HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 502
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 444/21, Beschluss v. 23.02.2022, HRRS 2022 Nr. 502
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11. Mai 2021, soweit es ihn betrifft, aufgehoben im Ausspruch über
a) die Einzelstrafen in den Fällen II. 1, II. 3 und II. 4 der Urteilsgründe,
b) die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs sowie der Einziehungsentscheidung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Das Landgericht hat bei seiner Strafrahmenwahl unter Berücksichtigung der strafmildernden und der strafschärfenden Faktoren, die es rechtsfehlerfrei festgestellt hat, unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gehilfeneigenschaft des Angeklagten (§ 27 StGB) und der sonstigen Strafzumessungserwägung einen minder schweren Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG angenommen (UA S. 89 f.). Das Landgericht hat mit Blick auf die Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG und, angesichts der erheblichen Menge an Betäubungsmitteln in den einzelnen Fällen, unter Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG, seiner Strafzumessung im engeren Sinne einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zugrunde gelegt (UA S. 90). Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
Zwar kann der durch den schweren Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 1 BtMG im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängte Tatbestand des § 29a Abs. 1 BtMG, ebenso wie der hier gleichfalls verdrängte Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, grundsätzlich eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe entfalten (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 302/13, juris Rn. 7 mwN; vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02, NJW 2003, 1679, 1680).
Die Strafkammer hat indes hier übersehen, dass für die nach dem verdrängenden und dem verdrängten Strafgesetz zu vergleichenden Mindeststrafe eine konkrete Betrachtung vorzunehmen ist, so dass vorliegend spezialgesetzliche oder im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vorgesehene Strafmilderungsgründe bei den zu vergleichenden Strafrahmen jeweils zu berücksichtigen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 18. April 2018 - 2 StR 1/18, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 3 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 5. August 2013 - 5 StR 327/13, StraFo 2013, 482; Senat, Beschluss vom 25. August 2020 - 3 StR 241/20 - juris).
Nach Ablehnung eines minder schweren Falles des § 29a Abs. 2 BtMG - den das Landgericht auch unter Berücksichtigung der Gehilfeneigenschaft abgelehnt hat (UA S. 90) - hätte das Landgericht hier bei der konkreten Betrachtung den nach §§ 27 Abs. 2, 49 StGB geminderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde legen müssen, dessen Mindeststrafe mit drei Monaten Freiheitsstrafe unterhalb der Mindeststrafe des § 30a Abs. 3 BtMG liegen würde und demnach keine Sperrwirkung mehr hätte entfalten können. Auch die Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG vermag hier keine Sperrwirkung zu entfalten. Sofern das Landgericht auch hier die Annahme eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG (Strafrahmen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) abgelehnt und den vertypten Strafmilderungsgrund daher nicht verbraucht hätte, wäre das gesetzliche Mindestmaß (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren) für die vergleichende Betrachtung der Strafrahmen gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf sechs Monate Freiheitsstrafe zu reduzieren gewesen, was der Mindeststrafe des § 30a Abs. 3 BtMG entspricht.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Zumessung der Einzelstrafen auf diesem Rechtsfehler beruht und die Strafkammer innerhalb des maßgeblichen Strafrahmens des § 30a Abs. 3 BtMG von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre. Die Aufhebung der Einzelstrafen entziehen auch der Gesamtstrafe die Grundlage.“
Dem schließt sich der Senat an. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 502
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß