HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 630
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 537/21, Beschluss v. 16.02.2022, HRRS 2022 Nr. 630
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Februar 2021 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, unter Einbeziehung von Geldstrafen aus Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge erfolgte umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Die Rechtsfolgenentscheidung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
a) Nach den Feststellungen zur Person konsumierte der Angeklagte seit Mitte 2019 zunächst Marihuana, sodann an manchen Tagen bis zu fünf Gramm Kokain oder bis zu drei Gramm Crack. In allen drei abgeurteilten Fällen handelte der Angeklagte mit Crack, von dem die Strafkammer festgestellt hat, dass Konsumenten regelmäßig „eine schwerwiegende Abhängigkeit (entwickeln), die ihr gesamtes Leben bestimmt“. Unter Bezugnahme auf ein hinsichtlich Cannabis und Kokain positives Drogenscreening des Angeklagten bei seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt hat der Sachverständige ausgeführt, dass auch das bei dem Angeklagten nach seiner Inhaftierung aufgetretene Delir für einen Drogenkonsum spreche. Dass es „nach einigen Tagen“ in der Justizvollzugsanstalt „zu einer starken Verschlechterung des Zustandes des Angeklagten gekommen“ sei, deute auf einen Kokainentzug hin; eine Drogenabhängigkeit liege aber nicht vor. Weiter führt das Landgericht im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu den ersten beiden Taten zu Gunsten des Angeklagten aus, dass er zur Finanzierung seines eigenen Konsums mit Betäubungsmitteln handelte. Zudem war er 2020 wegen einer Betäubungsmittelstraftat verurteilt worden.
Die Frage, ob eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, hat das Landgericht nicht geprüft.
b) Eine Erörterung der Voraussetzungen des § 64 StGB drängte sich hier auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten auf. Die getroffenen Feststellungen legen den für die Unterbringung erforderlichen Hang, also eine zumindest eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen, mehr als nahe (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4 mwN).
Die weiteren Feststellungen ergeben auch nicht, dass die übrigen Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zweifelsfrei nicht vorliegen. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Taten verübt, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Dies genügt für die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - 4 StR 330/19, StV 2021, 91 f. mwN). Das Fehlen einer konkreten Erfolgsaussicht, etwa auch wegen fehlender Sprachkenntnisse (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 8. Juni 2021 - 2 StR 91/21, NStZ-RR 2022, 10 f.; BGH, Beschluss vom 9. November 2021 - 5 StR 208/21, juris Rn. 7), ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
c) Der Senat schließt aus, dass der aufgezeigte Rechtsfehler Auswirkungen auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch das Landgericht hat. Mit Blick auf die Feststellungen und Wertungen der Strafkammer zu den Taten und ? gestützt auf die weiteren, von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Ausführungen des Sachverständigen ? zur inneren Tatseite, insbesondere zur Begründung uneingeschränkter Schuldfähigkeit, liegt die Annahme, dass der Angeklagte bei den einzelnen Tatbegehungen auch nur vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB gewesen sein könnte, fern.
d) Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht. Dieses wird bei der Prüfung der hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg zu bedenken haben, dass sich dafür in einer Gesamtwürdigung von Persönlichkeit und Lebensumständen des Angeklagten konkrete Anhaltspunkte finden lassen müssen (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn. 19 m. Nachw. zur Rspr. des BGH). Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Da sich das Verfahren inzwischen nur noch gegen Erwachsene richtet, verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer zurück (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1988 - 4 StR 33/88, BGHSt 35, 267, 269).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 630
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß