HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 26
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 156/19, Beschluss v. 18.09.2019, HRRS 2020 Nr. 26
Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 30. Oktober 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung“ zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen planten die nicht revidierenden Mitangeklagten M., J., He. und T. den Geschädigten M. B. in dessen Wohnung zu überfallen und durch Drohung bzw. Einsatz körperlicher Gewalt zur Herausgabe eines dort vermuteten Casino-Gewinns von 300.000 Euro zu veranlassen. Am Tattag hielt sich der Angeklagte, ein Freund der Familie B., in der Wohnung auf, in der neben dem Geschädigten auch dessen Schwester Br. und deren Söhne T. und S. B. wohnten. Als die mit Sturmhauben maskierten sowie mit einem Elektroschocker und einem Schlagstock bewaffneten Mitangeklagten M., He. und T. klingelten, öffnete der Angeklagte die Tür. Er wurde von den Mitangeklagten gezwungen, ihnen sein Mobiltelefon auszuhändigen. Er erkannte He. an einem Tattoo und M. an der Stimme. Für einen nicht genau bestimmbaren Zeitraum befand er sich sodann mit den drei Mitangeklagten in der Wohnung. In dieser Zeit vereinbarte er mit ihnen, sich am Überfall auf M. B. zu beteiligen, um einen Anteil an der Beute zu erhalten, und erklärte sich dabei auch mit der Anwendung körperlicher Gewalt einverstanden. Kurz darauf öffnete er dem nach Hause kommenden S. B. die Tür. M., He. und T. verlangten von S. B. die Herausgabe von Geld, Schlüsseln und Telefon und forderten den Angeklagten auf, mit S. B. ins Nebenzimmer zu gehen und ihn dort zu fesseln. Er begab sich mit S. B. in das Zimmer, fesselte ihn aber nicht. Als S. B. ans Fenster gehen wollte, hielt der Angeklagte ihn davon ab.
Nach einer Weile kamen auch M. B., seine Schwester und T. B. nach Hause. Die drei maskierten Mitangeklagten nötigten sie zur Herausgabe ihrer Telefone. Unter Vorhalt des Elektroschockers und des Schlagstocks verlangten sie Geld, von M. B. forderten sie die EC-Karte und die dazugehörige PIN. Der Mitangeklagte T. versetzte M. B. mindestens einen Faustschlag ins Gesicht. M. B., Br. und ihre beiden Söhne mussten sich im Wohnzimmer auf eine Couch setzen. M., He., T. und der Angeklagte liefen umher und durchsuchten die Wohnung. Der Angeklagte äußerte dabei gegenüber M. B. : „Wenn Ihr den Mund haltet, krieg ich was dafür.“ M. B. übergab seine EC-Karte an einen der maskierten Männer und nannte seine PIN, Br. übergab 80 Euro. Einer der drei maskierten Mitangeklagten ging zu einer nahen Bank, um dort mit der EC-Karte Geld abzuheben. Dies scheiterte. Als er den in der Wohnung wartenden Mitangeklagten davon berichtete, gaben diese die Mobiltelefone mit Ausnahme des Geräts von M. B. zurück und warnten, die Polizei zu informieren. Andernfalls würden sie Tschetschenen vorbeischicken, die dann nicht reden, sondern zuschlagen würden. Daraufhin verließen M., He. und T. die Wohnung. Dabei bemerkten sie nicht, dass sie dort den Schlagstock vergessen hatten.
Am Folgetag schickte der Angeklagte dem Geschädigten M. B. eine Nachricht mit der Aufforderung, den Schlagstock zurückzugeben und außerdem 10.000 Euro zu zahlen. Als Übergabeort nannte er den Bahnhof in G. In einem Telefonat mit Br. wiederholte er diese Forderung und äußerte, wenn das nicht geschehe, „habe es sich für alle erledigt, dann würden alle sterben“. Gemeinsam mit dem Mitangeklagten J. begab er sich zu dem von ihm bestimmten Übergabezeitpunkt zum Bahnhof in G. Da jedoch niemand erschien, kam es weder zur Übergabe des Schlagstocks noch des Geldes.
2. Die Verurteilung des Angeklagten H. wegen mittäterschaftlicher Beteiligung an dem Überfall hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat die Mittäterschaft des Angeklagten H. mit dem „Geschehensablauf nach dem Erscheinen“ des S. B. in der Wohnung begründet. Dass der Angeklagte von den Mitangeklagten mit S. B. ins Nebenzimmer geschickt worden sei, spreche dafür, dass er in den Tatplan eingeweiht worden sei. Auch der Umstand, dass der Angeklagte anders als die anderen Personen nicht gezwungen worden sei, auf der Couch Platz zu nehmen, sondern in der Wohnung umherlief, sich an der Durchsuchung beteiligt und gegenüber M. B. geäußert habe, spreche „eindeutig“ für eine Mittäterschaft. Dass der Angeklagte auch mit dem Einsatz körperlicher Gewalt einverstanden gewesen sei, folge daraus, dass er nach dem Schlag gegen M. B. und nach Verlassen der Wohnung durch die Mitangeklagten, „weitere Tatbeiträge“ in Form von Nachrichten und Anrufen am Folgetag geleistet habe. Der Vorsatz hinsichtlich der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ergebe sich daraus, dass der Angeklagte den Einsatz des Schlagstocks und des Elektroschockers in der Wohnung miterlebt habe und „gleichwohl fortfuhr, weitere Tatbeiträge zu leisten“.
Diese Erwägungen tragen nicht die Annahme einer mittäterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten H. an dem Überfallgeschehen.
b) Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Tatgeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob ein Tatbeteiligter als Mittäter eine Tat begeht, ist nach den gesamten Umständen, die von der Verurteilung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 2 StR 220/17, NStZ 2018, 144, 145).
c) Gemessen hieran begegnet die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Prüfung wesentliche, gegen die Annahme von Mittäterschaft sprechende Anhaltspunkte nicht erkennbar in den Blick genommen. So kam der an der ursprünglichen Tatplanung nicht beteiligte Angeklagte der Aufforderung der Mitangeklagten, S. B. im Nebenzimmer zu fesseln, nicht nach. An Drohungen gegenüber Mitgliedern der Familie B. hat er ebenso wenig mitgewirkt wie an der körperlichen Misshandlung von M. B. Dass er in irgendeiner Weise an der Tatbeute partizipierte, ist ebenfalls nicht festgestellt. Auch zu der Frage, mit welchem Ziel er sich an der Durchsuchung der Wohnung beteiligte, hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Außerdem verblieb er mit den Geschädigten in der Wohnung, nachdem die maskierten Mitangeklagten den Tatort verlassen hatten. Schon angesichts der untergeordneten Tatbeiträge erscheint das Vorliegen von Tatherrschaft bzw. des Willens dazu fraglich, jedenfalls versteht sich die Annahme von Mittäterschaft nicht von selbst. Die Wertung des Landgerichts, dass die Aufforderung des Angeklagten zur Rückgabe des Schlagstocks und zur Zahlung von 10.000 Euro einen „weiteren Tatbeitrag“ darstelle und sich „nur dadurch erklären“ lasse, „dass der Angeklagte als Mittäter in das Gesamtgeschehen eingebunden war und dass er diese auch wollte“ (UA S. 24), erschließt sich schon deshalb nicht, weil die Strafkammer dieses dem Überfall nachfolgende Geschehen den Mitangeklagten M., He. und T. nicht zugerechnet hat.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung „mittels eines hinterlistigen Überfalls“ gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt die Ausnutzung eines Überraschungsmoments durch planmäßiges Verbergen der Verletzungsabsicht voraus, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 334/08, NStZ-RR 2009, 77, 78). Da der besondere Unrechtsgehalt der Tatbestandsvariante daraus resultiert, dass der Angriff für das Opfer völlig unvorhergesehen kommt, ist der Tatbestand nicht erfüllt, wenn der Täter, der sich durch List Zutritt zur Wohnung verschafft hat, das Opfer später offen angreift (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. September 1988 - 5 StR 387/88, BGHR § 223a Abs. 1 Hinterlist 1).
b) Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, inwieweit dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folge der Strafe für die weitere Entwicklung des Jugendlichen/Heranwachsenden abgewogen worden ist (dazu BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186 f. mwN; Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, juris Rn. 5 und vom 8. Januar 2015 - 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154, 155). Hieran fehlt es, wenn die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich mit solchen Zumessungserwägungen vorgenommen wird, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1994 - 4 StR 367/94, juris Rn. 5). Eine abschließende lediglich formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt den Erfordernissen des § 18 Abs. 2 JGG nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2012 - 3 StR 238/12, juris Rn. 6 und vom 8. Januar 2015 - 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154,155).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 26
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 42
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner