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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 640

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 501/19, Beschluss v. 04.03.2020, HRRS 2020 Nr. 640


BGH 2 StR 501/19 - Beschluss vom 4. März 2020 (LG Gera)

Sexueller Missbrauch von Kindern; schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (Eigenhändigkeit; gemeinschaftliche Tatbegehung: gemeinsame Zielrichtung; taugliche Tatopfer: Kleinkinder).

§ 176 Abs. 1 StGB; § 176 Abs. 2 StGB; § 176a Abs. 2 Nr. 1

Leitsätze des Bearbeiters

1. Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB kann nur sein, wer selbst mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden ist, an einem Kind vornimmt oder von dem Kind an sich vornehmen lässt. Erforderlich ist danach, dass der Täter das Kind selbst körperlich berührt, da es sich bei dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt.

2. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung beim schweren sexuellen Missbrauch von Kindern liegt vor, wenn bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Opfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Hierbei reicht es aus, dass sich von den zusammenwirkenden Tätern der eine nach § 176 Abs. 1 StGB und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB strafbar gemacht hat.

3. In diesen Fällen liegt die erforderliche gleiche Zielrichtung des täterschaftlichen Handelns darin, dass der Täter nach § 176 Abs. 2 StGB durch seinen Bestimmungsakt gegenüber dem Kind gerade diejenige sexuelle Handlung ermöglicht, die der andere im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB vornimmt oder an sich vornehmen lässt. Dabei ist es für die Annahme eines Bestimmens im Sinne des § 176 Abs. 2 StGB ausreichend, dass der Täter durch sein Einwirken auf das Kind die sexuelle Handlung zwischen dem nach § 176 Abs. 1 StGB handelnden Täter und dem Kind verursacht hat.

4. Taugliche Opfer sind dabei auch Kleinkinder, die noch keinen eigenen Willen bilden können. Erforderlich ist in diesen Fällen ein Verursachen durch ein Verhalten, das auf das Opfer zielt, etwa wenn der Täter durch das Ausüben physischen Zwangs auf das Kind zugreift und es festhält oder dem Dritten aushändigt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 8. Juli 2019, soweit es ihn betrifft und er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellung kinderpornografischer Schriften unter Einbeziehung zweier Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führten der 27-jährige Angeklagte und die damals 16-jährige Mitangeklagte Ö. im Jahre 2016 eine Beziehung. Der Angeklagte hatte die sexuelle Fantasie, einen Säugling in das gemeinsame Sexualleben einzubeziehen, wobei seine Sexualpartnerin den Körper des Babys an ihrem Geschlechtsteil reiben und sich dessen Arme bzw. Beine vaginal einführen sollte.

Als am 19. Mai 2016 eine Bekannte der Ö. mit ihrer drei Monate alten Tochter in der Wohnung des Angeklagten zu Besuch war, nutzten beide deren 20-minütige Abwesenheit, um die sexuellen Fantasien des Angeklagten auszuleben. Ö. entkleidete ihren Unterkörper und legte zunächst die Hände und Füße des Babys an ihre unbekleidete Vagina. Schließlich führte sie nacheinander eine Hand und einen Fuß des Kindes vaginal bei sich ein. Zudem legte sie den Kopf des Kindes mittig zwischen ihre gespreizten Beine, so dass das Baby mit dem Gesicht ihren Vaginalbereich berührte. Der Angeklagte filmte das Geschehen mit seinem Handy, wobei er an seinem entblößten Glied manipulierte. Ein zunächst zwischen beiden Angeklagten angedachter Geschlechtsverkehr unterblieb.

2. Die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit der Herstellung kinderpornografischer Schriften hat keinen Bestand. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist der schwere sexuelle Missbrauch eines Kindes durch den Angeklagten nicht belegt.

a) Entgegen der Wertung des Landgerichts kann die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nicht auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützt werden. Der Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB stellt eine Qualifikation von § 176 Abs. 1 und 2 StGB dar (BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13, juris Rn. 7). Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB kann daher nur sein, wer selbst mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden ist, an einem Kind vornimmt oder von dem Kind an sich vornehmen lässt. Erforderlich ist danach, dass der Täter das Kind selbst körperlich berührt, da es sich bei dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt (BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 243; Senat, Beschluss vom 25. September 2018 - 2 StR 275/18, juris Rn. 21; BGH, Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 237/19). Sexuelle Handlungen mit Körperkontakt zwischen dem Angeklagten und dem Kind sind indes nicht festgestellt.

b) Die Feststellungen belegen auch keine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in Verbindung mit § 176 Abs. 2 StGB. Eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes setzt in dieser Tatbestandsvariante voraus, dass der Täter das Kind dazu bestimmt, eine der genannten Handlungen an einer Person über achtzehn Jahren vorzunehmen oder von dieser an sich vornehmen zu lassen (vgl. zu § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF; BGH, Urteil vom 30. September 2004 - 4 StR 134/04, juris Rn. 16, NStZ 2005, 152, 153; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13, juris Rn. 7). Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach dieser Tatbestandsvariante scheidet bereits deshalb aus, weil die Mitangeklagte Ö. zur Tatzeit erst sechzehn Jahre alt war, der Angeklagte das Kind mithin nicht zu sexuellen Handlungen der genannten Art mit einer Person über achtzehn Jahren bestimmt haben kann.

c) Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs kann auch nicht auf den in der Anklage ebenfalls genannten Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt werden.

aa) Danach wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung liegt vor, wenn bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der Tatsituation zusammen auf das Opfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Hierbei reicht es aus, dass sich von den zusammenwirkenden Tätern der eine nach § 176 Abs. 1 StGB und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB strafbar gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, BGHSt 59, 28, 31 f. mwN; Beschluss vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, juris Rn. 5, NStZ 2018, 460; ebenso Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176a Rn. 9; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 176a Rn. 9; aA SSW-StGB/Wolters, 4. Aufl., § 176a Rn. 15).

In diesen Fällen liegt die erforderliche gleiche Zielrichtung des täterschaftlichen Handelns darin, dass der Täter nach § 176 Abs. 2 StGB durch seinen Bestimmungsakt gegenüber dem Kind gerade diejenige sexuelle Handlung ermöglicht, die der andere im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB vornimmt oder an sich vornehmen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, BGHSt 59, 28, 33 mwN; Beschlüsse vom 15. März 2017 - 4 StR 22/17, NStZ-RR 2017, 142; vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, juris Rn. 5, NStZ 2018, 460). Dabei ist es für die Annahme eines Bestimmens im Sinne des § 176 Abs. 2 StGB ausreichend, dass der Täter durch sein Einwirken auf das Kind die sexuelle Handlung zwischen dem nach § 176 Abs. 1 StGB handelnden Täter und dem Kind verursacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 246; Beschluss vom 15. März 2017 - 4 StR 22/17, aaO; Beschluss vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, NStZ-RR 2017, 142; ebenso LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 17; Schönke/Schröder/Eisele, aaO, § 176 Rn. 8; aA MK-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 176 Rn. 31 f.; SSW-StGB/Wolters, aaO, § 176 Rn. 5).

Taugliche Opfer sind dabei auch Kleinkinder, die noch keinen eigenen Willen bilden können (BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 245). Erforderlich ist in diesen Fällen ein Verursachen durch ein Verhalten, das auf das Opfer zielt, etwa wenn der Täter durch das Ausüben physischen Zwangs auf das Kind zugreift und es festhält oder dem Dritten aushändigt (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 246).

bb) Hieran gemessen belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte auf das geschädigte Kind einwirkte, damit dieses die Missbrauchshandlungen der Mitangeklagten Ö. an sich vornehmen ließ. Ein aktives Einwirken des Angeklagten auf das geschädigte Kind ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr beschränkte sich seine Rolle auf das Zuschauen und Filmen.

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern; dies gilt auch für die an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen Herstellens kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Die Sache bedarf insoweit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht die Möglichkeit zu umfassenden, in sich stimmigen Feststellungen zu geben. Der neue Tatrichter wird dabei in den Blick zu nehmen haben, ob der Angeklagte eine aktive - mittäterschaftliche - Bestimmungshandlung an dem geschädigten Kind vorgenommen hat. Sollte dies nicht feststellbar sein, wird er zu prüfen haben, ob sich der Angeklagte einer Anstiftung oder einer Beihilfe zum sexuellen Missbrauch eines Kindes durch die Mitangeklagte Ö. gemäß § 176 Abs. 1, §§ 26, 27 StGB schuldig gemacht hat.

Er wird zudem Gelegenheit haben, genauer als bisher die Rechtskraft und den Vollstreckungsstand der drei letzten Verurteilungen des Angeklagten festzustellen, die der Beendigung der hier zur Aburteilung stehenden Tat sowohl hinsichtlich der Tatzeit wie auch des Verurteilungszeitpunkts nachfolgten (vgl. zum Darstellungserfordernis BGH, Beschluss vom 10. April 2019 - 4 StR 25/19, juris Rn. 10; vgl. auch Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 2 StR 333/18; juris Rn. 5 f.; LK-StGB/Rissing-van Saan/Scholze, 13. Aufl., § 55 Rn. 46a). Er wird für den Fall der neuerlichen Bildung einer Gesamtstrafe zu erörtern haben, warum dem Urteil des Amtsgerichts Pößneck vom 25. Januar 2017, welches das Landgericht bei seiner Gesamtstrafenbildung außer Betracht gelassen hat, keine Zäsurwirkung zukommt (vgl. zur Zäsurwirkung BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 4 StR 595/19, juris Rn. 3 mwN; hierzu auch LK-StGB/Rissing-van Saan/Scholze, aaO, § 55 Rn. 14 f.; SSW-StGB/Eschelbach, aaO, § 55 Rn. 12). Maßgeblich wäre die Vollstreckungssituation im Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 - 4 StR 53/18, juris Rn. 7 mwN). Sollte sich indes im Falle der erneuten Verurteilung die Notwendigkeit ergeben, mit dem Urteil des Amtsgerichts Pößneck vom 25. Januar 2017 eine Gesamtstrafe zu bilden, wird er zu beachten haben, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 StR 102/17, juris Rn. 5; LK-StGB/Rissing-van Saan/Scholze, aaO, § 55 Rn. 44a).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 640

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 408; StV 2021, 296

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner