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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1275

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 134/22, Beschluss v. 23.06.2022, HRRS 2022 Nr. 1275


BGH 2 StR 134/22 - Beschluss vom 23. Juni 2022 (LG Köln)

Antragsfrist (minderjährige Geschädigte: Kenntnis des Vaters oder der Mutter von der Tat, Zustimmung zu der Strafanzeige); Strafzumessung (Berücksichtigung von Gesetzesverletzungen, die wegen fehlender Prozessvoraussetzung oder wegen Prozesshindernisses nicht verfolgt werden können).

§ 77b StGB; § 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die dreimonatige Antragsfrist (§ 77b Abs. 1 Satz 1 StGB) beginnt zu laufen, sobald der Vater oder die Mutter von der Tat oder dem Täter Kenntnis erlangt haben.

2. Auch Gesetzesverletzungen, die wegen des Fehlens einer Prozessvoraussetzung oder wegen eines Prozesshindernisses nicht verfolgt werden können, können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 2. Dezember 2021 im Schuldspruch dahin geändert, dass er wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Bedrohung und wegen sexueller Belästigung verurteilt ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung sowie wegen sexueller Belästigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, die er wirksam auf den Strafausspruch beschränkt hat, führt zur aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Trotz der Rechtsmittelbeschränkung auf den Strafausspruch muss die tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung in den Fällen II. 2. c) (Tat zum Nachteil der Geschädigten T.) und II. 3. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Geschädigten H.) entfallen, weil insoweit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 1993 - 3 StR 468/93, juris Rn. 3 mwN). Es fehlt jeweils an einem wirksamen Strafantrag.

a) Eine Verurteilung wegen Beleidigung setzt nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB einen Strafantrag voraus. Da die geschädigten Mädchen in den Fällen II. 2. c) und II. 3. der Urteilsgründe noch nicht 18 Jahre alt waren (UA S. 11, 14), müssen nach § 77 Abs. 3 StGB die Personen den Antrag stellen, denen jeweils die Sorge für die Person des Minderjährigen obliegt. Das sind in der Regel beide Eltern (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BGB).

b) Im Fall II. 3. der Urteilsgründe hat ausschließlich die minderjährige Geschädigte den Strafantrag gestellt (191 Js 609/21 Bl. 28 f. d.A.). Im Fall II. 2. c) der Urteilsgründe hat die Strafanzeige neben der Minderjährigen nur deren Vater erstattet (251 Js 8/21 Bl. 5 d.A.). Ob und wann die Mutter von der Tat des Angeklagten erfahren hatte, ist nicht bekannt. Darauf kommt es indes nicht an, da die dreimonatige Antragsfrist (§ 77b Abs. 1 Satz 1 StGB) zu laufen beginnt, sobald der Vater oder die Mutter von der Tat oder dem Täter Kenntnis erlangt haben (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1993 - 1 StR 299/93, BGHR StGB § 77b Abs. 2 Satz 1 Eltern 1; Urteil vom 12. März 1968 - 5 StR 722/67, BGHSt 22, 103, 104). Der Vater hat aber schon am Tattag (18. November 2020) von der Tat des Angeklagten erfahren. Die Mutter hätte deshalb bis zum 18. Februar 2021 ihre Zustimmung zu der Strafanzeige erklären müssen (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1993 - 1 StR 299/93, BGHR StGB § 77b Abs. 2 Satz 1 Eltern 1 mwN). Dies ist nicht geschehen.

2. Weitere Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Durch die Anklage der Tat vom 18. November 2020 zum Nachteil der Geschädigten T. wegen § 184i Abs. 1 StGB hat die Staatsanwaltschaft zumindest konkludent das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung im Sinne von § 184i Abs. 3 StGB bejaht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 5 StR 614/19, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 20. April 2017 - 2 StR 79/17, BGHR StGB § 230 Abs. 1 Satz 1 besonderes öffentliches Interesse 1), so dass es insoweit auf die Frage der Wirksamkeit des Strafantrages vom 18. November 2020 nicht ankommt.

3. Es ist mit Blick auf die übrigen Strafzumessungserwägungen, insbesondere die gewichtigen strafschärfenden Gesichtspunkte, auszuschließen, dass das Landgericht bei Wegfall der als tateinheitlich begangenen ausgeurteilten Beleidigungen auf niedrigere als die verhängten Strafen (sechs Monate Freiheitsstrafe im Fall II. 2. c) der Urteilsgründe und Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro im Fall II. 3. der Urteilsgründe) erkannt hätte. Denn auch Gesetzesverletzungen, die wegen des Fehlens einer Prozessvoraussetzung oder wegen eines Prozesshindernisses nicht verfolgt werden können, können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2009 - 5 StR 521/08, juris Rn. 78 [insoweit in BGHSt 54, 148 nicht abgedruckt]; Senat, Beschlüsse vom 29. Juni 1994 - 2 StR 253/94, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 12, und vom 10. Februar 1993 - 2 StR 608/92).

Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der allgemeinen Sachrüge keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler im Strafausspruch einschließlich der Versagung der Bewährung ergeben.

4. Angesichts des geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1275

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede