HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 979
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 142/20, Beschluss v. 01.07.2020, HRRS 2020 Nr. 979
1. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Cochem vom 15. November 2019 in der Fassung vom 3. Dezember 2019 - 3 Ls 2060 Js 14249/19 jug - wird aufgehoben.
2. Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Cochem zuständig.
Die Jugendschöffengerichte der Amtsgerichte Cochem und Saarbrücken streiten über die Zuständigkeit für die weitere Verhandlung und Entscheidung in einer Jugendstrafsache.
1. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat am 9. Mai und 23. Juli 2019 jeweils beim Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Cochem Anklage gegen den zu den jeweiligen Tatzeiten noch nicht 21 Jahre alten Angeklagten wegen Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung, Betruges u.a. erhoben. Das Amtsgericht Cochem hat mit Beschluss vom 19. September 2019 diese beiden Verfahren sowie ein weiteres - bereits vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Cochem eröffnetes - Verfahren gegen den Angeklagten verbunden, die Anklagen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 15. November 2019 hat das Amtsgericht Cochem das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Koblenz zunächst an das Amtsgericht St. Wendel und sodann am 3. Dezember 2019 an das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Saarbrücken abgegeben, weil der Angeklagte seinen Wohnsitz seit dem 1. Oktober 2019 im dortigen Bezirk habe.
Das Amtsgericht Saarbrücken hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weil sie - im Einzelnen ausgeführt - nicht sachdienlich sei. Das Amtsgericht Cochem hat das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 5. Februar 2020 dem Bundesgerichtshof als gemeinschaftlichem oberen Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Jugendgerichten bestehenden Streits gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 108 Abs. 1 JGG als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil die Amtsgerichte Cochem und Saarbrücken in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.
3. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG vor, weil der Angeklagte seinen Aufenthaltsort dauerhaft nach Anklageerhebung gewechselt hat. Die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Saarbrücken ist jedoch nicht sachgerecht. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift vom 5. Mai 2020 u.a. Folgendes ausgeführt:
„Die Abgabe, die im richterlichen Ermessen steht, erweist sich hier jedoch als unzweckmäßig. Auch Heranwachsende sollen sich zwar grundsätzlich vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt. Hiervon ist allerdings abzusehen, wenn die Abgabe mit erheblichen Verfahrenserschwernissen verbunden wäre. Eben dies ist hier der Fall. Der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts in Cochem ist bereits mit dem Verfahren vertraut, nachdem er über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden (vgl. Bl. 103 d. A.) und die für den 18. Dezember 2019 terminierte Hauptverhandlung vorbereitet hat (Bl. 106 ff. d. A.). Der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts in Saarbrücken müsste sich hingegen erst in die Sache einarbeiten. […] Zwar hätte der Angeklagte im Falle einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Cochem einen erhöhten Reiseaufwand. Dies ist einem mittlerweile 22-Jährigen aber durchaus zuzumuten. In Anbetracht dessen erscheint es sachgerecht, die Zuständigkeit für die Untersuchung und Entscheidung der Sache beim Amtsgericht - Jugendschöffengericht - in Cochem zu belassen.“
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Hinzu kommt, dass beide Amtsgerichtsbezirke räumlich nahe beieinanderliegen, sodass der Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe hier keine ins Gewicht fallende Bedeutung hat (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 1996 - 1 Ws 150/96, NStZ-RR 1996, 348; Eisenberg/Kölbl, JGG, 21. Aufl. § 42 Rn. 19). Dass das Erscheinen des Angeklagten vor dem Amtsgericht Cochem mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein könnte, ist nicht ersichtlich. Zudem wohnt die überwiegende Anzahl der in Betracht kommenden Zeugen in Rheinland-Pfalz, sodass es auch unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll erscheint, die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Cochem durchzuführen. Eine Übertragung der Sache auf das Amtsgericht Saarbrücken würde unter den gegebenen Umständen nur die Gefahr einer weiteren unnötigen Verzögerung des Verfahrens begründen. Dies soll in den gegen Jugendliche und Heranwachsende gerichteten Verfahren gerade vermieden werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 979
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner