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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 307

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 100/22, Beschluss v. 11.10.2022, HRRS 2023 Nr. 307


BGH 2 ARs 100/22 2 AR 58/22 - Beschluss vom 11. Oktober 2022

Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Bußgeldverfahren; Düngegesetz).

§ 46 OWiG; § 68 OWiG; § 14 StPO

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 11. November 2021 wird aufgehoben.

2. Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht Münster zuständig.

Gründe

Die Amtsgerichte Münster und Köln streiten darüber, welches von ihnen für die Untersuchung und Entscheidung in einem Bußgeldverfahren zuständig ist.

I.

Der Direktor der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen als Landesbeauftragter mit Sitz in Münster hat gegen den Betroffenen vier auf § 14 Abs. 2 des Düngegesetzes in Verbindung mit verschiedenen Regelungen der Düngeverordnung gestützte Bußgeldbescheide erlassen, gegen die der Betroffene jeweils Einspruch eingelegt hat.

Das Amtsgericht Münster hat sich mit Beschluss vom 11. November 2021 für örtlich unzuständig erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen vom 5. Juli 2010 (GV. NRW, S. 422; im Folgenden: AGStrafZustV NRW) eine Dezentralisierungsregelung im Sinne des § 68 Abs. 3 OWiG getroffen habe und sich die Zuständigkeit in Verfahren, die Ordnungswidrigkeiten nach § 14 des Düngegesetzes zum Gegenstand haben, nach den § 12 Abs. 2 Nr. 12, §§ 11, 10 AGStrafZustV NRW richte. Aus dem „allgemeinen Verweis in § 11 AGStrafZustV NRW auf die für die Umweltstrafsachen geltenden Regeln“ folge zugleich „die Geltung der Regelungen über den Gerichtsstand in den §§ 7 ff. StPO“. Zuständig sei deshalb das Amtsgericht Köln, da ein Tatort im Bezirk des Landgerichts Köln liege.

Das Amtsgericht Köln hat sich mit Beschluss vom 10. März 2022 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und unter anderem ausgeführt, dass es sich bei den vom Amtsgericht Münster in Bezug genommenen Regelungen nicht um solche gemäß § 68 Abs. 3 OWiG, sondern gemäß § 58 Abs. 1 GVG handele, die eine Konzentration und keine Dekonzentration von Zuständigkeiten bezwecke. Zugleich hat es die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht der Amtsgerichte Münster (Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm) und Köln (Bezirk des Oberlandesgerichts Köln) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 14 StPO berufen.

2. Zuständig für die Untersuchung und Entscheidung des Verfahrens ist das Amtsgericht Münster gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG als Amtsgericht am Sitz der Verwaltungsbehörde.

a) Die die Bußgeldbescheide erlassende Behörde - der Direktor der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen als Landesbeauftragter (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen für Bereiche der Agrarwirtschaft vom 5. Februar 2019, GV. NRW, S. 116) - hat ihren Sitz in Münster (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen vom 25. März 2022, GV. NRW, S. 360 [LWKG; wortidentisch mit § 19 Abs. 2 Buchstabe a) LWKG a.F.]; § 1 der Hauptsatzung der Landwirtschaftskammer vom 8. Dezember 2017, zuletzt geändert durch die Erste Satzung zur Änderung der Hauptsatzung vom 6. Dezember 2019).

b) Eine von der Grundregel des § 68 Abs. 1 OWiG abweichende Zuständigkeit aufgrund einer vorgehenden Spezialregelung oder einer Rechtsverordnung im Sinne des § 68 Abs. 3 OWiG besteht nicht. Eine solche besteht insbesondere auch nicht aufgrund der AGStrafZustV NRW für den hier maßgeblichen Fall eines Bußgeldverfahrens wegen Verstoßes gegen § 14 des Düngegesetzes.

aa) Mit Artikel 1 Nr. 5 Buchstabe b) bb) der Achten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen gegen Erwachsene, in Jugendstrafsachen, in Bußgeldverfahren und Abschiebungshaftsachen vom 22. Februar 2022 (GV. NRW, S. 308) ist die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 12 AGStrafZustV NRW mit Wirkung ab dem 1. April 2022 (ersatzlos) aufgehoben und damit Verfahren betreffend Ordnungswidrigkeiten nach § 14 des Düngegesetzes vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, so dass die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Münster nach nunmehr bestehender Rechtslage ins Leere läuft.

bb) Dessen ungeachtet wäre der hier zu entscheidende Sachverhalt nicht von § 10 AGStrafZustV NRW erfasst.

Nach dessen Satz 1 sind die „Amtsgerichte, die ihren Sitz am Ort des Landgerichts haben, für den Bezirk des Landgerichts zuständig, soweit nicht die Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts begründet ist.“ Hiernach werden amtsgerichtliche Zuständigkeiten innerhalb eines Landgerichtsbezirks bei dem Amtsgericht am Sitz des Landgerichts konzentriert. Bedeutsam und maßgeblich ist insoweit die damit einhergehende Begrenzung auf (bestehende) Zuständigkeiten innerhalb eines Landgerichtsbezirks.

An einer solchen Zuständigkeit eines im Landgerichtsbezirk Köln gelegenen Amtsgerichts fehlt es. Die §§ 10, 11 AGStrafZustV NRW setzen sie gerade voraus. Es handelt sich nicht um (dezentralisierende) Regelungen im Sinne des § 68 Abs. 3 OWiG. Vielmehr gehen sie - was auch der historische Befund belegt (vgl. Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte des Landes Nordrhein-Westfalen in Umweltstrafsachen und in Bußgeldverfahren wegen Umweltordnungswidrigkeiten gegen Erwachsene vom 17. März 2005, GV. NRW, S. 222) - auf die Konzentrationsermächtigung des § 58 Abs. 1 GVG zurück. Auf die (bedenkliche) Ansicht des Amtsgerichts Münster, dass über den Verweis des § 11 AGStrafZustV auf die für die Umweltstrafsachen geltenden Regeln die §§ 7 ff. StPO Anwendung finden, kommt es daher nicht mehr an.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 307

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede