HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1100
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 20/20, Beschluss v. 31.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1100
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte ist am 11. Februar 2020 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem 12. Februar 2020 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (1 BGs 68/20) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe im Zeitraum von Januar 2016 bis Januar 2018 in sieben Fällen gewerbsmäßig und für den Geheimdienst einer fremden Macht handelnd einem Ausfuhrverbot und einem Verkaufsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union zuwidergehandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme gedient habe, strafbar gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 7 Nr. 1 und 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 1 lit. a, Art. 2 Abs. 1 der RusslandembargoVO (EU) Nr. 833/2014 (veröffentlicht im ABl. L 229 am 31. Juli 2014), §§ 52, 53 StGB.
Aufgrund mündlicher Haftprüfung am 5. Juni 2020 hat der Ermittlungsrichter mit Beschluss vom 10. Juni 2020 (1 BGs 197/20 VSNfD) entschieden, dass der vorbenannte Haftbefehl aufrechterhalten wird und in Vollzug bleibt.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 12. Februar 2020 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Beschuldigte war im Tatzeitraum zwischen Januar 2016 und Januar 2018 alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Firma I. GmbH mit Sitz in A. Diese hatte keine weiteren tatsächlich für das Unternehmen tätigen Mitarbeiter. Namens der I. verkaufte der Beschuldigte in sieben Fällen Werkzeugmaschinen im Gesamtwert von 7.936.045 € an die russische Firma U. mit Sitz in J. (Russland) und führte sie an diese aus. Für die U. handelte deren Generaldirektor, der gesondert Verfolgte K. Die von diesem vorgegebenen Empfänger der Maschinen waren die beiden unter seinem unmittelbaren Einfluss stehenden Firmen Ur. und Z. ( ), die unter einer Firmenadresse ebenfalls in J. ansässig waren. Die in einer gesonderten Werkshalle der Ur. aufgestellten Maschinen waren für einen militärischen Endnutzer bestimmt; sie wurden von der oder für die Firma N. verwendet, die ihren Sitz in unmittelbarer Nähe hatte und Teil des staatlichen Rüstungskonzerns Al. war. Die N. war im Bereich der Trägertechnologie tätig; unter anderem befasste sie sich mit der Entwicklung von Marschflugkörpern für das Is. -Raketensystem.
Die von der I. veräußerten und exportierten Werkzeugmaschinen unterfielen den Listenpositionen 2B001 oder 2B201 des Anhangs I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009 (veröffentlicht im ABl. L 134 am 29. Mai 2009). Seit dem 31. Juli 2014 sind sowohl der Verkauf als auch die Ausfuhr derart gelisteter Güter nach Russland gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 lit. a der RusslandembargoVO (EU) Nr. 833/2014 verboten, wenn diese Güter ganz oder teilweise für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt sind oder bestimmt sein können.
K. s Beschaffungen wurden durch einen russischen Geheimdienst beaufsichtigt und gesteuert. Die U. war in diesen eingebunden. K. betrieb in Deutschland ein konspirativ arbeitendes Beschaffungsnetzwerk, bestehend aus drei Lieferfirmen, unter anderem der I., sowie einer Spedition. Er erhielt Anweisungen von einem „Lui“ genannten Hintermann, bei dem es sich um seinen - dem Beschuldigten bekannten - nachrichtendienstlichen Auftraggeber handelte.
Bei den Verkäufen und Ausfuhren rechnete der Beschuldigte mit einer militärischen Endverwendung durch die N., ebenso mit der Beaufsichtigung und Steuerung von K. s Beschaffungen durch einen russischen Geheimdienst. Als alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der I. wollte er sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen.
Im Einzelnen beging der Beschuldigte die folgenden sieben Taten:
aa) Verkauf und Ausfuhr eines High speed center, im Wert von 973.990 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B001b, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Ur.“ am 23. Januar 2016. Die Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) vom 22. Oktober 2015, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Laufschaufeln für Gasturbinen (Fall 1).
bb) Verkauf und Ausfuhr von zwei Bearbeitungszentren im Wert von 704.720 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B001, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Ur.“ am 20. und 22. Januar 2016. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 3. November 2015, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Teilen für Gasturbinen (Fall 2).
cc) Verkauf und Ausfuhr von zwei Bearbeitungszentren und drei Bearbeitungszentren im Gesamtwert von 1.638.515 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenpositionen 2B201a und 2B001, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Ur.“ am 27. November, 2. und 9. Dezember 2016. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 27. Juli 2016, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Teilen für Gasturbinen (Fall 3).
dd) Verkauf und Ausfuhr von zwei Bearbeitungszentren im Wert von 1.364.400 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B001, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Z.“ am 16., 18. und 28. Mai 2017. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 26. Januar 2017, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Metallteilen (Fall 4).
ee) Verkauf und Ausfuhr von zwei Bearbeitungszentren im Wert von 1.284.590 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B001, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Z.“ am 7., 8. und 11. Juli 2017. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 4. Mai 2017, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Metallteilen (Fall 5).
ff) Verkauf und Ausfuhr von zwei Bearbeitungszentren im Wert von 1.284.590 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B001, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Z.“ am 18. und 20. Januar 2018. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 4. Mai 2017, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Bauteilen und Baugruppen für die Öl- und Gasförderung, metallurgische Ausrüstung, Stromerzeugung und Bergbauausrüstung (Fall 6).
gg) Verkauf und Ausfuhr eines Bearbeitungszentrums im Wert von 685.240 €, erfasst von Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009, Listenposition 2B201A, an die U. mit dem angeblichen Endverwender „Z.“ am 12. Januar 2018. Die Ausfuhrgenehmigung des BAFA vom 23. August 2017, Antragsnummer , wurde mit der Behauptung erschlichen, Verwendungszweck sei die Herstellung von Bauteilen und Baugruppen für die Öl- und Gasförderung (Fall 7).
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus einer Gesamtschau der bisherigen Ermittlungsergebnisse, von denen vor allem folgende von besonderer Bedeutung sind:
Die geschilderten sieben Ausfuhrvorgänge werden namentlich durch die die Ausfuhranträge betreffenden Schriftstücke und die erfassten zollamtlichen Daten, ferner durch die Angaben des Beschuldigten als Exporteur sowie die Ausfuhrgenehmigungen belegt. Die Annahme, dass sich diese Vorgänge mit hoher Wahrscheinlichkeit auf gelistete Güter bezogen, die für eine Verwendung im militärischen Bereich geeignet waren, beruht insbesondere auf den fachtechnischen Bewertungen des BAFA.
Die militärische Endverwendung der ausgeführten Werkzeugmaschinen und die Zuordnung der Endverwender zum militärischen Bereich ergeben sich unter anderem aus nachrichtendienstlichen Erkenntnissen. Durch G10- und Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen ist das hohe Maß an Konspiration aufgedeckt worden, das den Beschaffungen zugrunde lag; so wurden noch nach den Taten mehrfach Behörden - etwa über die Identität des Empfängers von Gütern oder dessen Zugehörigkeit zur Rüstungsindustrie - getäuscht. Dass die Ur. und die Z. ( ) auch tatsächlich Endverwender der ausgeführten Werkzeugmaschinen waren, ist schon nicht plausibel. Im Zeitraum von Januar 2014 bis Dezember 2019 wurden ausweislich der Ausfuhranmeldungen 63 hochwertige Werkzeugmaschinen an die beiden Unternehmen exportiert. Eine Endverwendung durch diese scheint im Hinblick auf die Firmenprofile und die Jahresumsätze der Unternehmen (nach dem Verteidigungsvorbringen: 8,87 Mio. € und 1,86 Mio. €) kaum nachvollziehbar. Aus dem jeweiligen E-Mail-Verkehr des Beschuldigten und des K. folgt, dass die N. nicht nur vorab technische Spezifikationen für die Werkzeugmaschinen, sondern auch nachträglich Beanstandungen in Bezug auf sie vornahm. Zwischenzeitlich hat ermittelt werden können, dass sich eine der im Fall 2 gelieferten Maschinen tatsächlich auf dem Gelände der N. befand.
Die Steuerung der einzelnen Geschäfte durch einen russischen Geheimdienst ergibt sich nach Aktenlage zunächst aus G10-Erkenntnissen zu dem Hintermann namens „Lui“. Es besteht die starke Vermutung, dass es sich bei diesem um K. s nachrichtendienstlichen Auftraggeber handelte.
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der subjektiven Tatseite beruht auf den Angaben des Mitbeschuldigten O. sowie den Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung. Des Weiteren ist eine E-Mail des Beschuldigten gesichert worden, die naheliegend dahin zu verstehen ist, dass er um die N. als Endverwender positiv wusste.
Wegen weiterer Einzelheiten zu den Beweisergebnissen wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 5. August 2020 und im Abschlussvermerk des Zollkriminalamts vom 29. Juli 2020, welche die zutreffende Bewertung in dem Haftbefehl vom 12. Februar 2020 sowie in dem Haftfortdauerbeschluss vom 10. Juni 2020 ergänzen und fortschreiben.
c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter a) geschilderte Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass der Beschuldigte der gewerbsmäßigen sowie geheimdienstlich gesteuerten Zuwiderhandlung gegen ein Verkaufsverbot und ein Ausfuhrverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen Sanktionsmaßnahme diente, in sieben Fällen dringend verdächtig ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 7 Nr. 1 und 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 1 lit. a, Art. 2 Abs. 1 der RusslandembargoVO [EU] Nr. 833/2014, §§ 52, 53 StGB). Mit dem Verkauf und der Ausfuhr der im Anhang I der DualUseVO (EG) Nr. 428/2009 unter den Positionen 2B001 oder 2B201 gelisteten Güter nach Russland zur militärischen Endverwendung verstieß er gegen das Verkaufs- und das Ausfuhrverbot nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 lit. a der RusslandembargoVO (EU) Nr. 833/2014. Die Zuwiderhandlung gegen das Verkaufs- und diejenige gegen das Ausfuhrverbot stehen zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz (s. BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, NJW 2014, 3047 Rn. 16).
Auf der Grundlage des geschilderten Sachverhalts verwirklichte der Beschuldigte neben dem Qualifikationstatbestand des gewerbsmäßigen Handelns nach § 18 Abs. 7 Nr. 2 Alternative 1 AWG (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2019 - 3 StR 413/18, juris Rn. 26 ff. [insoweit in NStZ 2019, 736 nicht abgedruckt]) denjenigen des Handelns für den Geheimdienst einer fremden Macht nach § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG. Der Gesetzgeber hat diese seit dem 1. September 2013 gültige Qualifikation geschaffen, um „der erhöhten Gefährlichkeit einschlägiger Beschaffungsoperationen bei geheimdienstlicher Steuerung“ zu begegnen (BT-Drucks. 17/11127 S. 26). Wie für eine Strafbarkeit wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 StGB bedarf es für § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG keiner organisatorischen Eingliederung des Täters in den fremden Geheimdienst (s. Erbs/Kohlhaas/Diemer, 231. EL, § 17 AWG Rn. 18; zu § 99 Abs. 1 StGB vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1972 - 3 StR 4/71 II, BGHSt 24, 369, 372). Da diese Qualifikation anders als § 99 Abs. 1 StGB keine geheimdienstliche Tätigkeit, sondern nur ein schlichtes Handeln für den fremden Geheimdienst voraussetzt, ist für sie auch nicht zu verlangen, dass das Tun des Täters zu einer funktionellen Eingliederung in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes führt (s. Morweiser in Wolffgang/Simonsen, WAR-Kommentar, 61. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 114; Stein/Thoms in Rüsken, Zollrecht, 193. EL, § 17 AWG Rn. 28; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45; ferner GJW/Cornelius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 17 AWG Rn. 26; Erbs/Kohlhaas/Diemer aaO). Die abweichende Auslegung des § 99 Abs. 1 StGB ergibt sich gerade aus der Beschreibung der tatbestandlichen Handlung als geheimdienstlicher Tätigkeit; denn hieraus folgt, dass nicht jedes Handeln für einen fremden Geheimdienst dieses Strafgesetz verletzen kann, sondern es einer gewissen Mindestqualität des Tuns bedarf (s. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - StB 4/06, NStZ 2007, 93 Rn. 3 mwN).
Für § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG ist es jedenfalls ausreichend, wenn sich die Tat als Ausfluss der Einbindung des Täters lediglich in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur darstellt (s. MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45). So liegt es nach Aktenlage hier. K. betrieb in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit ein konspirativ arbeitendes Beschaffungsnetzwerk, in das sich der Beschuldigte einfügte und an dem er mitwirkte; diese Form der Beschaffungen wurde durch einen russischen Geheimdienst beaufsichtigt und gesteuert. Unter welchen Voraussetzungen über den Fall der Einbindung in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur hinaus ein tatbestandsmäßiges Handeln für den Geheimdienst einer fremden Macht vorliegen kann, bedarf infolgedessen keiner Klärung.
Offenbleiben kann auch, ob der Beschuldigte aufgrund der mutmaßlichen Zugehörigkeit der N. zur - im Anhang I unter „Einrichtungen“ Nr. 21 der UkraineVO (EU) Nr. 269/2014 gelisteten - Al. darüber hinaus dringend verdächtig ist, dem unionsrechtlichen Bereitstellungsverbot nach Art. 2 Abs. 2 dieser Verordnung zuwidergehandelt und sich hierdurch ebenfalls gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 7 Nr. 1 und 2 Alternative 1 AWG strafbar gemacht zu haben.
2. Die Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts und die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zum Erlass des Haftbefehls folgen aus § 142a Abs. 1 Satz 1 und 2, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. a GVG, § 169 Abs. 1 StPO.
Die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen waren geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Die Sache hat besondere Bedeutung, weil die Taten sowie die ihnen innewohnenden und sie begleitenden Umstände vor dem Hintergrund des gegen Russland verhängten Waffen- und Wirtschaftsembargos einen gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen und das Risiko einer Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft begründen. Das gilt umso mehr, als zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die ausgeführten Güter für eine militärische Verwendung im Bereich der Trägertechnologie bestimmt und geeignet waren. Mithin haben die Tatvorwürfe auch eine die Bundesrepublik Deutschland betreffende sicherheitspolitische Dimension, die eine Verfolgung durch die Strafgerichtsbarkeit des Bundes gebietet.
3. Die weiteren allgemeinen Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft liegen vor.
a) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit einer erheblichen Haftstrafe zu rechnen. Für jede der sieben Taten sieht § 18 Abs. 7 AWG als Strafrahmen Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) vor. Das Maß der Tatschuld wird bestimmt durch den Zeitraum und den Umfang der vom Beschuldigten betriebenen Ausfuhrgeschäfte sowie den Wert der betroffenen Güter und das Ausmaß deren potentiellen militärischen Nutzens, ferner durch den diesen Geschäften innewohnenden gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Dem von der Straferwartung ausgehenden hohen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Eine berufliche Bindung des Beschuldigten an Deutschland besteht nicht. Seine unternehmerische Existenz beschränkte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Geschäftsbeziehung zu K. .
Der Beschuldigte verfügt allerdings nach bisherigen Erkenntnissen über die finanziellen Möglichkeiten, sich dem weiteren Strafverfahren durch Flucht zu entziehen. Er spricht die russische Sprache, hat gute Kontakte nach Russland und würde im Fall einer Flucht voraussichtlich durch russische Stellen unterstützt werden (zum notwendigen Beweismaß für die die Fluchtgefahr begründenden tatsächlichen Umstände vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37). Die familiäre Bindung des Beschuldigten an Deutschland kann - ungeachtet deren Stabilität (s. hierzu Haftbefehl vom 12. Februar 2020 S. 15 und Haftfortdauerbeschluss vom 10. Juni 2020 S. 10) - die Fluchtgefahr nicht ausräumen.
Da der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt, kann dahinstehen, ob der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) zu Recht angenommen hat.
b) Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
c) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
4. Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Trotz der - der Verfahrensbeschleunigung dienenden - Beschränkung der Ermittlungen auf die Ausfuhr gelisteter Güter an den Endempfänger N. haben der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Ermittlungsverfahren ist mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:
Es richtet sich derzeit gegen drei Beschuldigte, ursprünglich auch gegen den nunmehr gesondert Verfolgten K. Die Sachakten umfassen mittlerweile 23 Stehordner. Bei der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten sowie weiterer Wohn- und Firmenräumlichkeiten zwischen dem 11. Februar und dem 10. März 2020 ist umfangreiches schriftliches und elektronisches Beweismaterial sichergestellt worden; dieses hat gesichtet und ausgewertet werden müssen. Das Zollkriminalamt hat die Ermittlungen vom 23. März bis zum 22. Mai 2020 aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise nur mit eingeschränktem Personalaufwand durchführen können; denn in diesem Zeitraum ist dort zur Sicherstellung der Dienstfähigkeit ein Schichtbetrieb im wöchentlichen Wechsel mit jeweils 50% des Personals eingerichtet gewesen. Gleichwohl hat das Zollkriminalamt seine Ermittlungen am 3. August 2020 mit der Vorlage der Ermittlungsakten abgeschlossen. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, dass die Anklage derzeit erarbeitet wird.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1100
Externe Fundstellen: StV 2021, 578
Bearbeiter: Christian Becker