HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 938
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 17/19, Beschluss v. 31.07.2019, HRRS 2019 Nr. 938
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2018 (2 BGs 1022/18) wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Sätze 1 und 2 StGB). Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2018 die Durchsuchung der Person des Zeugen M. und der von diesem genutzten Wohn- und Nebenräume einschließlich der dazugehörigen Kellerräume, Garagen sowie ihm gehörender Kraftfahrzeuge zur Sicherstellung im Besitz des Zeugen befindlicher Mobiltelefone angeordnet. Nach Vollzug der Durchsuchung am 10. Januar 2019 hat der Verteidiger des Beschuldigten mit Schriftsatz vom 6. Juni 2019 gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt. Dieser hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Ungeachtet der Frage, inwieweit der Beschuldigte überhaupt durch die Anordnung einer Durchsuchung einer anderen Person beschwert ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 5. Mai 1999 - 3 Ws 116/99, NJW 1999, 2979 f.; vom 7. Juli 1999 - 3 Ws 368/99, juris Rn. 2; BVerfG, Beschluss vom 16. April 2015 - 2 BvR 2279/13, NJW 2015, 2869, 2870; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 105 Rn. 15; weitergehend MüKoStPO/Hauschild, § 105 Rn. 41), ist das Rechtsmittel jedenfalls unbegründet.
Die Voraussetzungen, unter denen eine Durchsuchung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO bei anderen Personen als dem Beschuldigten zulässig ist, lagen bei Erlass des angefochtenen Beschlusses vor (s. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt BVerfG, Beschluss vom 10. September 2010 - 2 BvR 2561/08, NJW 2011, 291 f.). Im Übrigen erfüllt dieser mit Blick auf die Umgrenzungsfunktion die an ihn zu stellenden Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043/03 u.a., NJW 2004, 3171) und trägt einer angemessenen Beschränkung der Zwangsmaßnahme entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung (BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 1994 - 2 BvR 2559/93, NJW 1994, 3281; vom 22. März 1999 - 2 BvR 2158/98, NJW 1999, 2176; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juni 2018 - StB 14/18, juris Rn. 5).
1. Es bestand ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.
a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar - wie in der Beschwerdeschrift angenommen - dringenden Tatverdachts bedarf es unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit nicht (st. Rspr.; s. jüngst etwa BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, BeckRS 2019, 14495 Rn. 7 mwN; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1).
b) Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe für den Verdacht vor, der Beschuldigte habe sich vor dem Jahr 2015 in die Organisation des „Islamischen Staates“ (IS) eingegliedert und sich seitdem für diesen mitgliedschaftlich betätigt. Die Zusammenschau der Angaben eines Informanten, dem Vertraulichkeit zugesichert worden ist, die Auswertung des dem Beschuldigten zugeordneten Facebook-Profils und die Aussagen von Zeugen über Sympathiebekundungen für den IS sowie Kontakte zu dem unter anderem wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilten A. ließen entsprechende Rückschlüsse zu.
In die Bewertung der Verdachtslage konnte einbezogen werden, dass sich ein Lichtbild des Beschuldigten fand, auf dem er den rechten Zeigefinger erhob und einen Ring mit dem „Siegel des Propheten“ trug. Obschon sich diese Gesichtspunkte für sich genommen auch mit einer allgemeinen islamischen, nicht organisationsspezifischen Einstellung vereinbaren lassen, waren sie geeignet, zusammen mit den weiteren Erkenntnissen einen entsprechenden Verdacht zu begründen. Insbesondere die Beschriftung des Bildes mit dem Ausdruck „Katiba al Tamasih“ („Bataillon der Krokodile“) fügt sich in die Angaben des Informanten ein. Im Übrigen deutete ein weiteres Lichtbild, das eine Person mit einer Langwaffe zeigte, auf einen Bezug zu kämpferischen Themen hin. Dies gilt unabhängig davon, ob die - im Durchsuchungsbeschluss bereits mit einer Einschränkung versehene - Annahme zutrifft, dass es sich bei der abgebildeten Person um den Beschuldigten handelte. Äußerungen über terroristische Anschläge in Paris im November 2015 und in Belgien im Jahr 2016, der Austausch von IS-Propagandavideos, von Verknüpfungen (Hyperlinks) zu IS-Kanälen und von Aufrufen zum Jihad konnten in diesem Sinne ebenfalls herangezogen werden.
Das zur Begründung des Verdachts angeführte weitere Indiz, dass der gesondert verfolgte und bereits unter anderem wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilte A. Kontakt zum Beschuldigten hatte und zur Weiterleitung an diesen einer V-Person ein Schreiben übergeben hatte, war samt den näheren Umständen einem entsprechenden Aktenvermerk der Kriminalpolizeiinspektion O. zu entnehmen.
Soweit in der weiteren Beschwerdebegründung einzelne Beweismittel abweichend gewürdigt werden, steht dies vor allem bei einer Zusammenschau der im angefochtenen Beschluss genannten Gesichtspunkte der Annahme eines auf Tatsachen gegründeten Verdachts zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung nicht entgegen.
2. Die Beweisbedeutung der Mobiltelefone, die Gegenstand des Durchsuchungsbeschlusses sind, folgt daraus, dass der Beschuldigte Ermittlungserkenntnissen zufolge ein früheres Mobiltelefon des Zeugen M. genutzt hatte und nach den konkreten Umständen eine Nutzung auch der aktuellen Telefone durch den Beschuldigten sowie sich daraus ergebende tatbezogene Erkenntnisse zu erwarten waren.
Auswertungen in einem anderen Strafverfahren hatten ergeben, dass der Beschuldigte ein Mobiltelefon des Zeugen selbst für Nachrichtenaustausch (Chats) nutzte. Da sich der Zeuge überdies als Mitbewohner in der Wohnung des Beschuldigten aufhielt, bestanden Hinweise darauf, dass dieser weiter auf Mobiltelefone des Zeugen zugreifen konnte. Hiergegen sprach nicht maßgeblich, dass im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung keine Nutzung durch den Beschuldigten für reine Telefongespräche aufgefallen war. Denn es ging gerade um den Gebrauch für besondere Dienste.
3. Weil es sich bei den Mobiltelefonen um solche des Zeugen handelt und sich aus einer Telefonüberwachung die Nutzung eines bestimmten Mobiltelefons durch den Zeugen ergab, bestanden erhebliche konkrete Gründe für die Erwartung, zumindest ein Mobiltelefon bei dem Zeugen zu finden. Die zu suchenden Gegenstände sind im Beschluss hinreichend individualisiert und als Mobiltelefone zumindest ihrer Gattung nach bestimmt (s. zu den Maßstäben BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, BeckRS 2019, 14495 Rn. 15 mwN; vom 28. Juni 2018 - StB 14/18, juris Rn. 16).
4. Die Anordnung der Durchsuchung entsprach unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie war zur Ermittlung der Tat erforderlich, da die über besondere Dienste wie „WhatsApp“ geführte Kommunikation infolge Verschlüsselung nicht durch die bereits durchgeführte Telekommunikationsüberwachung zu erlangen war. Weniger einschneidende Mittel waren nicht gegeben. Die angeordnete Durchsuchung stand zudem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des aufzuklärenden Verbrechens und der Stärke des aufgezeigten Tatverdachts. Dies gilt auch angesichts der dargelegten Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie des hohen Grades des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts.
5. Dass der Durchsuchungsbeschluss die zu durchsuchenden Räume nicht ausdrücklich durch Angabe der Anschrift bezeichnet, steht nach den gegebenen Besonderheiten der Bestimmtheit der Anordnung und ihrer Rechtmäßigkeit nicht entgegen (vgl. allgemein BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 2018 - 2 BvR 2990/14, juris Rn. 15 ff.; vom 16. April 2015 - 2 BvR 440/14, NJW 2015, 2870, 2871; vom 21. Dezember 2001 - 2 BvR 1176/01, juris Rn. 2). Denn aus den Beschlussgründen ergibt sich eindeutig, dass der Zeuge M. an der Anschrift des Beschuldigten als Gast in dessen Wohnung lebte und die Durchsuchungsanordnung die dort genutzten Räume betraf. In Bezug auf den Beschuldigten lag ebenfalls ein Durchsuchungsbeschluss (2 BGs 1019/18) vor, der am selben Tag vollzogen wurde.
6. Soweit der Beschwerdeführer schließlich erweiterte Akteneinsicht hinsichtlich inzwischen ausgewerteter Daten und „Berichte der VP“ beantragt hat, sind die - dem Senat nicht vorliegenden - Aktenbestandteile für die Beschwerdeentscheidung ohne Bedeutung. Die zur Verfügung stehenden Aktenauszüge, in die der Verteidiger Einsicht hatte, ermöglichen die Prüfung, auf welchen tatsächlichen Grundlagen der Durchsuchungsbeschluss beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2003 - StB 7/03, wistra 2003, 432, 433 mwN; BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 2014 - 2 BvR 683/12, juris Rn. 16 ff.). Der Ermittlungsrichter hatte keine weitergehende Aktenkenntnis.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 938
Bearbeiter: Christian Becker