HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1143
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 58/21, Beschluss v. 04.08.2021, HRRS 2021 Nr. 1143
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 7. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, von der sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.
1. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung der Strafkammer, mit der sie sich die Überzeugung von der Beteiligung des Angeklagten an der Tatausführung gebildet hat, weist - auch eingedenk des insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. September 2016 - 4 StR 320/16, NStZ-RR 2016, 380) - durchgreifende Rechtsfehler auf. Sie ist lückenhaft, weil das Landgericht wesentliche Umstände nicht in seine Überzeugungsbildung einbezogen hat, und erweist sich in einem maßgeblichen Punkt auch als widersprüchlich.
a) Die Strafkammer hat sich aufgrund der Angaben der Tatopfer K. und G. ohne Rechtsfehler ihre Überzeugung vom Tathergang gebildet. Ihre weitere Annahme, es sei der Angeklagte gewesen, der zusammen mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter K. eine „Lektion“ erteilte und den Tatopfern mit einem Vierkantholz und einem Messer Verletzungen zufügte, hat das Landgericht insbesondere gestützt auf das Vorliegen eines Tatmotivs, die Täterbeschreibung durch K., nachtatliche Ereignisse sowie auf DNA-Spuren, die an einer in der Nähe des Tatorts aufgefundenen Sturmhaube gesichert und dem Angeklagten zugeordnet werden konnten. Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
b) Ohne Rechtsfehler ist die Strafkammer ferner davon ausgegangen, dass der Angeklagte ein erhebliches Motiv zur Durchführung der Tat gehabt habe; denn er habe sein Ziel, die Übernahme des Supermarkts von K. zu den Konditionen seines Vaters, erreichen wollen. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang allerdings nicht - wie es geboten gewesen wäre - erörtert, ob möglicherweise auch andere Mitglieder der Familie des Angeklagten ein Interesse an der Tat hatten, weil auch ihnen daran gelegen war, dass der Angeklagte den Supermarkt übernehmen konnte. Eine Auseinandersetzung damit lag schon deshalb nahe, weil der Angeklagte das Mehrfamilienhaus, in dem sich der Supermarkt befindet, nach den Feststellungen gemeinsam mit seinem Bruder T. erworben und es bereits vor der Tat aus dem Kreis der Familie des Angeklagten Interesse an der Übernahme des Markts bestanden hatte. Angesichts dessen, dass die Verkaufsverhandlungen auch nicht allein von dem Angeklagten geführt wurden, sondern hieran sein Bruder T. und sein Vater beteiligt waren, der schließlich auch die Summe für die Übernahme des Supermarkts festgelegt und gezahlt hatte, hätte die Strafkammer sich mit der Frage befassen müssen, ob nicht auch diese ein Motiv gehabt haben könnten, den Geschädigten durch das Erteilen einer „Lektion“ dazu zu bewegen, den Supermarkt zu den geforderten Konditionen an den Angeklagten zu übergeben. Dabei hätte das Landgericht in seine Würdigung zudem auch einbeziehen müssen, dass der Angeklagte selbst gegenüber dem Geschädigten - anders als sein Vater und ein anderer Bruder des Angeklagten - vor der Tat niemals bedrohlich aufgetreten ist.
c) Das Landgericht ist davon ausgegangen, der zur Tatzeit 27 Jahre alte Angeklagte mit einer Größe von 184 cm und von kräftiger, durchtrainierter Statur, „fülle unter jedem dieser Aspekte die Täterbescheibung aus“. Diese Feststellung lässt sich zwar mit den Angaben des Geschädigten K., selbst 193 cm groß, in Einklang bringen, der in der Hauptverhandlung angegeben hat, beide Täter seien etwas kleiner als er selbst gewesen, hätten schwarze Sturmhauben mit Sehschlitzen getragen und hätten eine kräftige, durchtrainierte Haltung gezeigt. Sie steht allerdings in Widerspruch zur Täterbeschreibung der Zeugin G., die zwar in der Hauptverhandlung die auffallend kräftige Statur der beiden Täter bestätigte, aber weiter auch „glaubhaft“ angab, beide seien kleiner als sie selbst gewesen, wobei sie 182 cm groß sei. Der darin zu Tage tretende Widerspruch, dass der 2 cm größere Angeklagte gerade nicht - wie von ihr beschrieben - kleiner als die Zeugin ist, wird von der Strafkammer nicht aufgelöst; die sich danach zudem aufdrängende Frage, ob der Angeklagte insoweit noch als möglicher Täter in Betracht kommt, wird auch im Folgenden nicht aufgegriffen.
d) Das Landgericht hat aus dem tatortnahen Fund einer Sturmhaube (mit durchgehendem Sehschlitz), an der DNA-Anhaftungen des Angeklagten sichergestellt werden konnten, geschlossen, dass der Angeklagte der Täter war, der bei der Zeugin G. geblieben war, während der Mittäter dem fliehenden K. folgte. Eine solche Sturmhaube mit durchgehendem Sehschlitz hatte der bei der Zeugin zurückbleibende Täter getragen, während der unbekannte Mittäter eine solche mit getrennten Sehschlitzen über den Kopf gezogen hatte. Das Landgericht geht trotz des Auffindens von drei Sturmhauben „zwingend“ davon aus, dass der Überfall von zwei und nicht von drei Tätern begangen worden und einer der beiden Täter der Angeklagte gewesen sei, der eben jene Haube mit durchgehendem Sehschlitz getragen habe, an der später seine DNA gefunden worden sei. Diese Feststellung der Täterschaft des Angeklagten beruht auf einer Beweiswürdigung, die wesentliche Umstände nicht aufgreift und deshalb lückenhaft ist.
(1) Unerörtert bleibt in diesem Zusammenhang zum einen, warum die beiden Täter eine dritte Sturmhaube mit sich geführt und nach der Tat auch entsorgt haben, obwohl diese nach Überzeugung der Strafkammer bei der Tat überhaupt nicht verwendet worden ist. Naheliegender Weise hätte sich die Strafkammer der Frage stellen müssen, ob es nicht womöglich einen dritten Tatbeteiligten gegeben haben könnte, der unbemerkt von den Tatopfern bei der Tat anwesend war und nicht in das Geschehen eingegriffen hat, und ob es sich bei dieser Person nicht um den Angeklagten gehandelt haben könnte. Ungeachtet dieses Erörterungsmangels fehlt es der weitergehenden Feststellung, die Sturmhaube mit den DNA-Antragungen sei von dem Angeklagten bei der Tat auch getragen worden, an einer tragfähigen Grundlage. Warum das Gegenteil mit Blick darauf, dass zwei Sturmhauben mit durchgehenden Sehschlitzen nahe des Tatorts aufgefunden wurden, aber nur eine bei der Tat Verwendung gefunden hat, „äußerst fernliegend“ sein soll, erschließt sich dem Senat nicht. Es ist jedenfalls mathematisch genauso wahrscheinlich, dass die Sturmhaube mit den DNA-Anhaftungen oder eben jene ohne verwertbare DNA bei der Tat verwendet worden ist.
(2) Nicht ausdrücklich erörtert wird zum anderen, ob es nicht auch andere Erklärungen für das tatortnahe Auffinden einer Sturmhaube mit DNA-Anhaftungen des Angeklagten geben könnte, ohne dass hiermit ohne Weiteres eine Tatbeteiligung des Angeklagten einhergehen muss. So könnten diese Spuren bereits vor der Tat auf die Sturmhaube gebracht und diese sodann von anderen möglicherweise in Betracht kommenden Tätern aus dem Umfeld des Angeklagten (s. schon oben 1.b) bei der Tat verwendet worden sein. Die insoweit im Zusammenhang mit der Ablehnung des Hilfsbeweisantrags (zur möglichen Erklärung hinsichtlich des Vorhandenseins von DNA-Spuren des Angeklagten vor der Tat) angestellte Erwägung, der Angeklagte sei unter Heranziehung sämtlicher - dargestellter und gewürdigter - Indiztatsachen „zwingend“ derjenige gewesen, der bei der Tat diese Haube getragen habe, erschöpft sich in einer formelhaften und insoweit inhaltsleeren Bestätigung des zuvor begründeten Beweisergebnisses. Sie lässt die gebotene inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob die DNA-Spuren schon vor der Tatbegehung an die Haube gekommen sein können, und bleibt jegliche nachvollziehbare Begründung für den „zwingenden“ Schluss schuldig, warum bei einer vor Tatbegehung liegenden Kontamination der Sturmhaube der Angeklagte diese gleichwohl „zwingend“ bei der Tat getragen hat.
2. Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu abweichenden Feststellungen gelangt wäre, die die Annahme einer abweichenden Beteiligung des Angeklagten an der Tat ergeben oder gar womöglich zur Verneinung einer konkreten Tatbeteiligung geführt hätten.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1143
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß