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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 767

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 371/22, Beschluss v. 28.02.2023, HRRS 2023 Nr. 767


BGH 2 StR 371/22 - Beschluss vom 28. Februar 2023 (LG Köln)

BGHR; Erbringen von Zahlungsdiensten ohne Erlaubnis (Zahlungsdienste: Finanztransfergeschäfte, Legaldefinition, kein Führen eines Zahlungskonto für den Zahler oder den Empfänger, Giralgeld, Unionsrecht, Begriffsbestimmung, Form des Geldbetrages, Entgegenahme, zweckentsprechende Weiterleitung, Auslegung; Gewerbsmäßigkeit: aufsichtsrechtliche Bestimmung; zweckwidrige Weiterleitung der eingegangenen Geldbeträge: Tatbestandsmäßigkeit, Auslegung, Wortlaut, Umsetzung der PSD II, Telos).

§ 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG; § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG; § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG

Leitsätze

1. Einen erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst im Sinne der § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (ZAG) erbringt auch derjenige, der gegenüber den Zahlungsdienstnutzern nur zum Schein als Zahlungsdienstleister auftritt. (BGHR)

2. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG liegt ein Finanztransfergeschäft bei (Zahlungs-)Diensten vor, bei denen ohne Einrichtung eines Zahlungskontos auf den Namen eines Zahlers oder eines Zahlungsempfängers ein Geldbetrag des Zahlers nur zur Übermittlung eines entsprechenden Betrags an den Zahlungsempfänger oder an einen anderen, im Namen des Zahlungsempfängers handelnden Zahlungsdienstleister entgegengenommen wird oder bei dem der Geldbetrag im Namen des Zahlungsempfängers entgegengenommen und diesem verfügbar gemacht wird. Erfasst werden danach Zahlungsvorgänge, bei denen zwischen dem Zahlungsdienstleister und dem Zahlungsdienstnutzer, d.h. dem Zahler nach § 1 Abs. 15 ZAG oder dem Zahlungsempfänger nach § 1 Abs. 16 ZAG keine kontenmäßige Beziehung. An einer solchen fehlt es, wenn der Zahlungsdienstleister kein Zahlungskonto im Sinne des § 1 Abs. 17 ZAG für den Zahler oder den Empfänger führt. (Bearbeiter)

3. Nach Art. 4 Nr. 25 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (Payment Service Directive - PSD II), die als unionsrechtliche Grundlage bei der Begriffsbestimmung heranzuziehen ist, ist es unerheblich, in welcher Form der Geldbetrag eingebracht und in Empfang genommen wird; dies kann etwa in bar, per Scheck durch Einzugsermächtigung sowie durch Aufrechnung oder auch durch Überweisung erfolgen. (Bearbeiter)

4. Daraus, dass der zu transferierende Geldbetrag nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG „nur zur Übermittlung entgegengenommen“ werden muss, folgt nicht, dass eine „Entgegennahme“ nur dann anzunehmen ist, wenn der Finanzintermediär die Gelder tatsächlich zweckentsprechend weiterleitet. (Bearbeiter)

5. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit in § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG ist aufsichtsrechtlich zu bestimmen ist. Danach ist es ausreichend, wenn die Tätigkeit auf Dauer angelegt und auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Eine gewerbsmäßige Begehung im strafrechtlichen Sinn wird demgegenüber nicht vorausgesetzt. (Bearbeiter)

6. Soweit vertreten wird, Fälle, in denen der Finanzintermediär von Anfang an beabsichtigt, die vereinnahmten Gelder pflichtwidrig anderweitig zu verwenden, seien aus dem Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG ausgenommen, weil es sich um vorgespiegelte Scheingeschäfte und nicht um wirklich betriebene, grundsätzlich erlaubnisfähige Finanztransfergeschäfte handele, folgt der Senat dem nicht. Die mit dieser Auffassung einhergehende Annahme, „Erbringen“ im Sinne des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG erfordere in subjektiver Hinsicht den Willen, erlaubnisfähige Zahlungsdienste in Form von Finanztransfergeschäften zu betreiben, legt weder der Wortlaut der Norm nahe, noch lässt sich ein derartiges Erfordernis mit dem Ergebnis der weiteren Auslegung der Vorschrift in Einklang bringen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 21. Juni 2022 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte als alleiniger Geschäftsführer der P. GmbH vorsätzlich im Inland Zahlungsdienste ohne Erlaubnis gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG erbracht. Dem steht nicht entgegen, dass er von vornherein beabsichtigte, die auf den Geschäftskonten der P. GmbH eingegangenen Geldbeträge der geschädigten Kunden von verschiedenen Online-Trading-Plattformen zweckwidrig zu verwenden. Denn einen erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst im Sinne der § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG erbringt auch derjenige, der gegenüber den Zahlungsdienstnutzern nur zum Schein als Zahlungsdienstleister auftritt.

Nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG wird bestraft, wer ohne Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG Zahlungsdienste erbringt. Diese für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Vorschriften des Gesetzes zur Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (ZAG) in der zur Tatzeit (Februar bis Ende November 2018) jeweils geltenden Fassung, gültig ab 13. Januar 2018 (BGBl. I 2017, S. 2446), sind von den nachfolgenden Änderungen dieses Gesetzes nicht betroffen.

Bei den von der P. GmbH entfalteten Tätigkeiten handelt es sich um erlaubnispflichtige Zahlungsdienste im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG (dazu unter 1.), die sie ohne Erlaubnis erbracht hat (dazu unter 2.).

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG benötigt derjenige, der im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Zahlungsdienste - im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 ZAG - erbringen will, eine schriftliche Erlaubnis. Anderes gilt nur, wenn es sich um einen Zahlungsdienstleister im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ZAG handelt.

a) Dadurch, dass die P. GmbH, bei der es sich ersichtlich nicht um einen - beaufsichtigten - Zahlungsdienstleister im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ZAG handelt, Geldbeträge der Kunden von Online-Trading-Plattformen entgegennahm und anschließend weiterleitete, hat sie Zahlungsdienste in Form eines Finanztransfergeschäfts nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG vorgenommen.

aa) Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG liegt ein Finanztransfergeschäft bei (Zahlungs-)Diensten vor, bei denen ohne Einrichtung eines Zahlungskontos auf den Namen eines Zahlers oder eines Zahlungsempfängers ein Geldbetrag des Zahlers nur zur Übermittlung eines entsprechenden Betrags an den Zahlungsempfänger oder an einen anderen, im Namen des Zahlungsempfängers handelnden Zahlungsdienstleister entgegengenommen wird oder bei dem der Geldbetrag im Namen des Zahlungsempfängers entgegengenommen und diesem verfügbar gemacht wird. Erfasst werden danach Zahlungsvorgänge, bei denen zwischen dem Zahlungsdienstleister und dem Zahlungsdienstnutzer, d.h. dem Zahler nach § 1 Abs. 15 ZAG oder dem Zahlungsempfänger nach § 1 Abs. 16 ZAG keine kontenmäßige Beziehung besteht (vgl. BT-Drucks. 18/11495, S. 106 f.; 16/11613, S. 35). An einer solchen fehlt es, wenn der Zahlungsdienstleister kein Zahlungskonto im Sinne des § 1 Abs. 17 ZAG für den Zahler oder den Empfänger führt (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg, ZAG, § 1 Rn. 129 ff.; Casper/Terlau/Danwerth, ZAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 113).

bb) Davon ausgehend nahm der Angeklagte über die P. GmbH, die ihren Sitz in K. hatte, Geldbeträge von Zahlern ausschließlich zum Zwecke der Übermittlung eines entsprechenden Betrags an den Zahlungsempfänger entgegen, ohne ein Konto auf den Namen eines Zahlers oder eines Zahlungsempfängers einzurichten.

(1) Der Angeklagte eröffnete im Tatzeitraum bei verschiedenen Finanzinstituten mehrere Konten für die P. GmbH als Kontoinhaberin und damit weder auf den Namen eines der Kunden der Online-Trading-Plattformen als Zahler noch auf den Namen eines der Betreiber der verschiedenen Online-Trading-Plattformen oder sonstigen Dritten als Zahlungsempfänger.

(2) Er nahm die von den Kunden der Online-Trading-Plattformen auf die Geschäftskonten der P. GmbH jeweils überwiesenen Beträge entgegen, sammelte sie dort und leitete sie anschließend zweckwidrig auf Geheiß der gesondert verfolgten Hintermänner an verschiedene, ihm von diesen mitgeteilten Unternehmen im Ausland weiter.

(3) Dass der Angeklagte den jeweils zu transferierenden Geldbetrag in Form von Giralgeld im Wege einer Überweisung des jeweiligen Zahlers entgegennahm, hindert nicht die Einordnung seiner Tätigkeit als Finanztransfergeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG. Nach Art. 4 Nr. 25 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (Payment Service Directive - PSD II), die als unionsrechtliche Grundlage bei der Begriffsbestimmung heranzuziehen ist (vgl. Casper/Terlau/Casper/Terlau, ZAG, 2. Aufl., Einl. Rn. 46 mwN), ist es unerheblich, in welcher Form der Geldbetrag eingebracht und in Empfang genommen wird; dies kann etwa in bar, per Scheck durch Einzugsermächtigung sowie durch Aufrechnung oder auch - wie hier - durch Überweisung erfolgen (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg, ZAG, § 1 Rn. 127 ff.; Casper/Terlau/Danwerth, ZAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 118).

(4) Einer Entgegennahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte durch die P. GmbH die Geldbeträge jeweils nur zum Schein zur zahlungsauftragsentsprechenden Weiterleitung in Empfang nahm. Daraus, dass der zu transferierende Geldbetrag nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG „nur zur Übermittlung entgegengenommen“ werden muss, folgt nicht, dass eine „Entgegennahme“ nur dann anzunehmen ist, wenn der Finanzintermediär die Gelder tatsächlich zweckentsprechend weiterleitet (aA KG, Beschluss vom 9. August 2021 - 4 Ws 60/21).

(a) Ungeachtet der für die Beurteilung einer Tätigkeit als Finanztransfergeschäft vorzunehmenden aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Beurteilung (vgl. Danwerth, Das Finanztransfergeschäft als Zahlungsdienst, S. 110 ff.), handelt es sich bei der „Entgegennahme“ um einen Realakt, dessen Vorliegen als isoliertes Tatbestandsmerkmal des Finanztransfergeschäfts im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG unabhängig von der mit dem Übermittlungsgeschäft verfolgten Zwecksetzung zu beurteilen ist (vgl. Casper/Terlau/Danwerth, ZAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 119; Danwerth, Das Finanztransfergeschäft als Zahlungsdienst, S. 186 ff.; Mimberg, RdZ 2022, 12, 14).

(b) Soweit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG die Entgegennahme „zur Übermittlung eines entsprechenden Betrags“ zu erfolgen hat, folgt bereits aus dem Wortlaut, dass damit nur das Erfordernis einer Zwecksetzung aus Sicht des Zahlers beschrieben wird (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg, ZAG, § 1 Rn. 137 mwN). Zudem wird der Bezug zu diesem Erfordernis dadurch verdeutlicht, dass ein „entsprechender“ Betrag zu übermitteln ist, denn das Merkmal „entsprechend“ bezieht sich auf „den Geldbetrag des Zahlers“ (vgl. Danwerth, Das Finanztransfergeschäft als Zahlungsdienst, S. 197).

(c) Mit der Formulierung „nur“ zur Übermittlung sollen nach überwiegender Ansicht in der Literatur solche Fälle ausgeklammert werden, in denen die Entgegennahme des Geldbetrages nicht allein dessen Übermittlung bezweckt (vgl. zum Meinungsstand Schäfer/Omlor/Mimberg/Mimberg, ZAG, § 1 Rn. 142 ff. mwN). Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann hier dahinstehen, denn auch unter Zugrundelegung der abweichend vertretenen Auffassung, wonach das Merkmal „nur“ zur Übermittlung als bloßer Hinweis auf den Auffangcharakter des Transfergeschäfts zu verstehen sei und ihm daher keinerlei tatbestandsbeschränkende Funktion zukomme (vgl. BT-Drucks. 18/11495 S. 107; BaFin Merkblatt ZAG idF vom 14. Februar 2023 sub B. V.), ist vorliegend von einer Entgegennahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG auszugehen.

b) Die von dem Angeklagten über die P. GmbH getätigten Finanztransfergeschäfte wurden gewerbsmäßig betrieben. Insoweit hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Begriff der Gewerbsmäßigkeit in § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG aufsichtsrechtlich zu bestimmen ist. Danach ist es ausreichend, wenn - wie vorliegend - die Tätigkeit auf Dauer angelegt und auf Gewinnerzielung gerichtet ist (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Weiß, ZAG, § 63 Rn. 46; Schäfer/ Omlor/Mimberg/Eckhold, ZAG, §§ 10, 11 Rn. 53 ff.; Casper/Terlau/Walter, ZAG, 2. Aufl., § 10 Rn. 15). Eine gewerbsmäßige Begehung im strafrechtlichen Sinn wird demgegenüber nicht vorausgesetzt (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Weiß, ZAG, § 63 Rn. 46).

2. Die danach erlaubnispflichtigen Zahlungsdienste hat die P. GmbH im Sinne des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG „ohne Erlaubnis erbracht“, indem sie im Februar 2018 ihren Geschäftsbetrieb aufnahm, in der Folge Einzahlungen von Kunden verschiedener Online-Trading-Plattformen in Höhe von rund 3.300.000 € auf ihren Konten entgegennahm und anschließend durch den Angeklagten - abgesehen von den sichergestellten Geldbeträgen in Höhe von rund 1.900.000 € - weiterleitete, ohne Trägerin einer Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 ZAG zu sein.

Dass die Weiterleitung der eingegangenen Geldbeträge - wie von vornherein beabsichtigt - zweckwidrig, d.h. nicht an die von den Geschädigten intendierten Empfänger erfolgte, steht dem nicht entgegen (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Weiß, ZAG, § 63 Rn. 43; Mimberg, RdZ 2022, 12). Soweit vertreten wird, Fälle, in denen - wie hier - der Finanzintermediär von Anfang an beabsichtigt, die vereinnahmten Gelder pflichtwidrig anderweitig zu verwenden, seien aus dem Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG ausgenommen, weil es sich um vorgespiegelte Scheingeschäfte und nicht um wirklich betriebene, grundsätzlich erlaubnisfähige Finanztransfergeschäfte handele (so KG, Beschluss vom 9. August 2021 - 4 Ws 60/21), folgt der Senat dem nicht. Die mit dieser Auffassung einhergehende Annahme, „Erbringen“ im Sinne des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG erfordere in subjektiver Hinsicht den Willen, erlaubnisfähige Zahlungsdienste in Form von Finanztransfergeschäften zu betreiben, legt weder der Wortlaut der Norm nahe, noch lässt sich ein derartiges Erfordernis mit dem Ergebnis der weiteren Auslegung der Vorschrift in Einklang bringen.

a) Dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG, wonach bestraft wird, wer ohne Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG Zahlungsdienste erbringt, kann die Notwendigkeit eines Willenselementes nicht entnommen werden. Auch der Tatbestandsbeschreibung der - § 63 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ZAG als „unechte“ Blankettnorm (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 9. März 1954 - 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30; MüKo-StGB/Gericke, 4. Aufl., AufenthG § 95 Rn. 6 ff.) ausfüllenden - Verweisungsnorm des § 10 Abs. 1 ZAG, wonach die Erlaubnispflicht daran geknüpft ist, dass der Antragsteller Zahlungsdienste „erbringen will“, lässt sich ein voluntatives Erfordernis nicht entnehmen. Vielmehr deutet der der Vorschrift zugrundeliegende Art. 11 Abs. 1 PSD II darauf hin, dass der Wortlaut des § 10 Abs. 1 ZAG eher als Hinweis auf die notwendige zeitliche Abfolge zwischen der Zulassung als Zahlungsinstitut und der anschließenden (objektiven) Erbringung von Zahlungsdiensten zu verstehen ist, mithin die Erlaubnis vor dem Marktzutritt vorliegen muss. Denn danach haben die Mitgliedstaaten vorzuschreiben, dass bestimmte Unternehmen, „die Zahlungsdienste zu erbringen beabsichtigen, vor dem Beginn der Erbringung von Zahlungsdiensten die Zulassung als Zahlungsinstitut erlangen müssen.” b) Maßgeblich dafür, dass in dem Wortlaut allein die zeitliche Komponente zum Ausdruck gebracht werden soll, sprechen der in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift zum Ausdruck kommende Sinn und Zweck, die gesetzgeberische Konzeption sowie die Notwendigkeit, den dem Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdienstleistern immanenten Individualschutz für Nutzer und Verbraucher durch die BaFin zu gewährleisten.

aa) (1) § 10 ZAG wurde in dieser Gestalt im Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz vom 17. Juli 2017, das der Umsetzung der PSD II diente, und die die seit dem 25. Juni 2009 geltende Fassung des ZAG ersetzt hat, neu gefasst (vgl. BT-Drucks. 18/11495, S. 1; Casper/Terlau/Danwerth, ZAG, 2. Aufl., § 1 Rn. 105 f.). Diese Zweite Zahlungsdiensterichtlinie (PSD II) soll den mit der Ersten Zahlungsdiensterichtlinie (Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG, ABlEU vom 5.12.2007, L 319, 1 - PSD I) geschaffenen harmonisierten Rechtsrahmen für unbare Zahlungen im Europäischen Binnenmarkt fortentwickeln und an technische Entwicklungen anpassen (vgl. Erwägungsgründe 1 ff. der PSD II; Casper/Terlau/Casper/Terlau, ZAG, 2. Aufl., Einleitung, Rn. 1 ff.).

Wie bereits die PSD I (vgl. Erwägungsgrund 49 der PSD I) zielt die PSD II darüber hinaus auf die gemeinschaftsweite Bekämpfung des Betruges im Zahlungsverkehr ab. So wird in Erwägungsgrund 7 PSD II ausdrücklich die Erhöhung der Sicherheitsrisiken für elektronische Zahlungen festgestellt und die Notwendigkeit des Vorhandenseins zuverlässiger und sicherer Zahlungsdienste sowie des angemessenen Schutzes der „Nutzer von Zahlungsdiensten“ festgeschrieben. In Erwägungsgrund 33 PSD II findet erneut die „Notwendigkeit, die Sicherheit von Zahlungsvorgängen und den Schutz der Verbraucher vor nachweislichen Betrugsrisiken zu gewährleisten (…)“ Erwähnung. Art. 30 PSD II verdeutlicht schließlich, dass der mit der PSD II intendierte Schutzzweck nicht nur auf den Schutz der Zahlungsdienstnutzer vor dem Missbrauch von Zahlungsinstrumenten und -verfahren durch Dritte gerichtet ist, sondern sich auch auf betrügerische Handlungen von Zahlungsdienstleistern erstrecken soll. Nach dieser - in Deutschland durch § 39 Abs. 6 ZAG umgesetzten (vgl. Schwennicke/Auerbach/Schwennicke, KWG, § 39 ZAG, Rn. 1; Schäfer/Omlor/Mimberg/Bracht/ Forstmann, ZAG, § 39 Rn. 52) - Richtlinienvorgabe ist den Aufsichtsbehörden des Aufnahmemitgliedstaats in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten ein sogenanntes Eintrittsrecht für solche Notfallsituationen zu eröffnen, in denen mit Blick auf einen prinzipiell in seinem Herkunftsmitgliedstaat beaufsichtigten Zahlungsdienstleister „Sofortmaßnahmen erforderlich sind, um eine ernste Bedrohung der kollektiven Interessen der Zahlungsdienstnutzer im Aufnahmemitgliedstaat abzuwenden“ (vgl. § 39 Abs. 6 Satz 2 ZAG).

(2) In Umsetzung dieser aufsichtsrechtlichen Vorgaben der PSD II (vgl. Casper/Terlau/Walter, ZAG, 2. Aufl. § 10 Rn. 2) statuiert das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz in § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG unter den dort genannten Voraussetzungen eine Erlaubnispflicht für das Erbringen von Zahlungsdiensten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG. Dieses - aufsichtsrechtliche - präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. Schäfer/Omlor/Mimberg/Eckhold, ZAG, §§ 10, 11, Rn. 24; Casper/Terlau/Walter, ZAG, 2. Aufl., § 10, Rn. 4; Aschenbeck/Drefke/Klebeck/Dobrauz, Rechtshandbuch Digitale Finanzdienstleistungen, 1. Aufl. 2018, Rn. 237 ff.) soll den auch bezweckten Individualschutz für Nutzer und Verbraucher gewährleisten, der etwa neben der Qualifikation als Marktverhaltensnorm im Sinne des § 3a UWG (vgl. OLG Köln, K&R 2023, 218) u.a. auch in der Identifikation des § 10 ZAG als Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB seinen Niederschlag findet (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 2021, 1963, Rn. 25 ff.; BeckOGK/BGB/Spindler, Stand 1.11.2022, § 823 Rn. 294 mwN; Mimberg, BKR 2021, 185, 186 ff.; Janßen, VuR 2018, 54; Schäfer, RdZ 2021, 43, 47). Erst dadurch, dass die Erlaubnis vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit vorliegen muss, können die bestehenden Sicherheits- oder Kontrollbedürfnisse gewährleistet werden, um auf diese Weise zu verhindern, dass ungeeignete Personen oder unzulänglich fundierte Unternehmen tätig werden.

Danach ist es für die Erlaubnisbedürftigkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG ohne Belang, ob der Betroffene zugleich die Absicht verfolgt, die anzubietenden Zahlungsdienste auch ordnungsgemäß zu erfüllen. Vielmehr ist allein entscheidend, ob er künftig beabsichtigt, Zahlungsdienste am Markt anzubieten, mithin ob er derartige Dienste „erbringen will“, so dass diese Formulierung Ausdruck der notwendigen zeitlichen Abfolge von erforderlicher Erlaubnis und anschließender Tätigkeit ist. Weitergehend verdeutlicht sie auch, dass nicht erst die tatsächliche Erbringung des Zahlungsdienstes die Erlaubnispflicht auslöst, sondern bereits der Wille hierzu genügt, so dass auch Vorbereitungshandlungen erfasst sind (vgl. Casper/Terlau/Walter, ZAG, 2. Aufl., § 10, Rn. 14; Schäfer/Omlor/Mimberg/Eckhold, ZAG, §§ 10, 11, Rn. 34 mwN).

bb) Nach der gesetzlichen Konzeption der §§ 10, 11 ZAG erstreckt sich der personalfunktionale Geltungsbereich des Erlaubnisvorbehalts im Übrigen nicht nur auf juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften, die grundsätzlich eine Erlaubnis erlangen können (aA KG, Beschluss vom 9. August 2021 - 4 Ws 60/21). Denn das Erfordernis der schriftlichen Erlaubnis, das durch die Aufsichtsbehörde gegebenenfalls mit den Mitteln der §§ 7, 8 ZAG durchgesetzt werden kann, ist von der Fähigkeit einer Person, die erforderliche Erlaubnis zu erlangen, zu unterscheiden. An einer solchen fehlt es etwa beim Vorliegen des Versagungsgrundes des § 12 Nr. 1 ZAG, wonach die Erlaubnis zu versagen ist, wenn der Antragsteller keine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft ist. Damit wird klargestellt, dass der Erlaubnisvorbehalt sowohl für natürliche als auch für juristische Personen und Personenvereinigungen begründet wird, auch wenn eine natürliche Person keine Erlaubnis erlangen kann.

cc) Schließlich führte die Ausklammerung von in betrügerischer Absicht handelnden Personen oder Unternehmen aus dem Schutzbereich des § 10 Abs. 1 ZAG zu Wertungswidersprüchen, die weder mit dem auch auf den Individualschutz für Nutzer und Verbraucher ausgerichteten Zweck des ZAG noch mit einer effektiven Gefahrenabwehr in Einklang zu bringen wären. Denn dann bestünden Eingriffsbefugnisse der BaFin aus § 7 ZAG, der eine spezielle gewerbepolizeiliche Vorschrift darstellt, die der Gefahrenabwehr im Finanzsektor dient (vgl. Casper/Terlau/GerhardusFeld, ZAG, 2. Aufl., § 7 Rn. 1 ff.), allein gegenüber solchen Unternehmen, die objektiv Zahlungsdienste anbieten und diese auch subjektiv ordnungsgemäß abzuwickeln beabsichtigen, aber (noch) nicht über die gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG erforderliche Erlaubnis verfügen. Demgegenüber wäre ein aufsichtsbehördliches Eingreifen gegenüber solchen Unternehmen, die mit dem Angebot ihres Zahlungsdienstes erklärtermaßen lediglich die Vermögensschädigung ihrer Kunden bezwecken, nicht möglich. Dass die BaFin nur im ersteren Fall Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen kann, in dem letztgenannten Geschäftsmodell dagegen nicht, obwohl bei diesem eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Nutzer durch den Dienstleister um ihre Zahlungsbeträge betrogen werden, lässt sich nicht sinnvoll begründen (vgl. Mimberg, RdZ 2022, 12).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 767

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede