HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1105
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 269/21, Beschluss v. 23.06.2022, HRRS 2022 Nr. 1105
1. Der Antrag des Angeklagten P. vom 21. Oktober 2021 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge wird auf seine Kosten als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten P. und S. gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 12. März 2021 werden als unbegründet verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt, den Angeklagten S. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten P. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge, das Rechtsmittel des Angeklagten P. auch mit Verfahrensrügen. Die Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Die Rüge des Angeklagten P., das Landgericht habe § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 273 Abs. 1a StPO verletzt, ist unzulässig.
a) Der Beschwerdeführer trägt im Kern Folgendes vor:
Auf Anregung des Gerichts fand im Anschluss an die Hauptverhandlung am ersten Sitzungstag ein Rechtsgespräch statt. Über dessen Inhalt fertigte die Vorsitzende der Strafkammer einen Vermerk an, den sie dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern per Telefax übersandte. Am zweiten Sitzungstag teilte die Vorsitzende mit, es habe ein Rechtsgespräch zwischen der Strafkammer, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern stattgefunden. Wegen des Inhalts dieses Gesprächs werde auf den Aktenvermerk verwiesen, welcher der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern zugeleitet worden sei. Eine weitere Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit fand in der Hauptverhandlung nicht statt.
Die Revision sieht darin eine Verletzung von Mitteilungs- und Protokollierungspflichten aufgrund von § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 273 Abs. 1a StPO.
b) Die Rüge ist unzulässig, denn das Revisionsvorbringen genügt nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 - 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 40). Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde.
Ist nach dem Revisionsvorbringen klargestellt, dass eine Mitteilung eines von der Strafkammervorsitzenden angefertigten Vermerks in der Hauptverhandlung nicht erfolgt ist, bedarf es zwar nicht der Darlegung des Inhalts eines richterlichen Vermerks, wohl aber der Darlegung des Gegenstands der Erörterungen, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, dass es sich um ein mitteilungspflichtiges Gespräch gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2021 - 1 StR 44/21, StraFo 2021, 428 f.). Keiner Mitteilung bedarf es, wenn Gespräche stattgefunden haben, die vom Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes nicht betroffen waren. Mitteilungspflichtig nach § 243 Abs. 4 StPO und protokollierungspflichtig nach § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO sind daher nur Erörterungen, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald Fragen des prozessualen Verhaltens von Verfahrensbeteiligten in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2017 - 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424).
bb) Nach diesem Maßstab ist das Revisionsvorbringen im Schriftsatz vom 23. Mai 2021 nicht ausreichend.
Im Einzelfall kann es zwar genügen, dass sich der Verständigungsbezug ohne weiteres aus dem vom Beschwerdeführer mitgeteilten Rahmengeschehen ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2014 - 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48). Das ist aber noch nicht der Fall, wenn von der Revisionsbegründung pauschal behauptet wird, es habe außerhalb der Hauptverhandlung „ein Rechtsgespräch“ stattgefunden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529 f.). Dasselbe gilt, wenn - wie hier - pauschal ohne Mitteilung konkreter Umstände behauptet wird, es habe ein „Gespräch mit dem Ziel einer Absprache“ stattgefunden. Zur Ermöglichung der revisionsgerichtlichen Überprüfung, ob mitteilungspflichtige Erörterungen stattgefunden haben, hat der Beschwerdeführer konkrete Tatsachen zum Gegenstand der Erörterungen vorzutragen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2017 - 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424). Daran fehlt es hier.
In dem vom Senat durch Beschluss vom 16. September 2020 - 2 StR 459/19 (NStZ-RR 2021, 180) entschiedenen Fall hatte sich aus dem dort von der Revision mitgeteilten Protokoll der Hauptverhandlung die Äußerung des Gerichts ergeben, dass „Gespräche gemäß § 257c StPO geführt wurden“. Damit war durch eine Erklärung des Gerichts, die an der Beweiskraft des Protokolls der Hauptverhandlung teilnimmt, erkennbar, dass es auch aus der Sicht des Gerichts um Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung nach § 257c StPO gegangen war. Damit ist die vorliegende Fallkonstellation nicht vergleichbar.
c) Der Antrag des Beschwerdeführers P. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung des Mangels der Verfahrensrüge ist unzulässig.
In die Revisionsbegründungsschrift vom 23. Mai 2021 sollte der Vermerk der Vorsitzenden der Strafkammer über das geführte Rechtsgespräch eingefügt werden. Dies war unterblieben. Der Beschwerdeführer beantragt mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 wegen eines Kanzleiversehens der Verteidigung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt den Aktenvermerk vor. Damit hat er keinen Erfolg.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt, wenn die Revision sonst form- und fristgemäß begründet worden ist, grundsätzlich nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2008 - 1 StR 203/08, NStZ 2008, 525; Beschluss vom 14. Januar 2021 - 1 StR 242/20, NStZ-RR 2021, 111). Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient nicht zur Heilung von Zulässigkeitsmängeln bei Verfahrensrügen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2019 - 1 StR 91/18, NStZ 2019, 625; Beschluss vom 25. November 2021 - 4 StR 103/21, BeckRS 2021, 41527); denn dies passt nicht zur Systematik der § 344 Abs. 2 Satz 2, § 345 Abs. 1 StPO. Zwar räumt der Bundesgerichtshof einem Beschwerdeführer ausnahmsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, wenn ihm durch äußere Umstände die Einhaltung der Voraussetzungen für die Einreichung einer substantiierten Verfahrensrüge nicht möglich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8. August 2001 - 2 StR 313/01; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2021 - 1 StR 242/20, NStZ-RR 2021, 111). Das betrifft insbesondere die Konstellation, dass der Verteidigung trotz Antrags und Mahnung nicht rechtzeitig eine Einsicht in Akten gewährt wird, die zur ordnungsgemäßen Begründung einer Verfahrensrüge erforderlich ist. Ein entsprechender Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
2. Die Revision des Angeklagten P. rügt weiter, das angefochtene Urteil beruhe auf der Nichtbeachtung eines Beweisverwertungsverbots wegen Verstoßes gegen § 105 Abs. 1 StPO. Auch diese Rüge greift nicht durch.
Ein Widerspruch gegen die Beweisverwertung wurde in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht nicht erhoben. Ein solcher wäre jedoch entgegen der Ansicht der Revision erforderlich gewesen. Die Rüge einer unzulässigen Verwertung von Durchsuchungsfunden erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Widerspruch in der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2018 - 5 StR 17/18, NJW 2018, 2279 f.). Davon ist der Senat entgegen der Ansicht der Revision in seinem Urteil vom 6. Oktober 2016 - 2 StR 46/15 (BGHSt 61, 266, 269 ff.) nicht abgewichen. Er hat dort nur die Berechtigung einer Befristung des Widerspruchs auf den Zeitpunkt des § 257 StPO in Frage gestellt.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1105
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede