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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 289

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 268/22, Urteil v. 23.11.2022, HRRS 2023 Nr. 289


BGH 2 StR 268/22 - Urteil vom 23. November 2022 (LG Frankfurt am Main)

Ablehnung von Beweisanträgen (Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache: fehlende erschöpfende Würdigung des Beweisantrages).

§ 244 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. September 2021 im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Drittbesitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen, Besitzes kinderpornographischer Schriften sowie wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum schweren sexuellen Kindesmissbrauch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine Kompensationsentscheidung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

I.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts versandte der Angeklagte am 16. Dezember 2014 sowie am 1. April 2017 mit einer E-Mail jeweils eine kinderpornographische Bilddatei an einen unbekannt gebliebenen Empfänger (Fälle II. 1 und 3 der Urteilsgründe). Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurden in sichergestellten Speichermedien 142 kinderpornographische Bilddateien aufgefunden (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

b) Hinsichtlich Fall II. 2 der Urteilsgründe hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte stand vor dem 8. September 2016 mit dem gesondert verfolgten B. in Kontakt, der inzwischen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen, begangen an seiner zweijährigen Tochter, der Nebenklägerin, zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Am 8. September 2016 chattete der Angeklagte mit B. über den Messagingdienst „S. “, dabei übersandten beide wechselseitig Dutzende, derb gehaltene Textnachrichten, B. übersandte diverse Lichtbilder, die der Angeklagte empfing. Die Konversation, die von 6.04 Uhr bis 7.34 Uhr dauerte, war geprägt von einem Rollenspiel. Der sich devot gebende B. unterwarf sich bewusst durch eine freigiebige Weitergabe von ihn selbst belastendem Material der Willkür des Angeklagten. Im Gegenzug für eine von B. erstrebte „Versklavung“ und Erniedrigung erhielt der Angeklagte, wie von ihm gewünscht, kinderpornographisches Material; er wusste zudem, dass übersandtes Bildmaterial teils in Echtzeit von seinem Chatpartner erstellt wurde.

Zu Beginn der Konversation forderte der Angeklagte, dem bekannt war, dass B. eine kleine Tochter hatte, diesen auf, sich mit seiner „kleinen Fotze“ zu zeigen. B. übersandte daraufhin ein zuvor gefertigtes Bild von ihm und seiner Tochter in einer Alltagssituation. Im Anschluss an vom Angeklagten geäußerte Fantasien über einen sexuellen Missbrauch des Kindes schickte B. dem Angeklagten ein ebenfalls vor dem Chat gefertigtes Lichtbild, das die gänzlich unbekleidete Nebenklägerin beim Baden in einer Badewanne zeigte. Auf die Frage „ausweise schreiben verträge etc?“ antwortete der Angeklagte „ohja und ein bild von ihrer fotze“. Um 6.15 Uhr antwortete B. : „ok moment dann mache ich ausweise meiner Freundin und mir und dann vorsichtig nicht das sie wach wird du mumu fotografieren“. Der Angeklagte erhielt hierauf in der Zeit von 6.22 Uhr bis 6.26 Uhr verschiedene zuvor angefertigte Lichtbilder, unter anderem Ausweisdokumente, eine Alltagsaufnahme der Nebenklägerin und ihrer teilbekleideten Mutter. Zuletzt wurde ihm ein nicht nachweislich aktuell angefertigtes Lichtbild einer kindlichen Vagina übersandt, die mit Fingern einer männlichen Hand gespreizt wird. Der Angeklagte äußerte sodann, die Nebenklägerin und deren Mutter „ficken“ und „ins Maul pissen“ zu wollen. Auf das von dem Angeklagten angenommene Angebot von B., er werde etwas „gutes zum erpressen“ schicken, schickte dieser in der Folge ein Alltagsbild von ihm, der Nebenklägerin und ihrer Mutter sowie Aufnahmen von Gesundheitskarten und seinem Sozialversicherungsausweis. Es folgte mit dem Hinweis, das sei Koks, eine aktuelle Lichtbildaufnahme, die seinen erigierten Penis und das zuvor präsentierte Familienbild mit Sozialversicherungsausweis sowie eine kleine transparente Tüte mit einer weißen Substanz zeigte. Anschließend versandte B. um 6:42:11 Uhr ein weiteres Bild mit einem Zettel, der in Handschrift das aktuelle Datum mit Uhrzeit 6.41 Uhr enthält und auf dem mitgeteilt ist, er sei „schwul“, ein „Sklave“ und wolle „Amy ficken“. Die nächsten versandten Bilder waren aktuelle Aufnahmen, bei denen im Hintergrund ein Computermonitor mit einem dort aufgerufenen Bild zu sehen ist, der die weinende Nebenklägerin mit einem Schnuller im Mund und dem an ihre linke Gesichtshälfte gehaltenen Penis des Chatpartners B. zeigt. Um 6.54 Uhr folgte eine weitere aktuell gefertigte Lichtbildaufnahme von einem Laptopbildschirm, worauf ein ungefähr im April 2016 aufgenommenes Bild des Glieds von B. an der Vagina der Nebenklägerin zu sehen ist.

Gegen 7.09 Uhr wollte B. den Chat beenden, weil die Mutter der Nebenklägerin gleich aufstehen würde. Gleichwohl sendeten sich beide weiterhin gegenseitig Nachrichten. So forderte der Angeklagte, in Kenntnis, dass B. für ein von ihm vorgebrachtes Begehren zu einem neuerlichen sexuellen Missbrauch der Nebenklägerin willig und fähig war, diesen auf: „ich will morgen ein Bild sehen wie dein Schwanz in ihrem kleinen Mund ist“, wobei er diese Forderung dadurch unterstrich, dass er ansonsten die ihm bereits übermittelten Bilddateien weitergeben würde. Er nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass es auch zu einem schweren sexuellen Missbrauch der Nebenklägerin kommen könnte. Nachdem B. dies zugesagt hatte, forderte der Angeklagte ein weiteres Bild: „dein Schwanz an ihrem Mund“. B. erklärte hierauf, er sei ab 11.00 Uhr mit der Nebenklägerin allein, wandte aber ein: „in den mund brüllt sie alles zusammen immer geht auch was anderes anpissen z.B. oder am Po reiben“ und ergänzte dies mit „Bitte“. Um 7.18 Uhr forderte der Angeklagte zu seiner eigenen sexuellen Befriedigung „anpissen mit mund auf“, woraufhin B. Lichtbilder und eine Videoaufnahme zusicherte. Der am nächsten Tag gestartete Versuch, B. per Chat zu erreichen, schlug fehl.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Drittbesitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen (Fälle II. 1 und II. 3 der Urteilsgründe), wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften (Fall II. 4 der Urteilsgründe) sowie Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum schweren sexuellen Kindesmissbrauch (Fall II. 2 der Urteilsgründe) verurteilt.

Hinsichtlich der letztgenannten Tat hat es im Hinblick auf die während des Chats übersandten kinderpornographischen Bilddateien Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften und angesichts der zum Ende der Kommunikation erfolgten, nicht nachweislich umgesetzten Aufforderung des Angeklagten, ein Bild „anpissen mit mund auf“ zu schicken, eine versuchte Anstiftung zum schweren sexuellen Kindesmissbrauch angenommen. Mit Blick auf die eingangs des Chats erfolgte Aufforderung zur Bildübersendung des Genitals der Nebenklägerin hat die Strafkammer eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch eines Kindes abgelehnt, weil der Angeklagte keine sexuelle Handlung an der Nebenklägerin eingefordert habe. Auch hat das Landgericht den Tatbestand einer Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift abgelehnt, weil nicht nachgewiesen sei, dass die an den Angeklagten übersandte Bilddatei keine Übersendung vorhandenen Bildmaterials gewesen sei, und auch nicht habe festgestellt werden können, dass der Angeklagte schon zu diesem Zeitpunkt mit einer aktuellen Bildanfertigung gerechnet habe.

II.

Die zulässig auf Fall II. 2 der Urteilsgründe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat im Umfang ihrer Anfechtung bereits mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1. Dem liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

a) Die Staatsanwaltschaft stellte am letzten Hauptverhandlungstag folgenden Beweisantrag:

Für den Fall, dass die Strafkammer den Nachweis für den Anklagepunkt 3 mit den in der Beweisaufnahme eingeführten Beweismitteln nicht für sicher erbracht erachten sollte, wird beantragt, B., der nunmehr den Nachnamen W. führt, geboren am 26. Mai 1988 in M., zeugenschaftlich zu vernehmen. Die ladungsfähige Anschrift ist beigefügt. Er wird bekunden, dass er das Bild seiner Tochter, bei dem er ihre Schamlippen spreizt, um deren Vagina zeigen zu können, am 8. September 2016 auf Geheiß des Angeklagten in dieser Form erstellt und ihm übersandt hat.

b) Das Landgericht hat den Hilfsbeweisantrag im Urteil zurückgewiesen, weil die Beweistatsache aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sei. Selbst wenn die Bildanfertigung durch den gesondert Verfolgten B. erst während des Chats erfolgt wäre, so lasse sich die Einlassung des Angeklagten, er sei von der Übersendung bereits vorrätigen Bildmaterials ausgegangen, gleichwohl nicht widerlegen. Vielmehr spreche für seine Einlassung der Chatverlauf, wonach der Angeklagte bloß eine Bildübermittlung eingefordert, der gesondert Verfolgte B. aber erst die Bildanfertigung zugesagt habe. Tatsächlich habe der Angeklagte zu dieser frühen Phase des Chats noch keine ersichtlich aktuell produzierten Bilder vom gesondert Verfolgten B. erhalten. Überdies habe der Angeklagte bereits ca. vier Minuten nach der Bereitschaftsbekundung des gesondert Verfolgten B. gefragt, wo dieser denn bleibe. Auch dies verdeutliche aus Sicht der Kammer, dass der Angeklagte nicht damit gerechnet habe, der gesondert Verfolgte B. werde tatsächlich Bilder des Genitals der Nebenklägerin erst anfertigen.

2. Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Hilfsbeweisantrag nicht ablehnen.

a) Das Landgericht hat den hinsichtlich „Anklagepunkt 3“ gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft zu Recht als auf Fall II. 2 der Urteilsgründe bezogenen Beweisantrag angesehen, ihn aber nicht erschöpfend gewürdigt (vgl. dazu BGH NStZ 2008, 351, 352), indem es dessen Inhalt nur auf die Erweisbarkeit einer Bildanfertigung durch B. während des Chats abgestellt hat. Denn der Beweisantrag richtet sich nach seinem Inhalt und Sinn ersichtlich auch darauf, dass die unter Beweis gestellte Erstellung der kinderpornographischen Bilddatei auf Geheiß des Angeklagten erfolgt sei. Dies ergibt sich unmissverständlich ohne Weiteres aus dem Wortlaut des Antrags.

b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Hätte der gesondert verfolgte B. bekundet, er habe das Bild erst während des Chats am 28. September 2016 und zwar „auf Geheiß“ des Angeklagten gefertigt, könnte dies Auswirkungen auf die Würdigung des Landgerichts haben, die Einlassung des Angeklagten, er sei von der Übersendung bereits vorrätigen Bilds ausgegangen, sei nicht zu widerlegen. Versteht man unter „Geheiß“ etwa Anordnung oder Anweisung, ergibt sich von selbst, dass ein solches auf die Erstellung einer neuen Aufnahme gerichtetes Verhalten des Angeklagten mit der Annahme einer auf bloße Überlassung bereits gefertigter Bilder gerichteten Einforderung nicht zu vereinbaren ist. Der Senat kann ein Beruhen im Übrigen auch vor dem Hintergrund nicht ausschließen, dass dem Urteil der vollständige Chatverlauf nicht zu entnehmen ist und schon der Nachrichtenaustausch als solcher die Beweisbehauptung belegt. Angesichts dessen erscheint es jedenfalls möglich, dass das Landgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme zu einer Verurteilung jedenfalls wegen Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornografischen Datei (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gelangt wäre.

3. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe und zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 289

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede