HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 845
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 13/20, Urteil v. 09.06.2021, HRRS 2021 Nr. 845
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 12. September 2019 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten B. eine Diskonacht in K. verbracht. Um in den frühen Morgenstunden des 30. Oktober 2016 den Heimweg nach Dü. anzutreten, schlug B. vor, mit dem Taxi zu fahren. Der Angeklagte, der selbst kein Geld mehr hatte, ging davon aus, dass B. noch über genug Geld verfügte, um das Taxi zu bezahlen. Nach einem Zwischenstopp an einer Tankstelle, um Zigaretten zu kaufen, saß der Angeklagte auf dem Beifahrersitz und erzählte dem Taxifahrer, dem Zeugen C., dass er D. heiße und Kinder habe. Er erwähnte auch den Vornamen seines Sohnes.
In Dü. angekommen hielt das Taxi auf Anweisung der Fahrgäste vor der Feuerwehr, die in einigem Abstand zu den jeweiligen Wohnungen lag. „Der Zeuge B. entfernte sich sodann ohne - wie von ihm von Anfang an beabsichtigt - den Fahrpreis von 110 € zu bezahlen, während der Angeklagte ihm in der Erwartung, dieser werde die Vergütung noch erbringen, zögerlich folgte. Aufgrund entsprechender Rufe des C. war dem Angeklagten bewusst, dass die Fahrt noch nicht bezahlt war.“ Während B. davoneilte, holte C. den Angeklagten ein. Der Angeklagte teilte ihm mit, dass er kein Geld habe, und bot ihm stattdessen seinen Personalausweis und spätere Zahlung an, was C. indes ablehnte. „Dem Angeklagten war bewusst, dass der Zeuge einen Anspruch auf sofortige Zahlung des Fahrpreises (auch) gegen ihn hatte und dass der Zeuge ihn deswegen - etwa um eine Feststellung der Personalien durch die Polizei zu erzwingen - auch festhalten durfte.“ In der Folge kam es zu einem Gerangel, in dem sich beide gegenseitig an der Oberbekleidung festhielten, bis C. ins Stolpern geriet und dessen Polohemd zerriss.
C. rief nun mit seinem Mobiltelefon die Polizei an, woraufhin der Angeklagte, der nicht auf die Polizei warten wollte, „sich auch abseits der Straßen“ entfernte. C. folgte ihm im Abstand von fünf bis sechs Metern. Vor der Wohnanschrift des B. trafen sie auf diesen; B. äußerte sofort seinen Unmut darüber, dass der Angeklagte den Taxifahrer „hierher geführt“ habe. Der Angeklagte forderte B. auf: „Hol mal Stock! Den schlagen wir!“. Als C., der fortlaufend mit der Polizei telefonierte und seinen Standort mitteilte, auch weiterhin nicht von beiden abließ, führte B. eine Bewegung zu seinem Hosenbund aus und sagte: „Es reicht! Ich hole mein Messer!“ Sodann gingen der Angeklagte, der die von B. ausgesprochene Drohung billigte, und B. auf C. zu. Dieser nahm die Drohung sehr ernst, drehte sich sofort um und ging hinter einem geparkten Auto in Deckung. Diese Gelegenheit nutzten der Angeklagte und B. zur Flucht. C. versuchte ihnen in größerem Abstand zu folgen, verlor die beiden aber aus den Augen.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als räuberische Erpressung gewertet. Einen Eingehungsbetrug hinsichtlich der Taxifahrt hat es verneint, weil der Angeklagte davon ausgegangen sei, B. werde die Taxifahrt bezahlen. Seine Überzeugung von der Werthaltigkeit der Forderung hat das Landgericht damit begründet, dass der Angeklagte trotz Privatinsolvenz mit Schulden in Höhe von 4.000 bis 5.000 € gelegentlich als Minijobber gearbeitet habe und sich am Tattag einen längeren Diskoaufenthalt habe leisten können. Daher spreche nichts dafür, dass nachträgliche Bemühungen des Taxifahrers, den Fahrpreis - etwa auch gerichtlich - geltend zu machen, dauerhaft keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Die Revision ist unbegründet. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung.
a) Entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts liegt insbesondere ein Vermögensschaden vor. Eine - gegebenenfalls gemäß § 255 StGB qualifizierte - Erpressung (§ 253 StGB) kann auch dadurch begangen werden, dass der Täter das Tatopfer durch Drohung und Gewalt dazu veranlasst, auf die Geltendmachung einer Forderung zu verzichten, sei es durch Unterlassen geeigneter Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung, sei es dadurch, dass es duldet, dass sich der Täter entfernt, ohne seine Personalien anzugeben. Voraussetzung für den Eintritt des vom Tatbestand vorausgesetzten Vermögensschadens ist in diesen Fällen, dass die Forderung werthaltig ist. Wer auf die Geltendmachung einer wertlosen, weil gänzlich uneinbringlichen Forderung verzichtet, erleidet dadurch keinen Vermögensschaden (BGH, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 StR 279/06, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 13; Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 StR 58/08, juris, Rn. 7; Sander in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 253 Rn. 24; aA Grabow NStZ 2010, 371; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., 2019, § 253 Rn. 8).
b) Die Begründung, mit der die Strafkammer aufgrund der festgestellten persönlichen Verhältnisse die Werthaltigkeit der Forderung des Zeugen C. gegen den Angeklagten bejaht hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
aa) Soweit der Generalbundesanwalt davon ausgeht, es sei nicht belegt, dass nachträgliche Bemühungen des Zeugen, den Fahrpreis gerichtlich geltend zu machen, Erfolg haben könnten, weil der Angeklagte zahlungsunfähig sei und über kein pfändbares Einkommen oder Vermögen verfüge, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
bb) Aufgrund der aus dem Beförderungsvertrag bestehenden, einredefreien Forderung kann der Geschädigte einen Titel erwirken, bei dem gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst 30 Jahre nach Rechtskraft Verjährung eintritt. Dass angesichts dieses langen Zeitraums nachträgliche Bemühungen des Geschädigten zur Vollstreckung seiner Forderung erfolgreich sein können, hat das Landgericht angesichts der von ihm festgestellten und gewürdigten persönlichen Lebensumstände und wirtschaftlichen Situation des zur Tatzeit 25 Jahre alten, nicht drogenabhängigen, über eine Wohnung verfügenden und arbeitsfähigen Angeklagten ohne Rechtsfehler angenommen. Daher kommt es entgegen den Ausführungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht auf die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) an. Diese beschränken zwar die zwangsweise Durchsetzung der Forderung, doch bestimmt sich deren Wert in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, die hier - wie vom Landgericht dargelegt - dafür sprechen, von der Werthaltigkeit jedenfalls eines Teils der Forderung auszugehen.
2. Auch der Rechtsfolgenausspruch weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 845
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 281
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß