 3. Dezember 2021, ergänzend auf die Sachverhaltsdarstellungen in den angegriffenen Beschlüssen und diejenige in der Zuschrift des Generalbundesanwalts, hinsichtlich der Beweislage auf die zahlreichen Belege in dem benannten Vermerk.
2. Auf der Grundlage des geschilderten Sachverhalts haben sich die Beschuldigten nicht wegen Bestechlichkeit oder Bestechung von Mandatsträgern strafbar gemacht. Eine von ihnen sowie den Mitbeschuldigten K. und F. getroffene Übereinkunft, wonach die Beschuldigten Dr. N. und S. eine Gewinnbeteiligung dafür erhalten, dass sie zur Förderung von Veräußerungsgeschäften über Schutzmasken auf Behörden einwirken, erfüllt nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 108e Abs. 1 oder 2 StGB, auch wenn dabei mutmaßlich
- beide Beschuldigte ihre Autorität und ihren Einfluss als Mitglieder des Deutschen Bundestages bzw. des Bayerischen Landtages einsetzen sollten und einsetzten,
- der Beschuldigte Dr. N. aktiv als Mitglied des Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion auftrat, beispielsweise Briefpapier mit einem entsprechenden Briefkopf nutzte, und Mitarbeiter seines Berliner Abgeordnetenbüros namentlich zur Weiterleitung von E-Mails einsetzte,
- der Beschuldigte S. die Signatur“ S. MdL“ verwendete.
Der Tatbestand des § 108e Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter als Parlamentsmitglied einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt (Bestechlichkeit), derjenige des § 108e Abs. 2 StGB, dass der Täter einem Parlamentsmitglied einen solchen Vorteil für dieses oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt (Bestechung). Nach beiden Absätzen muss dabei weiterhin eine Unrechtsvereinbarung mit dem Inhalt erstrebt bzw. getroffen sein, dass der Abgeordnete bei der Wahrnehmung seines Mandats eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornimmt oder unterlässt. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend dargelegt hat, nahmen die Beschuldigten Dr. N. und S., indem sie die Gegenleistungen für die Gewinnbeteiligungen erbrachten, nicht ihr Mandat im Sinne dieses Strafgesetzes wahr; die Übereinkunft der Beteiligten war von vorneherein nicht darauf gerichtet.
a) Das in § 108e Abs. 1 und 2 StGB mit der Neufassung vom 23. April 2014 normierte Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ ist dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen (Unter-)Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Abgeordneten besetzten Kommissionen (etwa dem Vermittlungsausschuss), erfasst ist. Das Merkmal ist hingegen nicht in einem funktional weiten Sinne dahin auszulegen, dass bereits jede Tätigkeit anlässlich oder im Zusammenhang mit dem Abgeordnetenmandat oder jede durch das Mandat bloß ermöglichte Handlung dem Anwendungsbereich der Norm unterfiele. Allein die zwischen den Beteiligten vereinbarte Berufung auf den Abgeordnetenstatus zur Beeinflussung von Behördenentscheidungen bei außerparlamentarischen Betätigungen im Interesse eines Privatunternehmers und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, vermag eine Strafbarkeit gemäß § 108e Abs. 1 oder 2 StGB nicht zu begründen. Ebenso wenig genügt es, wenn der Mandatsträger dazu die in dieser Funktion geknüpften Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Exekutive ausnutzen oder sich seiner Amtsausstattung bedienen soll. Denn in keinem der Fälle sind Entscheidungsprozesse der Legislative betroffen.
b) Dieses Verständnis entspricht der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum. Sie verlangt für das Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandats“, dass die Gegenleistung, die der Mandatsträger aufgrund der Unrechtsvereinbarung erbringen soll, in einer Tätigkeit besteht, mit der er auf parlamentarische Vorgänge (in einem weiteren Sinne) Einfluss zu nehmen versucht (s. Busch, Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt?, 2017, S. 99 f.; Eckhart, Novellierung der Abgeordnetenbestechung, 2016, S. 109 f.; Francuski, HRRS 2014, 220, 226; Matt/Renzikowski/Sinner, StGB, 2. Aufl., § 108e Rn. 16; MüKoStGB/Müller, 4. Aufl., § 108e Rn. 32; NKStGB/Kargl, 5. Aufl., § 108e Rn. 4; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 108e Rn. 20; ferner Geerds, wistra 2017, 381, 385; Peters, Korruption in Volksvertretungen, 2017, S. 304 f.: „Ausübung unmittelbar demokratisch legitimierter Staatsgewalt"; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 108e Rn. 19: „allgemeine politische Tätigkeit“, soweit sie sich „unmittelbar auf die parlamentarische Arbeit bezieht"; SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 108e Rn. 7). Sie erachtet es hingegen nicht als ausreichend, dass die Tätigkeit nur in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mandat steht (s. Braasch, jurisPRStrafR 11/2015 Anm. 1 unter III.; LK/Weiß, StGB, 13. Aufl., § 108e Rn. 8; MüKoStGB/Müller aaO, Rn. 34; SKStGB/Sinn, 9. Aufl., § 108e Rn. 9). Entgeltliche Aktivitäten als Lobbyisten mittels unlauterer politischer Einflussnahme werden mitunter ausdrücklich ausgeschlossen (s. BeckOK StGB/v. HeintschelHeinegg, 53. Ed., § 108e Rn. 18.1, 20).
Soweit in der Literatur teilweise vertreten wird, das Merkmal könne ausnahmsweise auch eine außerparlamentarische Betätigung umfassen, wenn sie gerade Ausfluss der „eigentlichen Mandatstätigkeit“ sei, wird hiermit ebenfalls der Bezug zur parlamentarischen Meinungsbildung hergestellt. Als Beispielsfall wird die Einladung eines Mandatsträgers in seiner Eigenschaft als Abgeordneter seines Wahlkreises zusammen mit anderen Wahlkreisabgeordneten anderer Parteien zu einer kommunalen Veranstaltung genannt (s. Braasch, jurisPRStrafR 11/2015 Anm. 1 unter III.; ferner Eckhardt, Novellierung der Abgeordnetenbestechung, 2016, S. 109 f.: Lenkung der „gesellschaftlichen Diskussion"; Kubiciel/Hoven, NK 26 [2014], 339, 345: „Werben um politische Positionen“).
Nur vereinzelt wird das Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ darüber hinausgehend dahin ausgelegt, dass die auftragsgemäße Durchsetzung privater Interessen ohne Bezug zur parlamentarischen Arbeit genügen kann (so Kubiciel, Tatbestandlose Maskendeals? Verfassungsblog 2021/11/19, abrufbar unter www.verfassungsblog.de/tatbestandslosemaskendeals [EA Bd. VI Bl. 153 ff.]; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 108e Rn. 27 f. [vgl. aber Rn. 19 und 28 der Folgeauflage]; Raue in Busch/Hoven/Pieth/Rübenstahl, Antikorruptions-Compliance, 2020, Kap. 2 Rn. 41: „jedenfalls“ bei Zugrundelegung des „Mandatsbegriff[s] des Parlamentsrechts“).
c) Das oben (unter a]) umschriebene engere Verständnis des Tatbestandsmerkmals ist Ergebnis der Anwendung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung, namentlich nach dem Wortlaut des Merkmals, dem systematischen Kontext des § 108e StGB, dem Willen des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck dieser Strafnorm:
aa) Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung. Der Wortsinn der Formulierung „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ in § 108e Abs. 1 und 2 StGB spricht gegen ein Verständnis, wonach die Vorschrift über die parlamentarische Tätigkeit hinaus ein Auftreten des Abgeordneten gegenüber Behörden im Interesse privater Unternehmen erfasst.
(1) Der Begriff des Mandats ist rechtlich geprägt. Er ist dem Verfassungs- und Staatsrecht entlehnt, wurde schon vor der Geltung des Grundgesetzes geformt (vgl. zur Entwicklung Dürig/Herzog/Scholz/Klein/Schwarz, GG, 96. Lfg., Art. 38 Rn. 213 f.) und findet, wenngleich der Terminus selbst nicht in das Grundgesetz, vielmehr nur in das einfache Recht - etwa §§ 2, 12, 44a AbgG - aufgenommen worden ist, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der verfassungs- und staatsrechtlichen Literatur in unterschiedlichen Zusammenhängen Verwendung.
Der Verfassungsgesetzgeber hat mit Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Rechtsstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Sinne eines freien parlamentarischen Mandats geregelt. Die Verfassungsnorm bestimmt, dass die Parlamentsmitglieder Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und allein ihrem Gewissen unterworfen sind (für den Bayerischen Landtag s. - inhaltlich übereinstimmend - Art. 13 Abs. 2 BayVerf). Diese Formulierung gewährleistet dem Abgeordneten den repräsentativen Status (die Freiheit des Mandats), allerdings auf die repräsentative Stellung des Parlaments bezogen, dem Abgeordneten um ihretwillen - nicht in seinem persönlichen Interesse (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1957 - 2 BvR 1/57, BVerfGE 6, 445, 448: „kein Individualrecht“) - auferlegt und gewährleistet (s. Dürig/Herzog/Scholz/ Klein, GG, 96. Lfg., Art. 48 Rn. 41; HStR/Klein, 3. Aufl., § 51 Rn. 1 f.; ferner Schmidt-Bleibtreu/Kluth, GG, 15. Aufl., Art. 38 Rn. 72). Kraft dieses Status verfügt das Bundestagsmitglied über eine Reihe von Rechten (hierzu AKGG/ Schneider, 3. Aufl., Art. 38 Rn. 26 ff.; BeckOK GG/Butzer, 51. Ed., Art. 38 Rn. 137 ff.), die indes stets unter dem Vorbehalt stehen, dass nicht das einzelne Mitglied, sondern der Bundestag als Ganzes die vom Volk ausgehende Staatsgewalt ausübt (s. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1977 - 2 BvR 705/75, BVerfGE 44, 308, 315 f.; Urteile vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88, BVerfGE 80, 188, 217 f.; vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91, BVerfGE 102, 224, 237; Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl., Art. 38 Rn. 48; HStR/Klein aaO, Rn. 31 ff.). Desgleichen sind mit dem Status Pflichten verbunden, deren Reichweite durch das Gebot, die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu wahren, bestimmt und begrenzt wird (s. BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1-4/06, BVerfGE 118, 277, 325; im Anschluss daran BT-Drucks. 19/30492 S. 23; Kubiciel/Hoven, NK 26 [2014], 339, 343).
Dementsprechend erstreckt sich der Gewährleistungsbereich des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf die gesamte parlamentarische Tätigkeit des Bundestagsabgeordneten, sei es im Plenum, sei es in den Gremien (s. Badura in Bonner Kommentar, GG, 193. Lfg., § 38 Rn. 85; Dürig/Herzog/Scholz/Klein/Schwarz, GG, 96. Lfg., Art. 38 Rn. 221).
Auf diesen historisch gewachsenen, der Verfassung zugrundeliegenden Begriff des Mandats ist bei der Auslegung der Strafnorm des § 108e StGB Bedacht zu nehmen. Das gilt umso mehr, als ihr Wortlaut mit der jeweiligen Wendung „im Auftrag oder auf Weisung“ in den Absätzen 1 und 2 bewusst an Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG anknüpft (s. BT-Drucks. 18/476 S. 8; LK/Weiß, StGB, 13. Aufl., § 108e Rn. 16; MüKoStGB/Müller, 4. Aufl., § 108e Rn. 40; ferner - allgemein zum gesetzgeberischen Anliegen, die Verfassungsnorm „strafrechtlich zu flankieren“ - Peters, Der Staat 59 [2020], 513, 534 ff.). Für den Mandatsbegriff ist kein abweichender, insbesondere kein engerer herkömmlicher Sprachsinn ersichtlich (s. etwa Duden, Onlinewörterbuch, abrufbar unter https://www.duden.de/rechtschreibung/Mandat: „Auftrag, den Abgeordnete durch eine Wahl erhalten haben“ sowie „auf einer Wahl beruhendes Amt eines Abgeordneten mit Sitz und Stimme im Parlament"; zum Verhältnis von allgemeinsprachlicher Bedeutung und juristischem Sprachgebrauch vgl. im Übrigen BVerfG, Beschluss vom 19. März 2007 - 2 BvR 2273/06, NJW 2007, 1666 Rn. 20; BGH, Beschluss vom 3. Februar 1960 - 4 StR 562/59, BGHSt 14, 116, 118; Simon, Gesetzesauslegung im Strafrecht, 2005, S. 82 f.; MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl., § 1 Rn. 87; Schönke/Schröder/ Hecker, StGB, 30. Aufl., § 1 Rn. 37).
(2) Der beschriebene Bezug des Mandats zur parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es zu dessen Hauptaufgaben gehört, insbesondere im eigenen Wahlkreis engen Kontakt mit der Partei, den Verbänden und nicht organisierten Bürgern zu halten. Denn diese Funktion des Abgeordneten liegt darin begründet, dass er Verbindungsglied zwischen Parlament und Bürger ist (s. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 - 2 BvE 4/12, BVerfGE 140, 1 Rn. 92; vom 19. September 2017 - 2 BvC 46/14, BVerfGE 146, 327 Rn. 86): Er sammelt und strukturiert die politischen Auffassungen und Interessen, die an ihn herangetragen werden, und entscheidet, ob, wie und mit welcher Priorität er sich bemüht, sie in staatliche Entscheidungen umzusetzen. Seine Aufgabe ist es, unterschiedliche politische Auffassungen und Interessen aufzunehmen, auszugleichen und in die Willensbildung von Partei, Fraktion und Parlament zu überführen, sowie umgekehrt den Bürgern den guten Sinn der im Parlament getroffenen politischen Entscheidungen zu vermitteln oder bessere Alternativen aufzuzeigen und für sie zu werben. Repräsentation erfordert Vermittlung von Informationsströmen in doppelter Richtung (s. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08, BVerfGE 134, 141 Rn. 96).
In diesem Sinne - einer dem parlamentarischen Entscheidungsprozess dienlichen „Transformationsfunktion“ zwischen gesellschaftlicher und staatlicher Willensbildung (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08, BVerfGE 134, 141 Rn. 96) - zählt das Wirken des Parlamentariers in der Zivilgesellschaft zu seinen Aufgaben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt in der Weise veranschaulicht, dass Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG das „Bild“ eines Abgeordneten „zugrunde liegt“, der im Parlament durch Plenar- und Ausschusssitzungen, in der Fraktion und Partei durch inhaltliche Arbeit sowie im Wahlkreis und der sonstigen Öffentlichkeit durch Veranstaltungen der verschiedensten Art, nicht zuletzt durch Wahlvorbereitungen und Wahlversammlungen in Anspruch genommen wird (Beschlüsse vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08, aaO, Rn. 96; vom 15. Juli 2015 - 2 BvE 4/12, BVerfGE 140, 1 Rn. 92; vom 19. September 2017 - 2 BvC 46/14, BVerfGE 146, 327 Rn. 85). Anders als die Beschwerdeführerin meint, kommt hierdurch aber nicht zum Ausdruck, dass er bereits dann sein Mandat wahrnimmt, wenn er unter Angabe seines Status gegenüber einer Behörde im Interesse eines Privatunternehmers oder anderen Bürgers auftritt.
Das Bundesverfassungsgericht hat, soweit es sich zur Reichweite des dem Abgeordneten durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Schutzes verhalten hat, diesen regelmäßig auf die parlamentarische Tätigkeit bezogen. So hat es etwa Abgeordneten einen Anspruch auf Erstattung des mandatsbedingten Aufwands für die „Beschäftigung von Mitarbeitern“ (§ 12 Abs. 3 AbgG) nur zugebilligt, „soweit sich deren Tätigkeit auf die Unterstützung bei der Erledigung der parlamentarischen Arbeit beschränkt“ (Beschluss vom 19. September 2017 - 2 BvC 46/14, BVerfGE 146, 327 Rn. 85). Auch hat es aus Art. 48 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG das Erfordernis gesetzlicher Vorkehrungen dagegen abgeleitet, dass Abgeordnete Bezüge aus einem Angestelltenverhältnis, aus einem sogenannten Beratervertrag oder Ähnlichem, ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, lediglich deshalb erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie würden „im Parlament“ die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großorganisation „durchzusetzen versuchen“ (Urteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74, BVerfGE 40, 296, 318 f.).
(3) Die in der Rechtsmittelbegründungsschrift für ein abweichendes Verständnis des Mandatsbegriffs zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 19. Januar 1999 - 10 S 1096/98, NVwZRR 1999, 525) setzt sich hingegen, wenngleich sie unter anderem auf den „verfassungsrechtlichen Status eines Abgeordneten“ abstellt, mit dem Gewährleistungsbereich des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht näher auseinander. Sie legt vielmehr dar, Bundestagsmitglieder seien nicht rechtliche Vertreter einzelner Bürger, „auch soweit“ sie „es offenbar als ihre Aufgabe ansehen, sich bezüglich individueller Anliegen ..., denen keine über den Einzelfall hinausgehende öffentliche Bedeutung zukommt, bei Behörden zu verwenden"; denn letztlich gehe es „um politisch motiviertes Handeln (Wahlkreisarbeit)" ohne rechtlich verbindliche Folgen für denjenigen, dessen persönliches Interesse der Abgeordnete wahrgenommen habe. Dass dieser damit zugleich sein freies (parlamentarisches) Mandat in dem beschriebenen Sinne ausübt, wird aus der Entscheidung nicht deutlich.
bb) Der systematische Kontext des - dem Vierten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs (Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen) zugeordneten - § 108e StGB spricht ebenfalls gegen eine weite funktionale Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei der Wahrnehmung seines Mandats“.
(1) Für ein engeres Verständnis streitet ein Vergleich mit Art. 2 § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG). Danach macht sich strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr zu verschaffen oder zu sichern, einem Mitglied eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen Staates oder einem Mitglied einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation einen Vorteil für dieses oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass es eine mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängende Handlung oder Unterlassung künftig vornimmt.
Wenngleich in den Gesetzesmaterialien der Umfang der Strafbarkeit der Käuflichkeit bestimmter Verhaltensweisen ausländischer und internationaler Parlamentarier nicht näher bestimmt ist (vgl. BT-Drucks. 13/10428 S. 7), erweist sich die in Art. 2 § 2 IntBestG verwendete Formulierung weiter als die Fassung des § 108e Abs. 2 StGB (ebenso Peek, ZStW 120 [2008], 785, 804). Sie schließt den beabsichtigten Einsatz der Autorität eines Abgeordneten nicht ohne Weiteres aus (s. Heinrich in Deutscher Bundestag - Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Sitzung vom 17. Februar 2014, Protokoll-Nr. 18/7 Anlage S. 47, 50). Bei der Neuregelung des § 108e StGB zum 1. September 2014 hat der Gesetzgeber diese Formulierung gerade nicht übernommen (vgl. Braasch, jurisPRStrafR 11/2015 Anm. 1 unter III.; Busch, Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt?, 2017, S. 29).
(2) Ein systematischer Vergleich mit anderen der Korruption dienenden Vorschriften steht dem engeren Begriffsverständnis jedenfalls nicht entgegen.
(a) Für die Strafbarkeit von (Europäischen) Amtsträgern (sowie von für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten) gemäß §§ 331 bis 334 StGB ist eine weite Auslegung der - der Mandatswahrnehmung entsprechenden (vgl. BeckOK GG/Butzer, 51. Ed., Art. 38 Rn. 127.1) - Tatbestandsmerkmale „Dienstausübung“ und „Diensthandlung“ anerkannt. Danach sind die Merkmale erfüllt, wenn irgendein funktionaler Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis des Amtsträgers besteht (vgl. MüKoStGB/Korte, 3. Aufl., § 331 Rn. 109). Eine Diensthandlung nimmt nicht nur derjenige vor, der eine Tätigkeit ausübt, die an sich in den Kreis seiner Amtspflichten fällt, sondern auch derjenige, der seine amtliche Stellung dazu missbraucht, eine durch die Dienstvorschriften verbotene Handlung auszuführen, die ihm gerade die amtliche Stellung ermöglicht (s. BGH, Urteile vom 22. Juni 2000 - 5 StR 268/99, NStZ 2000, 596, 598 f.; vom 18. November 2020 - 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 18). Selbst diese weite Auslegung erfordert allerdings - in Abgrenzung zum privaten Handeln und zum Handeln nur gelegentlich der dienstlichen Tätigkeit - einen Bezug zur Dienstausübung (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 6 StR 119/21, NJW 2021, 2522 Rn. 11).
Der Träger eines parlamentarischen Mandats verfügt hingegen nicht über einen genau umgrenzten Pflichtenkreis, wie er für Amtsträger existiert. Mandatsträger haben zwar als „Vertreter des ganzen Volkes“ den Auftrag, sich bei ihrer Entscheidung am Gemeinwohl zu orientieren. Dies schließt aber nicht aus, dass sie auch die Interessen ihres Wahlkreises vertreten. Ebenso ist es zulässig, dass Mandatsträger legitime Partikularinteressen derjenigen Interessengruppen vertreten, aus denen sich ihre Wählerschicht hauptsächlich zusammensetzt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2006 - 5 StR 453/05, BGHSt 51, 44 Rn. 28). Dies unterscheidet den Mandatsträger grundsätzlich vom Amtsträger. Für Abgeordnete bestehen keine positiv festgelegten Dienstpflichten, für deren Verletzung sie einen Vorteil fordern oder annehmen können (s. Kempf, FS Schiller, 2014, S. 359, 365 f.; ferner Fritz, NJW-Spezial 2014, 184).
(b) Soweit das Abgeordnetenrecht in §§ 44a, 45 ff. AbgG (zu § 44a AbgG sowie § 44b AbgG aF, Anlage 1 der GOBT aF vgl. Raue in Busch/Hoven/Pieth/Rübenstahl, Antikorruptions-Compliance, 2020, Kap. 2 Rn. 9 ff.) sowie in Art. 28 ff. BayAbgG Verhaltensregeln für Mandatsträger trifft und disziplinarrechtliche Sanktionen vorsieht, lassen sich daraus im vorliegenden Zusammenhang keine Rückschlüsse auf die Auslegung des Tatbestandes des § 108e StGB ziehen. Diese parlamentsrechtlichen Vorschriften dienen zwar ebenfalls der Korruptionsbekämpfung (vgl. § 108e Abs. 4 Satz 1 StGB), gehen aber deutlich weiter als die Strafnorm.
Ungeachtet dessen bestimmt § 44a Abs. 2 Satz 1 AbgG lediglich, dass ein Bundestagsmitglied für die Ausübung des Mandats keine anderen als die gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen oder andere Vermögensvorteile annehmen darf. Unzulässig war nach § 44a Abs. 2 Satz 2 AbgG in der - zur Tatzeit geltenden - Fassung vom 8. November 2011 insbesondere die Annahme von Geld oder von geldwerten Zuwendungen, wenn sie nur deshalb gewährt wurden, weil dafür die Vertretung und Durchsetzung der Interessen des Leistenden im Bundestag erwartet wurde. Da nichts dafür spricht, das Merkmal der Ausübung des Mandats abweichend von demjenigen der Wahrnehmung des Mandats im Sinne des § 108e Abs. 1 und 2 StGB zu deuten, führt ein solcher systematischer Vergleich zu keinen weitergehenden Erkenntnissen. Im Übrigen ist jedenfalls der Reformgesetzgeber bei der Änderung des Abgeordnetengesetzes mit Wirkung zum 19. Oktober 2021 davon ausgegangen, dass die mitunter praktizierte entgeltliche Lobbytätigkeit gegenüber Behörden unter Ausnutzung der Stellung als Mandatsträger im Zusammenhang mit der Beschaffung medizinischer Produkte nicht von den außerstrafrechtlichen Verhaltensregeln erfasst war (s. BT-Drucks. 19/28784 S. 9 f.; für einen umfassenderen Anwendungsbereich des § 44a Abs. 2 Satz 1 AbgG allerdings Raue in Austermann/Schmal, AbgG, § 44a Rn. 22 ff.).
Soweit vor dem Hintergrund des hier zu beurteilenden Sachverhalts durch das Gesetz zur Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages und zur Anhebung des Strafrahmens des § 108e des Strafgesetzbuches vom 8. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4650) in § 44a AbgG der Absatz 3 Satz 1 eingefügt wurde, weil der Gesetzgeber eine Regelungslücke erkannt hatte, lässt dies ebenso wenig Rückschlüsse auf eine extensive Auslegung des Begriffs der Mandatswahrnehmung in § 108e StGB zu. Nach dieser Vorschrift sind nunmehr unzulässig neben dem Mandat die entgeltliche Interessenvertretung für Dritte gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung sowie entgeltliche Beratungstätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Mandatsausübung stehen. Ziel der Neuregelung ist es, die Unabhängigkeit der Mandatsträger zu gewährleisten. Nach der Gesetzesbegründung ist das freie Mandat besonders gefährdet, wenn eigene, monetäre Interessen von Dritten mit dessen Ausübung als Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) verquickt werden (vgl. BT-Drucks. 19/28784 S. 12). Der Gesetzgeber hat allerdings die Änderung des § 44a AbgG gerade nicht zum Anlass genommen, den Anwendungsbereich des § 108e StGB zu erweitern. Er hat vielmehr durch das Reformgesetz vom 8. Oktober 2021 lediglich den Tatbestand zum Verbrechen hochgestuft.
cc) Der in den Gesetzesmaterialien zutage tretende gesetzgeberische Wille steht einer weiten funktionalen Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ ebenfalls entgegen.
Die Vorschrift des § 108e StGB in der Fassung vom 13. Januar 1994 (Abgeordnetenbestechung) stellte nur den An- oder Verkauf einer Stimme im Rahmen einer Wahl oder Abstimmung in dem Parlament oder der Volksvertretung unter Strafe. Nachdem in der 16. und 17. Legislaturperiode des Bundestages mehrere Gesetzesvorhaben zur Erweiterung des Straftatbestandes gescheitert waren, führte in der 18. Legislaturperiode eine Gesetzesinitiative der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Ziel. Sie mündete in die Neufassung des § 108e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern) durch das Achtundvierzigste Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410). Diesem Gesetzesentwurf der damaligen Regierungsfraktionen vom 11. Februar 2014 lagen die Erwägungen zugrunde, die bisherige Regelung reiche nicht aus, alle strafwürdigen korruptiven Verhaltensweisen im Bereich der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern zu erfassen, und bleibe hinter internationalen Vorgaben zurück, die in dem Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption vom 27. Januar 1999 sowie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003 enthalten seien (s. BT-Drucks. 18/476 S. 1).
(1) Aus den Gesetzesmaterialien geht eindeutig hervor, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeitslücken, die er zu schließen beabsichtigte, im Bereich einer korruptiven Beeinflussung parlamentarischer Betätigungen von Abgeordneten sah.
(a) In der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Änderung des § 108e StGB vom Februar 2014 ist zur Reichweite des Tatbestandsmerkmals „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ dargelegt: „Erfasst sind sämtliche Tätigkeiten in den Parlaments- und Fraktionsgremien, also Tätigkeiten im Rahmen der parlamentarischen Arbeit im Plenum, den Bundestagsausschüssen und den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen der Fraktionen. Erfasst sind auch Tätigkeiten in Gremien, die der Bundestag ganz oder teilweise besetzt und die parlamentarische Aufgaben wahrnehmen, wie z.B. Vermittlungsausschuss, Gemeinsamer Ausschuss oder Richterwahlausschuss. Nicht erfasst sind Verhaltensweisen, die der Mandatsträger als Mitglied eines parteiinternen Gremiums oder im Rahmen einer Nebentätigkeit vollzieht“ (BT-Drucks. 18/476, S. 8). Bereits diese Ausführungen machen deutlich, dass allein eine solche Unrechtsvereinbarung unter Strafe gestellt werden sollte, die ein Verhalten des Abgeordneten mit parlamentarischem Bezug zum Gegenstand hat. Damit deckt sich der in dem Gesetzentwurf genannte Schutzzweck des § 108e StGB, die „freie Willensbildung und -betätigung in den Parlamenten vor unzulässiger Einflussnahme“ zu bewahren (BT-Drucks. 18/476 S. 6).
Diese Ausführungen zur Reichweite des Tatbestandsmerkmals knüpfen an inhaltsgleiche Formulierungen in der Begründung des Gesetzesentwurfs der SPD-Fraktion vom 8. Februar 2012 (s. BT-Drucks. 17/8613 S. 3 f.) an, der erstmals sowohl dieses Merkmal als auch die Wendung „im Auftrag oder auf Weisung“ beinhaltet hatte (aaO S. 2). Dort wird der Wortlaut der entworfenen Vorschrift weitergehend dahin erläutert, dass es nicht als Wahrnehmung des Mandats zu verstehen sei, wenn der Abgeordnete „lediglich seine 'Autorität' als Mandatsträger dazu einsetzt, Verwaltungsabläufe in seinem Wahlkreis zu beeinflussen“ (aaO S. 4). Zwei Gesetzesinitiativen der Fraktion DIE LINKE. vom 25. April 2008 und vom 21. April 2010, die vorgesehen hatten, dass der Straftatbestand des § 108e StGB „eine Handlung oder Unterlassung“ des Abgeordneten erfasst, „die im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats“ steht (s. BT-Drucks. 16/8979 S. 4; 17/1412 S. 4), hat der Gesetzesentwurf vom Februar 2014 gerade nicht aufgegriffen (s. Busch, Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt?, 2017, S. 101). Somit deutet nichts darauf hin, dass diesem Gesetzesentwurf ein von demjenigen der SPD-Fraktion abweichendes Verständnis zugrunde gelegen haben könnte.
(b) In seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht zu dem Gesetzentwurf hat der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 19. Februar 2014 ausdrücklich „festgestellt“, dass „eine Handlung oder Unterlassung 'bei der Wahrnehmung des Mandats' ausschließlich bei parlamentarischen Verhandlungsgegenständen vorliegt. Nicht erfasst dagegen ... (seien) Tätigkeiten außerhalb der durch das Mandat begründeten Zuständigkeiten, etwa wenn lediglich die Autorität des Mandats oder die Kontakte des Mandatsträgers genutzt werden, um einen in der Zuständigkeit einer anderen Stelle liegenden Vorgang zu beeinflussen“ (BT-Drucks. 18/607 S. 8). Danach scheiden außerparlamentarische Verhaltensweisen aus dem Tatbestand aus, die - wie hier - allenfalls „im Zusammenhang mit dem Mandat“ stehen.
Aus der Sachverständigenanhörung vom 17. Februar 2014, die der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vorausging und in der die Reichweite des Tatbestandsmerkmals „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ erörtert wurde, ergibt sich nichts anderes. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin geht aus dem Anhörungsprotokoll nicht hervor, dass die Ausschussmitglieder der Meinung waren, außerparlamentarische Betätigungen eines Mandatsträgers wie das Auftreten gegenüber einer Behörde im Interesse eines privaten Unternehmens unter Berufung auf den Abgeordnetenstatus seien uneingeschränkt vom Wortlaut des neuen § 108e StGB umfasst. Zwar hatte der Sachverständige Prof. Dr. He. in seiner vorbereitenden schriftlichen Stellungnahme vom 14. Februar 2014 die Auffassung geäußert, dem Merkmal könnten im Ausnahmefall Aktivitäten des Mandatsträgers außerhalb der parlamentarischen Gremien unterfallen, soweit sie gerade Ausfluss der Mandatstätigkeit seien, etwa wenn er gerade in seiner Eigenschaft als Abgeordneter seines Wahlkreises zusammen mit anderen Wahlkreisabgeordneten anderer Parteien zu einer kommunalen Veranstaltung eingeladen werde. Ausdrücklich als nicht vom Wortlaut erfasst hatte der Sachverständige es jedoch angesehen, wenn der Parlamentarier lediglich seine Autorität als Mandatsträger dazu einsetze, Verwaltungsabläufe in seinem Wahlkreis zu beeinflussen (s. Protokoll-Nr. 18/7 Anlage S. 47, 50, 73).
Unabhängig davon, welche Bedeutung Äußerungen einzelner Ausschussmitglieder für die Gesetzesauslegung haben können, gibt die Beschwerdebegründung Anlass zu folgendem Bemerken: Der Äußerung des Abgeordneten Dr. Lu., er „empfinde“ ein derartiges Verhalten „als zu ... (seinem) Mandat gehörend“, wenngleich es „nicht unmittelbar mit dem parlamentarischen Mandat ... im Bundestag zu tun“ habe (Protokoll-Nr. 18/7 S. 29), zeigt, dass er sich über die Mandatstätigkeit als solche im Klaren war und nur Unschärfen des Begriffs im Randbereich besorgte. Soweit die Abgeordnete Dr. La. Fragen zur Reichweite des Tatbestandsmerkmals aufwarf und als geeignetere Alternative die Formulierung „bei parlamentarischer Arbeit“ in Erwägung zog (Protokoll-Nr. 18/7 S. 32, 39), lassen die Erklärungen nicht auf eine abweichende Überzeugung schließen.
(2) Aus dem Willen des Gesetzgebers, mit der Neuregelung des § 108e StGB internationale Vorgaben umzusetzen, ergibt sich kein engeres Verständnis des Gesetzeswortlauts.
Sowohl das Strafrechtsübereinkommen des Europarates über Korruption (CLCoC) vom 27. Januar 1999 (European Treaty Series [ETS] Nr. 173; im Folgenden: ERÜbk) als auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption (UNCaD) vom 31. Oktober 2003 (Doc. A/58/422; nachfolgend: UNÜbk) begründeten nach Ansicht des Gesetzgebers (s. BT-Drucks. 18/476 S. 1, 5; ebenso BT-Drucks. 17/8613 S. 3) für die Bundesrepublik Deutschland, die jeweils zu den Erstunterzeichnern gehörte, die Pflicht zur Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung nach § 108e StGB in der bis zum 31. August 2014 gültigen Fassung. Dem ERÜbk einschließlich des Zusatzprotokolls vom 15. Mai 2003 (ETS Nr. 191) hat der Bundestag zwischenzeitlich mit Gesetz vom 14. Dezember 2016 (BGBl. II S. 1322) zugestimmt, dem UNÜbk mit Gesetz vom 12. November 2014 (BGBl. II S. 762).
(a) Über den bloßen Stimmenan- und -verkauf im Rahmen von Wahlen oder Abstimmungen gemäß § 108e StGB aF hinaus ist nach beiden Übereinkommen (Art. 2 bis 4 ERÜbk und Art. 15 i.V.m. Art. 2 Buchst. a Ziff. i UNÜbk) folgendes Verhalten unter Strafe zu stellen:
- das Versprechen, Anbieten oder Gewähren eines ungerechtfertigten Vorteils an einen Abgeordneten sowie - das Fordern oder Annehmen (nach Art. 3 ERÜbk außerdem die Annahme eines Angebots oder Versprechens) eines solchen Vorteils durch einen Abgeordneten jeweils dafür, dass der Abgeordnete bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben (ERÜbk) bzw. in Ausübung seiner Dienstpflichten (UNÜbk) eine Handlung vornehme oder unterlasse. Die Vorgaben des UNÜbk betreffen dabei „Amtsträger"; abweichend vom deutschen Recht (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) umfasst der internationale Amtsträgerbegriff indes nach Art. 2 Buchst. a Ziff. i UNÜbk auch Parlamentsmitglieder (hierzu Busch, Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt?, 2017, S. 20).
Diese völkervertragsrechtlichen Anforderungen, wonach der Abgeordnete die Gegenleistung „bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben“ oder „in Ausübung seiner Dienstpflichten“ zu erbringen hat, gebietet keine Auslegung des § 108e StGB dahin, dass seine außerparlamentarischen Betätigungen ohne Bezug zu seinem Mandat ebenfalls strafrechtlich zu sanktionieren wären. Vielmehr war die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat frei, die wenig präzisen Vorgaben der Übereinkommen zu den Tathandlungen selbst zu konkretisieren. Für das UNÜbk gilt dies umso mehr, als dieses hinter den Anforderungen des - dem Art. 2 § 2 IntBestG zugrundeliegenden - OECD-Übereinkommens vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (fortan: OECDÜbk) zurückbleibt, dem der Bundestag mit Gesetz vom 10. September 1998 (BGBl. II S. 2327) zugestimmt hat. Nach dessen Artikel 1 Absatz 1 reicht als Gegenleistung für den Vorteil jedes Verhalten des ausländischen Amtsträgers - auch hierunter fällt ein Parlamentsmitglied (Art. 1 Abs. 4 Buchst. a OECDÜbk) - „im Zusammenhang mit der Ausübung von Dienstpflichten“ (hierzu Art. 1 Abs. 4 Buchst. c OECDÜbk) aus (s. Peters, Korruption in Volksvertretungen, 2017, S. 225, 233 f.).
Soweit im erläuternden Bericht zum ERÜbk ausgeführt wird, der dortige Artikel 4 schütze die Transparenz, die Fairness und die Unparteilichkeit des Entscheidungsprozesses inländischer öffentlich-rechtlicher Vertretungskörperschaften sowie ihrer Mitglieder vor korruptiven Machenschaften (s. BT-Drucks. 18/9234 S. 53 Nr. 44), lässt sich dies ohne Weiteres damit vereinbaren, dass § 108e StGB nur Handlungen erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu parlamentarischen Vorgängen aufweisen.
(b) Für die Bundesrepublik Deutschland besteht insoweit keine völkervertragsrechtliche Pflicht zur Umsetzung des ERÜbk und des UNÜbk, als die beiden völkerrechtlichen Verträge Regelungen treffen, welche die Vertragsstaaten zur Schaffung von Strafvorschriften anhalten, um Fälle einer „missbräuchlichen Einflussnahme“ („trading in influence“) auch durch Abgeordnete - wie hier - zu unterbinden.
Zwar sieht Art. 12 ERÜbk vor, die missbräuchliche Einflussnahme unter Strafe zu stellen. Dabei handelt es sich um ein Korruptionsdelikt, dem eine dreiseitige Personenkonstellation zugrunde liegt. Unter Strafe gestellt werden sollen Zuwendungen an eine Person, die zwar die von dem Gewährenden erstrebte Handlung nicht selbst vornimmt, die aber Einfluss auf den Amtsträger in der zuständigen Verwaltung oder Behörde hat oder vorgibt zu haben. Die Zuwendung muss Gegenleistung dafür sein, dass der Vorteilsnehmer seinen Einfluss missbräuchlich zugunsten des Gewährenden geltend macht. Ein entsprechender Straftatbestand existiert jedoch in Deutschland nicht. Da der Gesetzgeber keine Notwendigkeit gesehen hat, eine entsprechende Strafbarkeit zu begründen, ist von der Vorbehaltsmöglichkeit des Art. 37 Abs. 1 ERÜbk Gebrauch gemacht worden (s. BGBl. 2017 II S. 696; BT-Drucks. 18/9234 S. 36).
In Art. 18 UNÜbk ist die missbräuchliche Einflussnahme vergleichbar geregelt. Insoweit wird den Vertragsstaaten allerdings lediglich vorgegeben zu erwägen, die Zuwendung von Vorteilen für eine solche Beeinflussung von Verwaltungen und Behörden durch Amtsträger oder andere Personen strafrechtlich zu sanktionieren. Mangels Pönalisierungspflicht sah sich der Gesetzgeber in der Vergangenheit nicht gehalten, die Regelung umzusetzen. Von einer relevanten Strafbarkeitslücke ging er nicht aus; ausweislich der Materialien betreffend das Zustimmungsgesetz zum UNÜbk sei ein Bedürfnis für eine derart weitgehende Bestrafung bislang nicht aufgetreten (s. BT-Drucks. 18/2138 S. 82).
dd) Der Sinn und Zweck des § 108e StGB läuft einer weiten funktionalen Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ zuwider. Zu diesem Ergebnis führen sowohl die Bestimmung des geschützten Rechtsguts durch den Gesetzgeber als auch der ganz überwiegende Teil der abweichenden Definitionen im Schrifttum.
(1) Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs vom Februar 2014 ist Schutzgut des reformierten § 108e StGB das öffentliche Interesse an der Integrität parlamentarischer Prozesse, der Unabhängigkeit der Mandatsausübung sowie der Sachbezogenheit parlamentarischer Entscheidungen (s. BT-Drucks. 18/476 S. 6). Die sich unmittelbar anschließenden Ausführungen in der Entwurfsbegründung, wonach die Strafnorm dazu dient, die freie Willensbildung und -betätigung in den Parlamenten vor unzulässiger Einflussnahme zu schützen (aaO; so schon Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vom 8. Februar 2012, BT-Drucks. 17/8613 S. 3), macht deutlich, dass ihr Schutzbereich das öffentliche Interesse an der Unabhängigkeit der Mandatsausübung nur im Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten erfassen soll. Allein durch diese parlamentarischen Prozesse kann das öffentliche Interesse an der Integrität der parlamentarischen Arbeit beeinträchtigt werden. Dies hat der Gesetzgeber etwa durch die Erklärung kenntlich gemacht, bei einem Verhalten, das nicht mehr der Ausübung des freien Mandats im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG entspreche, weil es an „Aufträge und Weisungen“ des einen Vorteil versprechenden Dritten gebunden sei, sei die Bestrafung erforderlich „zum Schutz der parlamentarischen Willensbildung“ (BT-Drucks. 18/476 S. 8). Nimmt der Abgeordnete demgegenüber Einfluss auf Entscheidungen außerhalb parlamentarischer Prozesse, insbesondere auf solche von Behörden, ist das Rechtsgut des öffentlichen Interesses an der Integrität der parlamentarischen Arbeit nicht berührt, selbst wenn er seinen Status missbräuchlich nutzt.
(2) In der Literatur wird das Schutzgut des § 108e StGB nicht einheitlich beurteilt:
(a) Überwiegend werden die Wertungen des Gesetzgebers geteilt. Als geschützt werden angesehen die Sachbezogenheit und Legitimität politischer Entscheidungsprozesse (so Busch, Ist die strafwürdige Beeinflussung und Beeinflussbarkeit von Bundestagsabgeordneten durch § 108e StGB hinreichend geregelt?, 2017, S. 23 [Integrität parlamentarischer Prozesse als Oberbegriff, der die Unabhängigkeit der Mandatsausübung miteinschließt]; Eckhardt, Novellierung der Abgeordnetenbestechung, 2016, S. 94 f.; Satzger, Jura 2014, 1022, 1027, 1029; Willems, CCZ 2015, 29, 31; AnwKStGB/Mavany, 3. Aufl., § 108e Rn. 1; BeckOK StGB/v. Heintschel-Heinegg, 53. Ed., § 108e Rn. 3; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 108e Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 108e Rn. 2; Matt/Renzikowski/Sinner, 2. Aufl., § 108e Rn. 3; NKStGB/Kargl, 5. Aufl., § 108e Rn. 5 ff.; SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 108e Rn. 5), die Integrität des parlamentarischen Meinungsbildungsprozesses vor unlauteren Manipulationen sowie das darauf bezogene öffentliche Vertrauen in die Unabhängigkeit der Mandatsinhaber und die Sachbezogenheit ihrer Entscheidungen (so Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 108e Rn. 2; vgl. auch Hauck, wistra 2010, 255, 256; LK/Weiß, StGB, 13. Aufl., § 108e Rn. 1) oder die Institution der Volksvertretung in ihren inneren und äußeren Funktionsbedingungen (so SKStGB/Sinn, 9. Aufl., § 108e Rn. 8).
Sofern einschränkend das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit und Integrität der parlamentarischen Verfahren allein insoweit, als es verfassungs-, parteien- und abgeordnetenrechtlich verbürgt ist, als Rechtsgut anerkannt wird (so Kubiciel/Hoven, NK 26 [2014], 339, 343 f.), wird ebenfalls für eine Strafbarkeit ein Tätigwerden in Ausübung des Mandats vorausgesetzt, das darin erblickt wird, dass der Abgeordnete auf parlamentarische Prozesse Einfluss zu nehmen versucht (s. Kubiciel/Hoven aaO, S. 343, 345). Sofern die Meinung vertreten wird, die Strafvorschrift schütze ein Individualrechtsgut auf Volkssouveränität (so Peters, Korruption in Volksvertretungen, 2017, S. 105 ff.), wird dieses nur als berührt erachtet, wenn der Abgeordnete als Vertreter des Volkes bezogen auf parlamentarische Entscheidungen handelt (s. Peters aaO, S. 273 ff., 287, 304 f.).
(b) Lediglich vereinzelt wird vertreten, der Gesetzgeber habe in der Entwurfsbegründung (s. BTDrucks. 18/476 S. 6) die Unabhängigkeit der Mandatsausübung ausdrücklich als eigenständiges Rechtsgut neben den Schutz der Parlamentsarbeit gestellt (so Kubiciel, Tatbestandlose Maskendeals? Verfassungsblog 2021/11/19, abrufbar unter www.verfassungsblog.de/tatbestandslosemaskendeals). Unter der Prämisse, zur Wahrnehmung des - sich durch seine thematischsachliche Offenheit auszeichnenden - freien Mandats im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zähle die Unterstützung staatlicher Organisationen durch die Vermittlung von Kontakten, wird daraus gefolgert, dass § 108e StGB zudem dem Zweck diene, das Wirken des Abgeordneten außerhalb parlamentarischer Prozesse vor missbräuchlicher Einflussnahme zu schützen.
Dieser Rechtsansicht, welche die Beschwerdeführerin teilt, ist bereits im Hinblick auf ihr zu weites Verständnis des Mandatsbegriffs (dazu oben aa] sowie cc] [1]) nicht beizutreten. Darüber hinaus nimmt sie, soweit sie sich darauf stützt, die Gesetzesmotive seien an „zentralen Stellen ... bestenfalls ambivalent“, weil ein Passus herausstelle, die Strafvorschrift bezwecke die Gewährleistung der freien Mandatsausübung, nicht Bedacht darauf, dass dort anschließend explizit angeführt wird, eine Bestrafung sei „zum Schutz der parlamentarischen Willensbildung“ erforderlich (BT-Drucks. 18/476 S. 8).
ee) Aus alledem folgt, dass nach dem in § 108e StGB zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers das Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ nicht erfüllt ist, wenn der Abgeordnete bei außerparlamentarischen Betätigungen unter Berufung auf seinen Status im Interesse eines Privatunternehmers und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, Behördenentscheidungen zu beeinflussen versucht.
Dem Gesetzgeber obliegt es zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es hingegen verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718/89, BVerfGE 92, 1, 12 f.; vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170, 197 f.; vom 16. August 2021 - 2 BvR 972/21, wistra 2022, 69 Rn. 13). Im Hinblick auf den vom Wortlaut der Norm gedeckten eindeutigen gesetzgeberischen Willen, das rein außerparlamentarische Wirken des Mandatsträgers durch § 108e StGB nicht zu erfassen, kommt eine diese Intention missachtende Auslegung nicht in Betracht, selbst wenn die hier zu beurteilenden Handlungen ähnlich strafwürdig erscheinen mögen wie das pönalisierte Verhalten. Falls der Gesetzgeber eine Strafbarkeitslücke erkennen sollte, ist es seine Sache, darüber zu befinden, ob er sie bestehen lassen oder durch eine neue Regelung schließen will.
3. Dafür, dass die Übereinkunft der Beschuldigten und der Mitbeschuldigten K. und F. umfasste, die Gewinnbeteiligung werde den Beschuldigten Dr. N. und S. auch für ein bestimmtes Verhalten im Rahmen ihrer parlamentarischen Tätigkeit gewährt, besteht nach dem Ergebnis der Ermittlungen (jedenfalls gegenwärtig) kein einfacher Verdacht (mehr).
Dem Beschuldigten Dr. N. war - anders als dem Beschuldigten S. - anfänglich vorgeworfen worden, die Vereinbarung der Beteiligten habe sich neben seinem Auftreten gegenüber den Behörden darauf erstreckt, dass er auf Verhandlungen und Entscheidungen innerhalb des Bundestages Einfluss nehmen werde. Diesen weitergehenden Verdacht haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 4. August 2021 festgestellt hat (S. 18), die im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht bestätigt.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift die Beweislage zum Gegenstand der Vereinbarung der Beteiligten zutreffend dargelegt. Hiernach bietet das bisherige Ermittlungsergebnis keine ausreichende Grundlage für einen weitergehenden Verdacht einer Abrede auch über parlamentarische Betätigungen des Beschuldigten Dr. N. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuschrift (S. 21 ff.) verwiesen.
Überdies hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts in dem Beschluss vom 16. November 2021 im Einzelnen ausgeführt, Redebeiträge des Beschuldigten Dr. N. im Plenum des Bundestages an zwei Tagen im März 2020 beruhten nicht auf der getroffenen Übereinkunft (S. 51 ff.). Zwar ist der Tatbestand des § 108e Abs. 1 StGB bereits mit dem Fordern oder Sichversprechenlassen vollendet, wenn der Täter die Gegenleistung aufgrund der erstrebten bzw. getroffenen Unrechtsvereinbarung erbringen will (vgl. SSWStGB/Rosenau, 5. Aufl., § 108e Rn. 6; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 331 Rn. 25 f., 36). Indes lassen die Ausführungen in dem Beschluss gleichfalls darauf schließen, dass die Abrede von Anfang an nicht auf ein Wirken des Beschuldigten im Parlament gerichtet war.
II. Zu Recht haben es die Strafsenate des Oberlandesgerichts abgelehnt, Haft- oder Arrestanordnungen gegen die Beschuldigten auf den Vorwurf der (Beihilfe zur) Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO oder der Verletzung eines anderen Strafgesetzes zu stützen. Insoweit fehlt die sachliche Zuständigkeit.
1. Eine Sachentscheidungskompetenz des Oberlandesgerichts für Steuerstraftaten kraft Zusammenhangs kommt nicht in Betracht, weil es an einem zuständigkeitsbegründenden Verdacht einer Straftat gemäß § 108e Abs. 1 oder 2 StGB mangelt (§ 120b Satz 1 GVG). Gleiches gilt für die weiteren von den Strafsenaten erwogenen Delikte des gewerbsmäßigen Bandenbetruges (§ 263 Abs. 1 und 5 StGB), des Betruges und des Wuchers (§ 291 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Im Einzelnen:
Zwar gilt für das Rechtsmittel der (weiteren) Beschwerde im Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft. Soweit seine Prüfungsbefugnis nicht auf die Gesetzwidrigkeit einer Anordnung beschränkt ist (§ 305a Abs. 1 Satz 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 59 Abs. 2 Satz 2 JGG), nimmt das Beschwerdegericht - anders als das Revisionsgericht - zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung eine eigene sachliche Beurteilung der gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen vor und übt selbst Ermessen aus (s. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 16 mwN). Es hat daher grundsätzlich die Möglichkeit, Ermittlungsmaßnahmen auf einen von der Erstentscheidung abweichenden Tatvorwurf zu stützen.
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 StPO kann jedoch der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts im vorbereitenden Verfahren nur tätig werden, wenn die Sache nach § 120 oder § 120b GVG zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug gehört. Fehlt bereits der Anfangsverdacht einer der in diesen Vorschriften aufgeführten Straftaten, ist der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts sachlich unzuständig. Ebenso liegt es, wenn ein solcher zunächst bestehender Verdacht im Verlauf der Ermittlungen wegfällt. In diesen Fällen hat das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht (§ 120b Satz 2 i.V.m. § 120 Abs. 3 Satz 2 GVG) keine Sachentscheidungskompetenz (vgl. LR/Matt, StPO, 26. Aufl., § 309 Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 309 Rn. 6); denn diese tritt - wie dargelegt - bloß an die Stelle derjenigen des Ermittlungsrichters. Nicht anders verhält es sich beim Bundesgerichtshof als Gericht der weiteren Beschwerde (§ 310 Abs. 1 StPO, § 135 Abs. 2 Nr. 1 GVG). Darauf, dass das Oberlandesgericht im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 120b Satz 1 GVG Landesgerichtsbarkeit ausübt und welche Bedeutung dies für den zuständigkeitsbegründenden Zusammenhang der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern mit allgemeinen Straftaten hat (zur gebotenen restriktiven Bestimmung einer Annexkompetenz für den Fall, dass die Bundesjustiz betroffen ist, vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, juris Rn. 14 mwN), kommt es dabei nicht an.
Infolgedessen ist der Beschwerdeführerin nicht darin beizutreten, dass die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts und damit die Befugnis der Strafsenate des Oberlandesgerichts zur Sachentscheidung allein davon abhängig sei, ob die Generalstaatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren führe.
2. Hinsichtlich des Beschuldigten Dr. N. kommt hinzu, dass wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung die Voraussetzungen für einen Arrest in sein Vermögen nach § 111e Abs. 1 StPO, sollten sie bei der ermittlungsrichterlichen Anordnung vorgelegen haben, jedenfalls nachträglich weggefallen wären. Ein zu sichernder staatlicher Anspruch auf Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c StGB kann nicht mehr bestehen, weil der Beschuldigte die nach der Verdachtslage bestehende Umsatzsteuerschuld mittlerweile erfüllt hat. Denn damit sind die Ansprüche des Fiskus aus dem Steuerverhältnis anders als durch Verjährung (§ 73e Abs. 1 Satz 2 StGB) erloschen, so dass die Tatertragseinziehung nach § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB i.V.m. § 47 AO ausgeschlossen ist (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 73e Rn. 4 f.).
III. Darüber, ob der 8. Strafsenat des Oberlandesgerichts das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Arrestes in das Vermögen des Beschuldigten S. wegen des Verdachts anderer Straftaten und über die Kosten des Rechtmittels zu Recht an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts München verwiesen hat, ist hier aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung nicht zu befinden. Dies gilt unabhängig davon, ob und inwieweit im Verfahren der weiteren Beschwerde die Vorschrift des § 310 StPO einer solchen Prüfung entgegenstünde.
Allerdings bemerkt der Senat, dass dieses Vorgehen nicht unbedenklich scheint. Denn eine solche Verweisung, für die eine gesetzliche Grundlage fehlt, dürfte allenfalls in Betracht kommen, wenn sie dem mutmaßlichen Willen der Staatsanwaltschaft entspricht (s. LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 162 Rn. 30), etwa im Fall eines ihr offensichtlich unterlaufenen Irrtums über die Zuständigkeit (s. Nehm, FS Meyer-Goßner, 2001, S. 277, 282), indes nicht ohne Weiteres im Fall der Unzuständigkeit im Hinblick auf eine mögliche hinter dem Antrag deutlich zurückbleibende Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 806
Bearbeiter: Christian Becker