HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 294
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 329/20, Beschluss v. 28.04.2022, HRRS 2023 Nr. 294
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 23. Januar 2020,
a) soweit es ihn betrifft, aufgehoben, im Fall 3 der Urteilsgründe mit den Feststellungen; im Übrigen (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe) bleiben die Feststellungen aufrechterhalten,
b) soweit es den Angeklagten Sh. betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Körperverletzung schuldig ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (Fall 1 der Urteilsgründe), wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit räuberischer Erpressung sowie mit Körperverletzung (Fall 2 der Urteilsgründe) und wegen Körperverletzung (Fall 3 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Den Angeklagten Sh., der keine Revision eingelegt hat, hat es unter Freisprechung im Übrigen (Fall 3 der Urteilsgründe) wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe) zu einem Jugendarrest von vier Wochen verurteilt, der durch erlittene Untersuchungshaft als vollstreckt gilt. Außerdem hat es eine Verwarnung gegen den Nichtrevidenten ausgesprochen und ihm eine Weisung erteilt. Die Revision des Angeklagten S. hat im Wesentlichen, mit Ausnahme teilweise aufrecht erhaltener Feststellungen, den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Hinsichtlich des Nichtrevidenten führt sie nach § 357 StPO zu einer Konkurrenzkorrektur im Schuldspruch.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der später Geschädigte F. verkaufte ab Sommer 2018 Betäubungsmittel, die er von dem gesondert verfolgten R. auf Kommission erhielt. Im März 2019 hatte F. bei R. Schulden in Höhe von 3.600 €. Der Angeklagte S. hatte R. 650 € geliehen, die er dringend zurückerhalten wollte; jedoch war dieser nicht zahlungsfähig. S. wusste aber, dass F. wiederum R. Geld schuldete.
Vor diesem Hintergrund entschlossen sich R. und S. gemeinsam dazu, Druck auf F. auszuüben, um ihn zur Zahlung zu bewegen. Sh. wollte die beiden unterstützen.
a) Am 8. April 2019 teilte der Angeklagte S. dem Geschädigten F. mit, dass er mit ihm über seine Schulden sprechen wolle. S. holte F. gegen 18.30 Uhr an seiner Wohnung ab, nachdem er Sh. angerufen hatte, der seinerseits R. darüber informierte, dass S. mit F. zur D. schule in F. fahre. Kurz darauf trafen alle dort ein. R., S. und Sh. postierten sich um F. herum. R. forderte von F. aufgrund eines gemeinsam mit dem Angeklagten S. entwickelten Tatplans einen Geldbetrag in einer willkürlich überhöhten Größenordnung von 12.000 bis 15.000 €. R. schlug F. mehrfach ins Gesicht. Der Angeklagte S. forderte den Geschädigten auf, zunächst drei Handyverträge auf seinen Namen abzuschließen und die Handys auszuhändigen. Aus Angst vor den Tätern versprach F. aber, dass er einen Kredit aufnehmen werde, um die geltend gemachte Forderung zu erfüllen. Daraufhin ließen die Täter von ihm ab und gingen davon aus, dass F. bald zahlen werde „und sie alles Erforderliche dafür getan hätten“. F. meldete sich in der Folgezeit nicht mehr und zahlte nicht. Zwischen S. und R. bestand danach weiterhin Einvernehmen darüber, F. bei sich bietender Gelegenheit erneut zur Zahlung zu zwingen (Fall 1 der Urteilsgründe).
b) Am 17. Mai 2019 war F. gegen 23.40 Uhr mit Freunden in F. unterwegs. Die früheren Mitangeklagten C. und J. befanden sich ebenfalls in der Stadt, wo sich ihnen R. anschloss. Die Gruppen trafen zufällig aufeinander. C. sprach F. an, weil er um dessen „Schulden“ wusste. R. schrie F. an und forderte ihn auf, mit ihm in die nahegelegene gasse zu kommen. F. folgte dieser Aufforderung, weil er Aufsehen vermeiden wollte. Auch C. folgte den beiden. In der gasse versetzten R. und C. dem Geschädigten jeweils einen Schlag ins Gesicht. Dann rief R. den Angeklagten S. an, da man F. „habe“. R. wollte die Geldforderung vorantreiben und drohte F. mit den Worten: „Ich stech dich ab, wenn du nicht anfängst dich zu melden und das Geld zu zahlen“ … „oder deiner Mutter oder Schwester passiert auch was“. Außerdem drohte er F. an, ihn zu erstechen, wenn er zur Polizei gehe. Nach wenigen Minuten kam der Angeklagte S. herbei, schlug F. ins Gesicht und forderte ihn dazu auf, ihm seine Geldbörse auszuhändigen. Daraus entnahm S. 50 € und steckte sie ein. Dann forderte er den Geschädigten F. auf, in sein Fahrzeug einzusteigen; die anderen Tatbeteiligten kamen hinzu. F. saß danach auf dem Rücksitz und C. rechts sowie J. links neben ihm. S. führte das Fahrzeug und R. war Beifahrer. Sie fuhren zum Parkplatz des t. Sportvereins. Unterwegs ergriff R. den Geschädigten F. am Hals. C. nahm dessen Mobiltelefon an sich, um in Erfahrung zu bringen, wie F. künftig zu erreichen war; danach gab er das Mobiltelefon zurück. Während der Fahrt wurde Sh. telefonisch zu dem Parkplatz beordert. Allen war bewusst, dass dort weiter wegen der Forderung auf F. eingewirkt werden sollte. Auf dem Vereinsparkplatz stiegen alle aus und die Tatbeteiligten postierten sich im Halbkreis um den Geschädigten. Zuerst schlugen R. und S. diesem mit den Händen ins Gesicht; dann holte R. einen Teleskopschlagstock hervor und schlug damit gegen den Oberkörper und die Oberarme des Geschädigten. Für die anderen unerwartet forderte R. den Geschädigten F. auf, sich zu entkleiden, was dieser aus Angst tat. R. stieß ihn auf die Knie und versuchte, dem Geschädigten den Teleskopschlagstock in den Anus zu stecken; er stieß aber gegen dessen Steißbein, sodass F. aufstöhnte. Aufgrund des Schmerzlauts glaubten die anderen, dass der Schlagstock eingedrungen sei. Der Angeklagte S. äußerte zu F., wenn er nicht zahle, würden sie seine Mutter und seiner Schwester entführen und dazu zwingen, „auf den Strich“ zu gehen. Außerdem verlangte er von F., dass dieser bis zum Folgetag 5.000 € und danach monatliche Raten von 1.000 € zahlen solle. Unter dem Eindruck des Geschehens sagte F. dies zu. Darauf ließen die Angreifer von ihm ab. F. zahlte in der Folge aber nicht (Fall 2 der Urteilsgründe).
c) Am 2. Juni 2019 war F. auf dem Sportplatz des Vereins Fr. F. Er traf dort auf den Angeklagten S. und dessen Freundin. S. schlug F. mit der Faust ins Gesicht, nachdem er ihn vergeblich aufgefordert hatte, mit ihm zu kommen. Der Zeuge K. bemerkte den Streit und griff schlichtend ein; er ging danach davon aus, dass keine Auseinandersetzung mehr drohe, und wandte sich ab. Einige Minuten später kam der Angeklagte S. mit R. und Sh. zurück. Sie forderten F. auf, seine „Schulden“ zu begleichen. Weil F. erwiderte, dass er das Geld nicht habe, kamen sie schließlich überein, dass er seine Schulden durch Drogenfahrten abarbeiten solle. F. reagierte aber auch in der Folgezeit nicht (Fall 3 der Urteilsgründe).
d) Im gesamten Tatzeitraum versuchten R. und der Angeklagte S., des Geschädigten habhaft zu werden. Dazu bauten sie ein Netzwerk von Personen auf, die nach ihm Ausschau hielten. Nach dem 2. Juni 2019 kam es aber nicht mehr zu einer weiteren Konfrontation.
2. Das Landgericht hat die Taten des Angeklagten S. in den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe wegen der zeitlichen und räumlichen Zäsuren und der Unterschiede in den Einzelheiten des Geschehensablaufs als rechtlich selbständige Handlungen bewertet. Im Fall 3 der Urteilsgründe komme eine Verurteilung wegen einer versuchten Erpressung nicht in Betracht; es sei nicht festzustellen, dass die Täter das Ziel der Forderungseintreibung durch Nötigungsmittel weiterverfolgt hätten.
Das Rechtsmittel ist begründet, soweit es um die Konkurrenzannahmen geht.
1. a) Für Erpressungsfälle geht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat zu werten sind, wenn lediglich die ursprüngliche Drohung den Umständen angepasst und aktualisiert, im Kern aber dieselbe Leistung gefordert wird. Die rechtliche Bewertungseinheit endet erst, wenn der Täter sein Ziel vollständig erreicht hat oder wenn nach den insoweit entsprechend heranzuziehenden Wertungen des Rücktrittsrechts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369; Beschluss vom 7. November 2013 - 4 StR 340/13, StV 2014, 284, 285; Urteil vom 19. Dezember 2019 - 1 StR 293/19).
b) So liegt es nach den getroffenen Feststellungen in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe. Auf die zeitlichen und räumlichen Unterschiede sowie die Einzelheiten der Handlungskonstellationen kommt es nicht an. Im Kern haben R. und der Angeklagte S. jeweils versucht, den Geschädigten durch Gewalt gegen seine Person oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Erfüllung der zumindest überwiegend rechtswidrigen Geldforderung zu nötigen. Dabei handelt es sich um dieselbe Tat in sukzessiver Tatbegehung.
c) Im Fall 3 der Urteilsgründe hat sich das Landgericht zwar nicht davon überzeugt, dass es um die Fortsetzung der Verfolgung desselben Ziels gegangen sei. Die Beweiswürdigung dazu steht jedoch im Widerspruch zu der Feststellung, dass die Angeklagten im gesamten Tatzeitraum ein Netzwerk aufgebaut und unterhalten hatten, um des Geschädigten immer wieder habhaft werden zu können und damit die Erfüllung der von ihnen aufgestellten Forderung weiter zu verfolgen. Dieser Widerspruch wird in den Urteilsgründen nicht aufgelöst und erweist sich daher als Rechtsfehler der Beweiswürdigung. Diese ist im Übrigen auch lückenhaft, denn das Landgericht hat nicht geprüft, warum der Angeklagte S. im Fall 3 der Urteilsgründe schließlich auch R. und Sh. hinzugezogen hat. Das erscheint nur verständlich, wenn es immer noch um die Verfolgung der Zahlungsforderung durch Erneuerung der Drohkulisse mit einer Überzahl an Personen ging.
2. Die Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang.
a) In den Fällen 1 und 2 liegt jeweils ein Wertungsfehler im angefochtenen Urteil vor, so dass die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufrecht erhalten bleiben können; insoweit ist die weitergehende Revision zu verwerfen.
b) Eine Konkurrenzkorrektur durch Schuldspruchänderung des Senats scheidet aus, weil im Fall 3 der Urteilsgründe der aufgezeigte Rechtsfehler der Beweiswürdigung hinzukommt, der zur Aufhebung auch der Feststellungen zwingt. Dieser Rechtsfehler könnte sich im Übrigen möglicherweise auch auf die Würdigung des Gesamtgeschehens auswirken; denn im Fall von Tateinheit der Fälle 1 bis 3 der Urteilsgründe wäre die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung anhand des Rücktrittshorizonts des Angeklagten als Mittäter zurzeit der letzten Ausführungshandlung zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 1994 ‒ 1 StR 33/94, BGHSt 40, 75, 76 f.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 - 1 StR 293/19). An dieser Bewertung würde es fehlen, wenn das Landgericht, anders als bisher, aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung zu der Annahme gelangen würde, dass auch Fall 3 der Urteilsgründe als Teilakt eines Erpressungsgeschehens mit sukzessiver Tatausführung zu beurteilen sein sollte. Wegen des Rechtsfehlers bei der Beweiswürdigung hebt der Senat im Fall 3 der Urteilsgründe auch die insoweit getroffenen Feststellungen auf.
c) Zu den Fällen 1 und 2 kann der neue Tatrichter gegebenenfalls ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht im Widerspruch zu den bindend gewordenen Feststellungen treten.
1. Der Wertungsfehler in den Fällen 1 und 2 zwingt gemäß § 357 StPO auch zur Konkurrenzkorrektur im Schuldspruch für den Nichtrevidenten Sh. als Gehilfen. Diese wirkt sich nicht auf die nach Jugendstrafrecht getroffene Rechtsfolgenentscheidung aus.
2. Der zu Gunsten des Nichtrevidenten ergangene Teilfreispruch im Fall 3 der Urteilsgründe bliebt unberührt; denn dadurch ist dieser nicht beschwert und die Entscheidung beruht nicht auf dem nämlichen Rechtsfehler, sondern auf einer eigenständigen Beweiswürdigung.
3. Das neue Tatgericht wird wegen der langen Dauer des Revisionsverfahrens eine Kompensation nach der Vollstreckungslösung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 129 ff.) vorzunehmen haben.
4. Nachdem sich die neue Hauptverhandlung nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist eine allgemeine Strafkammer zuständig.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 294
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede