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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 852

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 443/20, Beschluss v. 11.05.2021, HRRS 2021 Nr. 852


BGH 2 StR 443/20 - Beschluss vom 11. Mai 2021 (LG Gera)

Verminderte Schuldfähigkeit (voneinander abweichende Gutachten: Darstellungsmangel; rechtsfehlerfreie Prüfung: Darlegung der Blutalkoholkonzentration, mittlerer Abbauwert darf der Berechnung nicht zugrunde gelegt werden; Alkoholgewöhnung).

§ 21 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine rechtsfehlerfreie Prüfung des § 21 StGB setzt die Darlegung voraus, von welcher Blutalkoholkonzentration dabei ausgegangen wird. Ein mittlerer Abbauwert darf dabei der Berechnung nicht zugrunde gelegt werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Juli 2020

a) im Schuldspruch dahingehend klargestellt, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in zwei tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall in weiterer Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, schuldig ist,

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung in einem Fall und in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision führt zur Korrektur des Schuldspruchs und zur Aufhebung im Strafausspruch; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen und beruht - wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen ausgeführt hat - auf einer im Ergebnis nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Allerdings hat der Senat den Schuldspruch entsprechend der Anregung des Generalbundesanwalts neu gefasst.

2. Der Strafausspruch hingegen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat mit nicht tragfähiger Begründung das Vorliegen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB ausgeschlossen.

a) Dem Angeklagten ist um 3:34 Uhr eine Blutprobe mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,51 Promille entnommen worden. Die Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt ergab nach Angaben des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen Prof. K. eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,87 Promille und höchstens 2,44 Promille; der Mittelwert habe danach knapp über 2 Promille gelegen. Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, es sei nicht zu erkennen, dass sich der Angeklagte in einem Zustand der erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit befunden haben müsse; im Ergebnis gehe er lediglich von einer deutlich alkoholbedingten Enthemmung aus. Der weiter zur Frage der Schuldfähigkeit gehörter Sachverständiger Dr. H. gelangte zu einem davon abweichenden Ergebnis; er konnte „hinsichtlich des Alkoholkonsums eine verminderte Schuldfähigkeit nicht ausschließen“.

Die Strafkammer hat den Ausführungen des aus ihrer Sicht äußerst erfahrenen Sachverständigen Prof. K., der seit Jahren zur Beantwortung rechtsmedizinischer Fragen auch im Hinblick auf die Auswirkungen von Alkohol vor ihr auftrete, den Vorzug gegeben. Es sei für sie ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Sachverständige Prof. K. annehme, eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit habe aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nicht vorgelegen. Dies lege das Agieren des Angeklagten nahe. Nach den Angaben der hierzu gehörten Polizeibeamten habe er keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Er habe trotz gefesselter Hände und der gegebenen Alkoholisierung sicher stehen können. Zudem habe er mit den Polizeibeamten kommunizieren und habe ihren Anweisungen folgen können.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es bei der Bewertung voneinander abweichender Gutachten erforderlich, dass der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen im Urteil wiedergibt (BGH NStZ 1981, 488; NStZ 2006, 296). Er ist gehalten, die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen eines Gutachtens anknüpfen, und die Schlussfolgerungen selbst wenigstens insoweit im Urteil mitzuteilen, als dies zum Verständnis der Gutachten und zur Beurteilung ihrer gedanklichen Schlüssigkeit für das Revisionsgericht erforderlich ist (vgl. BGHSt 8, 113, 118; 12, 311, 314 f.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat zu der Frage, ob der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat, zwei Sachverständige angehört, aber nur hinsichtlich des Sachverständigen Prof. K. mitgeteilt, auf welche Erwägungen dieser sein Ergebnis gestützt hat. Die Überlegungen des Sachverständigen Dr. H., mit denen dieser zu einem abweichenden Ergebnis gelangt ist, dem das Landgericht nicht gefolgt ist, werden in den Urteilsgründen nicht erwähnt. Auch den knappen Erwägungen, mit denen das Landgericht - gestützt auf den Sachverständigen Prof. K. - das Vorliegen einer erheblichen verminderten Schuldfähigkeit ausgeschlossen hat, ist nicht zu entnehmen, was Dr. H. zu seiner Schlussfolgerung bewogen und warum das Landgericht diese Einschätzung nicht geteilt hat. Dass Prof. K. aus Sicht des Landgerichts ein äußerst erfahrener Sachverständiger ist, vermag das notwendige Vorbringen zum Gutachten des Dr. H. nicht zu ersetzen. Der Senat kann anhand der Ausführungen in den Urteilsgründen nicht nachvollziehen, ob die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB auf tragfähigen Erwägungen beruht.

c) Der Darstellungsmangel wirkt sich nur auf den Strafausspruch aus. Der Senat kann mit Blick auf die Feststellungen zum Tatgeschehen ausschließen, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat, ebenso, dass der Tatrichter, der die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten bei der Erörterung des Tötungsvorsatzes berücksichtigt hat, bei möglicher Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten ausgeschlossen hätte.

3. Für die neue Hauptverhandlung, zweckmäßigerweise mit einem neuen Sachverständigen, weist der Senat darauf hin, dass eine rechtsfehlerfreie Prüfung des § 21 StGB die Darlegung voraussetzt, von welcher Blutalkoholkonzentration dabei ausgegangen wird. Ein mittlerer Abbauwert darf dabei der Berechnung nicht zugrunde gelegt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 2 StR 221/01). Im Übrigen wird bei der Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten eine mögliche Alkoholgewöhnung zu erörtern sein, vor deren Hintergrund das äußere Leistungsverhalten womöglich abweichend zu beurteilen sein könnte (vgl. dazu Senat, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 2 StR 115/15, juris Rn. 19; Fischer, StGB, 64. Auf., § 20 Rn. 23a). Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte bereits im Jahr 2017 in der Kinderund Jugendpsychiatrie wegen seines zunehmenden Alkohol- und Cannabiskonsums in Behandlung war.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 852

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 558; NStZ-RR 2021, 295; StV 2022, 3; StV 2022, 45

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß