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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 300

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 551/19, Beschluss v. 21.01.2020, HRRS 2020 Nr. 300


BGH 2 StR 551/19 - Beschluss vom 21. Januar 2020 (LG Gera)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Handlungseinheit bei bestehender Lieferbeziehung).

§ 29 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

Im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung verbindet die Bezahlung einer zuvor auf Kommission erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15. August 2019

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 79 Fällen, des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Führen einer verbotenen Waffe, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 472 Fällen verurteilt ist;

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) im Ausspruch über die Jugendstrafe, bb) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 322 Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Führen einer verbotenen Waffe, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen sowie des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 472 Fällen“ zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch in den Fällen 1 bis 63 und 308 bis 802 der Urteilsgründe sowie zur Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Hingegen führt das Rechtsmittel zur Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 der Urteilsgründe und zur Aufhebung der unterbliebenen Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie - dadurch bedingt ? des Ausspruchs über die Jugendstrafe.

a) Der Generalbundesanwalt hat zur Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 in seiner Antragsschrift vom 5. Dezember 2019 Folgendes ausgeführt:

„Die Annahme von Tatmehrheit - was die Fälle 64-307 der Urteilsgründe angeht - begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat erkennbar nicht bedacht, dass im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung die Bezahlung einer zuvor auf Kommission erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 ff.). So liegt der Fall hier: Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kaufte und übernahm der Angeklagte in insgesamt 241 Fällen von dem gesondert verfolgten A. jeweils 100g Marihuana und in drei weiteren Fällen jeweils 500g Marihuana (Fälle 64-307 der Urteilsgründe). Die Bezahlung erfolgte jeweils mit der erneuten Übergabe am Folgetag (UA S. 6). Es ist daher insgesamt nur von einer Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auszugehen.

Der Schuldspruch ist daher - wie beantragt - entsprechend § 354 Abs. 1 analog StPO zu ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hiergegen hätte verteidigen können.“

Dem stimmt der Senat zu. Die Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 der Urteilsgründe führt unter Berücksichtigung der weiteren rechtsfehlerfreien Schuldsprüche in den Fällen 51 bis 63, 308 bis 318, 323 bis 372, 375 bis 377 und 802 der Urteilsgründe zur Verurteilung wegen unerlaubtem Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 79 Fällen. Gleichzeitig hat der Senat den Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln klarstellend ohne den Zusatz „in nicht geringer Menge“ gefasst, da der Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG stets voraussetzt, dass die Tat eine solche Menge betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2019 - 3 StR 382/19, juris Rn. 3 mwN).

b) Die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Jugendkammer die mögliche Anordnung der Maßregel nicht erörtert hat, obwohl hierzu Anlass bestand.

aa) Nach den Feststellungen begann der Angeklagte vor drei Jahren mit dem Konsum von Crystal, sein täglicher Bedarf steigerte sich allmählich auf zuletzt bis zu 1,5 Gramm/täglich. Die in den Fällen 1 bis 50 und 378 bis 799 der Anklageschrift erworbenen Betäubungsmittel dienten seinem Eigenkonsum; er handelte mit Drogen, um seinen Lebensunterhalt und auch seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren.

bb) Diese Feststellungen legen die Annahme eines Hangs des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen, den symptomatischen Zusammenhang mit den verfahrensgegenständlichen Taten, aber auch die Gefahr weiterer gewichtiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nahe. Da der Angeklagte nach seinen Angaben eine Langzeittherapie anstrebt, liegt auch die gemäß § 64 Satz 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht fern.

c) Die Schuldspruchänderung in den Fällen 64 bis 307 lässt den Strafausspruch unberührt, weil die abweichende konkurrenzrechtliche Bewertung den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat nicht verändert. Jedoch war wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 2 StR 154/13, juris Rn. 4 mwN) auch der Strafausspruch aufzuheben. Zwar liegt nach den bisherigen Feststellungen die Annahme, dass die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Ahndung seiner Tat durch die Verhängung einer Jugendstrafe entbehrlich machen könnte, eher fern. Der Senat kann aber gleichwohl nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, Jugendstrafe zu verhängen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 300

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner