HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1291
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 278/19, Beschluss v. 11.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1291
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 24. Januar 2019
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.
Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete der Angeklagte seit Februar 2016 im Restaurant Ko. in K. Dort war auch das spätere Tatopfer S. als Hilfskoch tätig. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden verlief anfangs harmonisch, alsbald jedoch kam es zu Streitigkeiten. Grund waren unterschiedliche Ansichten über die Gestaltung der Abläufe in der Küche. Die Betreiberin des Restaurants, die Zeugin J., versuchte zu vermitteln, es gab jedoch immer wieder neue Konflikte. Ende Mai 2016 kam es in der Küche des Restaurants zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, bei der S. den Angeklagten schlug.
Die Zeugin J. gelangte zu der Überzeugung, dass eine weitere Zusammenarbeit der beiden Kontrahenten nicht möglich war. Da sie die Arbeitsleistung des späteren Tatopfers sehr schätzte, plante sie, es in einem anderen Restaurant, das sie eröffnen wollte, zu beschäftigen. Zwischenzeitlich stellte sie S. von der Arbeitsleistung frei, meldete ihn von der Krankenkasse ab und setzte ihn im Restaurant Ko. nur noch aushilfsweise bei großem Arbeitsanfall und zur Einarbeitung des ab Anfang Juli 2016 eingestellten Hilfskochs, dessen Identität nicht geklärt werden konnte, ein.
Am 8. Juli 2016 waren der Angeklagte, das spätere Tatopfer und der neue Koch in der Küche des Restaurants tätig. Nach Schließung des Restaurants kam es zu einer von S. initiierten Auseinandersetzung mit dem Angeklagten. Nach zunächst verbalem Streit schlugen sich beide auf dem Gehweg vor dem Eingang der über dem Restaurant befindlichen Mitarbeiterwohnung, in der beide ein Zimmer bezogen hatten. Der Angeklagte unterlag bei dieser körperlichen Auseinandersetzung. Das spätere Tatopfer saß schließlich auf dem am Boden liegenden Angeklagten, schlug ihm mit dem Schlüsselbund ins Gesicht und würgte ihn am Hals. Der Angeklagte erlitt hierbei eine Verletzung an der Nase und an der Lippe. Zudem wurde ein Zahn gelockert. Das Eingreifen von dritten Personen, die auf das Geschehen aufmerksam geworden waren, und die verbalen Schlichtungsversuche des neuen Kochs, der an der Haustüre stand, führten schließlich dazu, dass beide voneinander abließen. Um 22.49 Uhr traf die alarmierte Polizei ein, ohne weitere Ermittlungen anzustellen, da sie zu einem anderen Einsatz gerufen wurden.
Nach der Auseinandersetzung kehrte S. in sein Zimmer zurück, rief gegen 23.00 Uhr den Bruder der Zeugin J. an und teilte ihm mit, dass er sich mit dem Angeklagten geprügelt habe. Zwischen ein und zwei Uhr des nächsten Tages rief er auch J. selbst an und unterrichtete sie von dem Vorfall. Kurze Zeit danach tötete der Angeklagte S. nach einer spontanen Entschlussfassung aufgrund seines anhaltenden Zorns über die vorangegangene Misshandlung zumindest bedingt vorsätzlich. Nähere Feststellungen zum Tatablauf hat die Strafkammer nicht treffen können.
Der Angeklagte befürchtete, dass der Tatverdacht aufgrund der vorangegangenen Schlägerei schnell auf ihn fallen würde, und entschloss sich, den Toten zu beseitigen. Dazu entkleidete er das Tatopfer und zerteilte den Leichnam, indem er Arme und Beine mit einem scharfen Messer um den Knochen herum aus den Gelenken löste und so vom übrigen Körper trennte. Den Torso verstaute er mit der Kleidung des Geschädigten in einem Müllbeutel. Diesen brachte er zum Rhein und warf ihn dort ins Wasser. Er wurde am 11. Juli 2016 ans Ufer gespült und zwei Tage später von der Polizei sichergestellt. Die Knochen des Tatopfers und seinen Schädel verbrachte der Angeklagte zu einem späteren Zeitpunkt in ein Waldstück. Dort wurden die körperlichen Überreste am 11. Mai 2017 in einer Grube aufgefunden.
Am Morgen des 9. Juli 2016 teilte der Angeklagte der Zeugin J. mit, dass der Geschädigte die ganze Nacht telefoniert und dann am frühen Morgen mit seinem Gepäck das Haus verlassen habe, um künftig bei einem anderen Arbeitgeber „schwarz“ zu arbeiten.
b) Das Landgericht ist im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte den Geschädigten bedingt vorsätzlich getötet habe. Dabei hat es vor allem darauf abgestellt, dass er aufgrund der vorangegangenen Streitigkeiten mit dem Geschädigten, insbesondere aufgrund der körperlichen Auseinandersetzung am Abend des 8. Juli 2016, aus der er als Verlierer hervorgegangen und bei der er nicht unerheblich verletzt worden sei, ein Motiv gehabt habe, den Geschädigten zu töten. Der Angeklagte gehöre zu dem Personenkreis, der in der Lage sei, fachgerecht Knochen aus den Gelenken zu lösen. Ihm habe für das Zerteilen der Leiche wie auch die weitere Spurenbeseitigung ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden. Weiter spreche der Umstand, dass der Angeklagte versucht habe, durch eine Legende das Verschwinden des Tatopfers plausibel zu machen, für seine Täterschaft.
Nach alledem bestehe aus Sicht der Strafkammer kein Zweifel daran, dass der Angeklagte den Tod des Geschädigten gewaltsam herbeigeführt habe. Konkrete Feststellungen dazu, auf welche Weise der Angeklagte das Tatopfer getötet habe, hätten zwar nicht getroffen werden können. Auch habe der rechtsmedizinische Sachverständige weder am Torso noch am Schädel des Geschädigten irgendwelche todesursächlichen Verletzungen feststellen können. In Betracht komme aber als Todesursache Gewalt gegen den Hals. Dabei könne es sich um eine komprimierende Krafteinwirkung wie ein Würgen oder Drosseln oder aber auch um Stichverletzungen im Halsbereich gehandelt haben. Ein Nachweis könne freilich nicht geführt werden, da bei der Obduktion der zur Beurteilung maßgebliche Körperteil gefehlt habe. Aus rechtsmedizinischer Sicht habe der Sachverständige im Übrigen auch nicht ausschließen können, dass der Geschädigte an einem Herzinfarkt oder einem Aneurysma gestorben sei. Aus Sicht des Landgerichts bestünden aber keine Zweifel, dass der Geschädigte keines natürlichen Todes gestorben sei. Für das postmortale Zerstückeln der Leiche, das der Erschwerung der Identifikation und der Spurenbeseitigung gedient habe, hätte bei einer solchen Todesursache kein Anlass bestanden. Schon gar nicht wäre es erforderlich gewesen, die sterblichen Überreste an zwei unterschiedlichen Stellen zu entsorgen. Vor diesem Hintergrund habe die Strafkammer keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bei der Tötung des Geschädigten zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe.
2. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat nicht die aufgrund der fehlenden Feststellungen zum konkreten Tathergang jedenfalls in Betracht kommende Möglichkeit ausgeschlossen, der Angeklagte habe bei seiner Gewaltanwendung gegen das Opfer lediglich mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt, ohne dass er den dadurch verursachten Todeserfolg billigend in Kauf genommen habe.
Die Strafkammer ist im Rahmen einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte den Tod des Geschädigten gewaltsam verursacht hat. Insbesondere hat sie dabei mit tragfähigen Erwägungen ausgeschlossen, dass das Tatopfer eines natürlichen Todes gestorben sei. Die dies tragende Erwägung, für das postmortale Zerstückeln der Leiche hätte bei einer natürlichen Todesursache keine Veranlassung bestanden, schließt im Übrigen in gleicher Weise - ohne dass dies vom Landgericht näher zu erläutern gewesen wäre - auch eine allein fahrlässige oder durch Notwehr gerechtfertigte vorsätzliche Tötung als Alternativgeschehen aus. Denn auch in den letztgenannten Fällen wäre es aus Sicht des Angeklagten nicht vonnöten gewesen, in der beschriebenen Weise Spuren zu beseitigen und eine Legende zu erfinden, die das Verschwinden des Tatopfers erklärlich machte.
Das Landgericht hat aber nicht erkennbar in den Blick genommen, dass eine gewaltsame Verursachung des Todes, die nicht fahrlässig oder gerechtfertigt geschehen ist, nicht zwangsläufig zumindest mit (bedingtem) Tötungsvorsatz herbeigeführt worden sein muss. Die von der Strafkammer festgestellten Umstände des Vortatgeschehens mit der körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem Angeklagten und dem sich daraus für diesen ergebenden Tatmotiv sowie die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich „aufgrund der ihm im Rahmen der Schlägerei durch das Tatopfer zugefügten Misshandlungen in einen zum Tatzeitpunkt anhaltenden Erregungszustand des Zornes“ befunden, der für die Tötung ursächlich gewesen sei, lassen in gleicher Weise den Schluss zu, der Angeklagte habe den Geschädigten - ohne Tötungsvorsatz - allein mit Körperverletzungsvorsatz angegriffen und habe dabei dessen Tod lediglich fahrlässig verursacht. Dies gilt um so mehr, als das Vortatgeschehen, das dem Angeklagten aus Sicht der Strafkammer ein Motiv, den Geschädigten zu töten, gegeben haben soll, nicht ohne Weiteres diese Annahme rechtfertigt, sondern lediglich belegt, dass der Angeklagte Anlass gehabt haben könnte, Rache zu üben, die sich aber auch in bloßen Körperverletzungen des Opfers erschöpfen sollte. Das Landgericht hätte es deshalb nicht bei der bloßen Feststellung einer gewaltsamen Todesherbeiführung und einer darauf gestützten Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes bewenden lassen dürfen, sondern hätte das mögliche Alternativgeschehen einer vorsätzlichen Körperverletzung und einer daraus sich ergebenden Todesfolge ausschließen müssen.
Die fehlerhafte Annahme des Tötungsvorsatzes führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen Totschlags. In entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ändert der Senat den Schuldspruch in eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Andere für den Angeklagten noch günstigere Tatgeschehen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler ausgeschlossen. Es ist auch angesichts eines zum Tatgeschehen schweigenden Angeklagten und fehlender weiterer Beweismittel nicht zu erwarten, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen Totschlags rechtfertigen könnten. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1291
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner