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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 620

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 197/20, Beschluss v. 26.08.2020, HRRS 2021 Nr. 620


BGH 2 StR 197/20 - Beschluss vom 26. August 2020 (LG Gießen)

Strafmilderung oder Absehen von Strafe (Offenbaren von Täterwissen: Unerheblichkeit des Motivs der Offenbarung); Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse oder einer Suchterkrankung).

§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 31 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Im Rahmen der Anwendung von § 31 BtMG ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass es hierfür nicht auf die Motive der Offenbarung durch den Täter ankommt. Weder Angst vor Bestrafung noch Offenbarung auf Zureden oder Drängen eines Vernehmenden schließen die Anwendbarkeit grundsätzlich aus. Das Motiv der Offenbarung muss nicht ethisch anerkennenswert sein; entscheidend ist der Aufklärungserfolg.

2. Diese Grundsätze gelten auch, soweit nicht § 31 BtMG, sondern lediglich § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB Anwendung findet, weil die zeitliche Grenze zur Offenbarung in § 31 BtMG überschritten worden ist.

3. Nicht notwendig und insoweit unschädlich ist es, wenn ein Angeklagter mit der Preisgabe von für die Strafverfolgung bedeutsamen Erkenntnissen nicht gleichzeitig auch die Verhinderung weiterer Straftaten erstrebt.

4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder eine Suchterkrankung strafmildernd ins Gewicht fallen. Ihr Fehlen darf regelmäßig nicht strafschärfend berücksichtigt werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 19. Februar 2020 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch mit der Sachrüge Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

2. Die Überprüfung des Schuldspruchs sowie auf die Sachrüge hin hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen lassen. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat im Rahmen seiner Gesamtwürdigung zur Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 StGB im Nachtatverhalten des Angeklagten, der in der Hauptverhandlung den Namen des Haupttäters genannt habe, keinen für den Angeklagten sprechenden Umstand gesehen. Zur Begründung hat es angeführt, dieses Verhalten stelle sich nicht als Ausdruck einer „erweiterten tätigen Reue“ mit dem Ziel der Aufklärungshilfe zur Verhinderung weiterer Straftaten dar. Vielmehr sei die Einlassung ersichtlich mit dem Ziel der eigenen Entlastung erfolgt. Diese Wertung erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Im Rahmen der Anwendung von § 31 BtMG ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass es hierfür nicht auf die Motive der Offenbarung durch den Täter ankommt. Weder Angst vor Bestrafung (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1983 - 3 StR 49/83, NStZ 1983, 323) noch Offenbarung auf Zureden oder Drängen eines Vernehmenden (BGH, Beschluss vom 20. Juni 1990 - 3 StR 74/90; vgl. auch Weber, BtMG, 5. Aufl., § 31 Rn. 71) schließen die Anwendbarkeit grundsätzlich aus. Das Motiv der Offenbarung muss nicht ethisch anerkennenswert sein; entscheidend ist der Aufklärungserfolg (vgl. Senat, Urteil vom 19. Mai 2010 - 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100). Diese Grundsätze gelten auch, soweit nicht § 31 BtMG, sondern lediglich § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB Anwendung findet, weil die zeitliche Grenze zur Offenbarung in § 31 BtMG überschritten worden ist. Umstände, die dafür sprechen könnten, die Motive des Angeklagten im Zusammenhang mit der grundsätzlich strafmildernden Berücksichtigung von Aufklärungshilfe gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB - anders als bei § 31 BtMG - in den Blick zu nehmen, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Angesichts dessen ist es durchgreifend rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht der Benennung des Haupttäters durch den Angeklagten die strafmildernde Bedeutung abspricht, weil diese mit dem Ziel der eigenen Entlastung erfolgt sei. Darauf kommt es nicht an, weil auch hier der erkennbar eingetretene Aufklärungserfolg maßgeblich ist. Nicht notwendig und insoweit unschädlich ist es, wenn ein Angeklagter mit der Preisgabe von für die Strafverfolgung bedeutsamen Erkenntnissen nicht gleichzeitig auch die Verhinderung weiterer Straftaten erstrebt.

b) Auch die weiteren Erwägungen, die das Landgericht zur Ablehnung eines minder schweren Falles herangezogen hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat die beim Angeklagten bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit in Verbindung mit seiner psychischen Erkrankung nicht als hinreichend erheblich für die Annahme eines minder schweren Falles angesehen, an anderer Stelle lediglich der durch den Konsum von Betäubungsmitteln leicht herabgesetzten Hemmschwelle Bedeutung zugemessen. Sie hat zudem angeführt, der Angeklagte habe die Tat nicht aus Suchtdruck heraus begangen. Ein konkreter Bezug zu seiner Krankheit fehle, es habe sich vielmehr um einen Freundschaftsdienst gehandelt. Dies ist in zweifacher Hinsicht durchgreifend bedenklich.

aa) Zum einen beruhen diese Ausführungen auf einer verkürzten Betrachtung der Besonderheiten des vorliegenden Falles. Der Angeklagte handelte bei der festgestellten Übernahme der Betäubungsmittel von seinem Freund zum Zweck der Lagerung in seiner (des Angeklagten) Wohnung in dem sicheren Wissen, sich von diesem Marihuana-Vorrat selbständig zum Eigenkonsum bedienen zu können. Vor dem Hintergrund des Umstandes, dass der Angeklagte Cannabis als „Ersatzmedikament“ für das ihm wegen seiner psychischen Erkrankung verordnete Arzneimittel „Ritalin“ zu sich nahm, ergibt sich daraus nach den getroffenen Feststellungen ein konkreter Bezug seiner Erkrankung zu seiner Tat (Verwahrung von Betäubungsmitteln für den urlaubsabwesenden Freund). Dies hätte nicht außer Betracht bleiben dürfen.

bb) Zum anderen lässt die Formulierung, der Angeklagte habe nicht aus Suchtdruck gehandelt und die Tat weise auch keine konkreten Bezüge zu seiner Krankheit auf, besorgen, das Landgericht habe damit rechtsfehlerhaft das Fehlen möglicher Strafmilderungsgründe zu seinen Lasten berücksichtigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder eine Suchterkrankung strafmildernd ins Gewicht fallen. Ihr Fehlen darf regelmäßig nicht strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 StR 35/11; Beschluss vom 17. April 2012 - 2 StR 73/12, NStZ 2012, 46).

c) Auch die Erwägungen zur konkreten Zumessung der Strafe halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht konnte zwar ohne Rechtsfehler strafschärfend berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits durch Strafbefehl vom 17. August 2017 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt worden ist. Es hat dieser Vorverurteilung allerdings ein zu großes Gewicht beigemessen, wenn es weitergehend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte damit „bereits innerhalb eines relativ geringen Zeitraums von circa einem Jahr nach der erfolgten Verurteilung erneut straffällig geworden ist und auch in der Hauptverhandlung den Eindruck vermittelte, von der Vorstrafe nicht beeindruckt worden zu sein.“ Diese (auch im Rahmen der Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB geäußerte) Sichtweise verkennt nicht nur die geringe Bedeutung des dem Strafbefehl zugrunde liegenden Tatvorwurfs, der mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen geahndet wurde, sondern auch die von einem Strafbefehl ausgehende Warnwirkung bei einem Täter, die deutlich hinter derjenigen durch ein Urteil nach mündlicher Verhandlung zurückbleibt. Soweit das Landgericht im Übrigen zum Beleg dafür, dass der Angeklagte durch die Vorstrafe wenig beeindruckt sei, anführt, er habe „freimütig berichtet, auch in der Zeit zwischen dem Strafbefehl und der vorliegenden Tat und sogar über die Wohnungsdurchsuchung hinaus bis einen Tag vor der Hauptverhandlung gleichsam täglich ein Gramm Cannabis konsumiert zu haben“, hätte es bei dieser Wertung ergänzend in den Blick nehmen müssen, dass der Konsum von Cannabis nach den eigenen Feststellungen als Ersatz für die ärztliche verordnete, aber mit Nebenwirkungen verbundene Einnahme des Medikaments „Ritalin“ diente.

d) Auf diesen Rechtsfehlern beruht der Strafausspruch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zur Annahme eines minder schweren Falles, jedenfalls aber zu einer milderen Strafe gelangt wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 620

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 285; StV 2022, 588

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner