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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1149

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 306/20, Urteil v. 23.06.2021, HRRS 2021 Nr. 1149


BGH 2 StR 306/20 - Urteil vom 23. Juni 2021 (LG Aachen)

Tateinheit (Zusammenfassung mehrerer Handlungen im natürlichen Sinne zu einer Handlungseinheit: unmittelbarerer Zusammenhang, einheitlicher Tatentschluss, tatrichterlicher Beurteilungsspielraum); Raub (finale Verknüpfung: spontane Ausdehnung des Vorsatzes); Einziehung von Tatmitteln bei Tätern und Teilnehmern.

§ 52 StGB; § 249 StGB; § 74 Abs. 1 Var. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Von einer Tat im Rechtssinne kann auch dann auszugehen sein, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinne zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden. Das ist der Fall, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (sogenannte natürliche Handlungseinheit). Bei der Bewertung des Tatbildes ist maßgeblich darauf abzustellen, ob das Tatgeschehen auf einem einheitlichen Tatentschluss beruht. Ob eine natürliche Handlungseinheit oder ob Handlungsmehrheit anzunehmen ist, unterliegt tatrichterlichem Beurteilungsspielraum.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. November 2019 aufgehoben

a) soweit eine Entscheidung über die Einziehung des Pkw Mercedes Vito des Angeklagten Z. unterblieben ist,

b) zugunsten des Angeklagten Z. (§ 301 StPO) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten Z. und die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten B. werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Raub und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, sie im Übrigen freigesprochen und eine Entschädigungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen.

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Die miteinander befreundeten Angeklagten verabredeten für den Abend des 5. April 2019 ein Treffen mit dem Geschädigten C. Gegen 22.45 Uhr holten sie C. mit dem Wagen ab, kauften an einer Tankstelle Alkohol und Zigaretten und fuhren zu einer Gartenlaube in einer Kleingartenanlage in E. Der weitere Verlauf der Nacht bis zum frühen Morgen des Folgetages konnte im Wesentlichen nicht aufgeklärt werden. Insofern konnte lediglich festgestellt werden, dass der Angeklagte B. telefonisch nach dem Geschädigten suchte und die Angeklagten im Laufe der Nacht zwischenzeitlich getrennt waren. Um kurz nach 5.00 Uhr morgens begegneten sich die Angeklagten und der Geschädigte in nicht näher feststellbarer Weise knapp 40 Kilometer von der Gartenlaube entfernt in einem weitläufig unbewohnten Gebiet nahe der U. wieder. Das Zusammentreffen war geprägt von der Wut der Angeklagten auf den Geschädigten. Hintergrund dafür war aller Wahrscheinlichkeit nach ein in der Nacht geplantes kriminelles Geschäft aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz, aus welchem der Geschädigte aus Sicht der Angeklagten entweder hierfür überlassenes Geld oder die mit diesem Geld zu erwerbende Ware schuldete.

Im Bereich einer Spitzkehre der Zufahrtsstraße zur Talsperre kamen die Angeklagten einem gemeinsamen Tatplan entsprechend überein, den Geschädigten unter Androhung und Ausübung von Gewalt nach dem ihnen geschuldeten Geld bzw. der Ware zu durchsuchen und ihn für sein in ihren Augen betrügerisches Verhalten mittels erheblicher körperlicher Gewalt abzustrafen. Unter Schlägen forderten sie ihn auf, sich zur Durchsuchung seiner Bekleidung und seiner analen Körperöffnung komplett auszuziehen. Dieser Aufforderung kam der Geschädigte nach und spreizte vollständig entkleidet auch seine Gesäßhälften. Die Angeklagten durchsuchten anschließend seine Kleidung und zerschnitten die Jacke. Währenddessen trat der Angeklagte B. dem Geschädigten mit Billigung des Angeklagten Z. ins Gesicht. Die Angeklagten fanden weder Geld noch Ware, nahmen jedoch im Zuge der gewaltsamen Durchsuchung und im Bewusstsein der andauernden nötigenden Wirkung der erfolgten Gewalteinwirkung und der hierdurch eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft des Geschädigten einem spontan gefassten konkludenten Tatplan folgend dessen Mobiltelefon und Schlüsselbund an sich, um sie dem Geschädigten dauerhaft zu entziehen und anschließend für sich selbst oder für Dritte nutzen zu können.

Ob der gescheiterten Suche steigerte sich die Wut der Angeklagten und sie begannen nun, erheblich auf den inzwischen wieder bekleideten Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte B. schlug hierbei mit einem dickeren Ast kraftvoll auf Rücken und Oberkörper des auch zu Boden gehenden Geschädigten ein. Zudem wurde C. von einem der beiden Angeklagten getreten. Infolge der stumpfen Gewalteinwirkung erlitt er eine beidseitige Rippenserienfraktur, durch die es zu einer Anspießverletzung der Lunge und der Ausbildung eines akut lebensgefährlichen Pneumothorax kam. Daneben erlitt er diverse, teils massive Unterblutungen im Gesichtsbereich, Hautunterblutungen und Hautschürfungen.

Schließlich banden die Angeklagten ein Tau um den Oberkörper des Geschädigten und befestigten das andere Ende am Heck des Transporters des Angeklagten Z. Abwechselnd fuhren sie mit dem Wagen auf der an die Spitzkehre angrenzenden Grasfläche in kurzer Distanz einige Bögen und schleiften dabei den festgebundenen Geschädigten mit, wodurch dieser Hautunterblutungen und Schürfungen am Hinterkopf und den Armen erlitt. „Dass die Angeklagten im Zuge der vorbezeichneten Gewaltanwendungen bezüglich einzelner und/oder kumulativ wirkender Gewaltausübungen über den Verletzungsvorsatz hinaus auch den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahmen, vermochte die Kammer nicht festzustellen“.

Anschließend befreiten die Angeklagten den Geschädigten von dem Tau und warfen ihm seine zerschnittene Jacke zu. Der Geschädigte war zu dieser Zeit bei vollem Bewusstsein, bewegungsfähig und litt noch nicht unter der sich verletzungsbedingt infolge des Pneumothorax erst im weiteren Verlauf einstellenden Atemnot. Die Angeklagten drohten ihm - was er als Ankündigung weiterer Gewalttätigkeiten wahrnahm - für den Fall, dass er etwas sagen werde, wieder zu kommen, ihn zu kriegen und sich um seine Mitbewohner zu „kümmern“.

Sodann verließen sie mit dem Transporter unter Mitnahme von Schlüsselbund und Mobiltelefon des Geschädigten den Tatort. Um ihn abzustrafen, ließen sie C. an der entlegenen Örtlichkeit bei geringen Außentemperaturen zurück. Dabei wussten sie, dass der verletzte Geschädigte nur leicht bekleidet war, seine Brille zwischenzeitlich verloren hatte und wegen der Entfernung zur Straße keine Möglichkeit hatte, zeitnah Hilfe zu rufen. „Dass die Angeklagten hierbei das Ausmaß der dem Geschädigten beigefügten Verletzungen erkannten oder auch nur damit rechneten und hiermit einhergehend den möglichen Tod des Geschädigten oder jedenfalls eine konkrete Gefahr des Eintritts einer schweren Gesundheitsschädigung oder des Todes des Geschädigten durch ein Zurücklassen unter diesen Gegebenheiten und ohne die Möglichkeit der zeitnahen Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe jedenfalls billigend in Kauf nahmen, konnte nicht festgestellt werden.“ Jedoch nahmen sie zumindest billigend in Kauf, dass der Geschädigte angesichts der fehlenden Möglichkeit zeitnaher Hilfeholung den schmerzhaften Auswirkungen der Schläge länger ausgesetzt war.

Der Geschädigte, der sich aufgrund der Verletzungen, Schmerzen und Luftnot nur mit Mühe bewegen konnte und zeitweise zusammenbrach, versuchte sich zurück in Richtung der Landstraße zu begeben. Schließlich wurde er am 6. April 2019 gegen 9.30 Uhr circa 900 Meter vom Tatort entfernt von zwei Zeugen aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Ohne zeitnahe Hilfe wäre er in Folge seiner Verletzungen verstorben; es bestand akute Lebensgefahr.

Die Strafkammer hat das Verhalten der Angeklagten als tateinheitliches Geschehen im Sinne des § 52 StGB gewertet und jeweils als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Raub und versuchter Nötigung geahndet.

II.

Die Revision betreffend den Angeklagten Z. hat in geringem Umfang Erfolg und führt zuungunsten des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Entscheidung über die Einziehung seines Fahrzeugs Mercedes Vito unterblieben ist; zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) führt sie zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Revision betreffend den Angeklagten B. bleibt dagegen ohne Erfolg.

1. Ausweislich der Revisionsbegründung richten sich die Revisionen ungeachtet des umfassenden Aufhebungsantrags gegen das Unterbleiben von Schuldsprüchen wegen eines - tateinheitlich zur gefährlichen Körperverletzung und versuchten Nötigung begangenen - versuchten Totschlags sowie einer - ebenfalls tateinheitlich verübten - Aussetzung. Außerdem wenden sie sich - insoweit zugunsten der Angeklagten - gegen die Schuldsprüche wegen Raubes. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV legt der Senat das Revisionsvorbringen dahin aus, dass die Staatsanwaltschaft die Teilfreisprüche nicht angreifen will. Diese Beschränkung ist auch rechtswirksam.

2. Entgegen der Auffassung der Revisionen begegnet es aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Angeklagten nicht (auch) wegen versuchten Totschlags und Aussetzung verurteilt hat. Auch die Schuldsprüche wegen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung sind rechtsfehlerfrei. Insbesondere mangelt es - entgegen der Auffassung der Revision - nicht an der für die Verurteilung wegen Raubes erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahme des Mobiltelefons und des Schlüsselbundes des Geschädigten. Denn die Angeklagten haben „im Zuge der gewaltsamen Durchsuchung“ des Angeklagten keinen neuen Wegnahmevorsatz gefasst, sondern nur ihre von Anfang an vorhandene Absicht, dem Geschädigten mit Gewalt Geld oder Ware wegzunehmen, spontan auf das Mobiltelefon und den Schlüsselbund ausgedehnt; ihr Vorsatz hat sich somit lediglich erweitert, so dass die Tat im Ganzen als Raub zu bewerten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 14. März 1969 - 2 StR 64/69, BGHSt 22, 350 f.).

3. Auch die von den Revisionen gerügte konkurrenzrechtliche Bewertung des Tatgeschehens des Landgerichts, das nicht nur die gefährliche Körperverletzung und den Raub, sondern darüber hinaus auch die versuchte Nötigung gemäß § 52 StGB als tateinheitliches Geschehen bewertet hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiellrechtliche Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Dabei kann von einer Tat im Rechtssinne auch dann auszugehen sein, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinne zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden. Das ist der Fall, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (sogenannte natürliche Handlungseinheit; vgl. nur BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 6 mwN; LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., vor § 52 Rn. 10 ff.; kritisch dazu Eschelbach in SSW-StGB, 5. Aufl., § 52 Rn. 63 ff.; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder-StGB, 30. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rn. 22 ff., jeweils mwN). Bei der Bewertung des Tatbildes ist maßgeblich darauf abzustellen, ob das Tatgeschehen auf einem einheitlichen Tatentschluss beruht (BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 683/18, NStZ-RR 2019, 310 f.; Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 5 StR 73/18, BeckRS 2018, 33929). Ob eine natürliche Handlungseinheit oder ob Handlungsmehrheit anzunehmen ist, unterliegt tatrichterlichem Beurteilungsspielraum (BGH, Urteil vom 25. September 1997 - 1 StR 481/97, NStZ-RR 1998, 68, 69; Beschluss vom 19. April 2007 - 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235).

b) Gemessen daran ist die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses durch das Landgericht vertretbar; sie hält sich im Rahmen des insoweit dem Tatrichter eröffneten Beurteilungsspielraums und ist daher - unbeschadet der Frage, ob auch eine andere Beurteilung möglich wäre - vom Revisionsgericht hinzunehmen.

Zwar war die am Ende des Gesamtgeschehens ausgesprochene Drohung vom ursprünglichen Tatplan der Angeklagten, der die Durchsuchung des Geschädigten nach Geld bzw. Ware unter Androhung und Ausübung von Gewalt sowie das Abstrafen für das in ihren Augen betrügerische Verhalten mittels körperlicher Gewalt umfasste, nicht gedeckt. Das Landgericht ist jedoch davon ausgegangen, dass ein Zusammenhang zwischen der Zueignung des Schlüsselbunds sowie der späteren Drohung bestand und der Vorsatz bezüglich der Körperverletzungen mangels Zäsur auch die mögliche Zustandsverschlechterung des Geschädigten infolge des Zurücklassens umfasste, und hat schließlich auf den engen räumlichen sowie zeitlichen Zusammenhang der Geschehnisse abgestellt. Dass die Strafkammer die ausgesprochene Drohung an anderer Stelle als „Nachtatverhalten“ bezeichnet, stellt diese Würdigung nicht in Frage.

4. Die Entscheidung des Landgerichts, bei beiden Angeklagten von der Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen, begegnet angesichts der zwar knappen, insgesamt aber noch ausreichenden Gesamtwürdigung ebenfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5. Als rechtsfehlerhaft erweist sich jedoch, dass das Landgericht keine Entscheidung über die Einziehung des als Tatwerkzeug gebrauchten Fahrzeugs Mercedes Vito des Angeklagten Z. gemäß § 74 Abs. 1 Var. 2 StGB getroffen hat. Insofern ist das Urteil betreffend den Angeklagten Z. zu dessen Ungunsten aufzuheben. Im Hinblick auf den Charakter der Einziehung als Nebenstrafe war zugleich zugunsten des Angeklagten Z. (§ 301 StPO) der Strafausspruch aufzuheben. Auch wenn das Urteil insoweit keine Feststellungen enthält, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Fahrzeug einen nicht unerheblichen Wert hat und sich dessen Einziehung daher auf die Bemessung der Hauptstrafe auswirkt.

6. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, da eine Zuständigkeit des Schwurgerichts nicht mehr besteht.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1149

Externe Fundstellen: StV 2022, 8

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß