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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 25

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 143/19, Beschluss v. 01.10.2019, HRRS 2020 Nr. 25


BGH 2 StR 143/19 - Beschluss vom 1. Oktober 2019 (LG Aachen)

Verwerfung der Revision als unbegründet.

§ 349 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 19. November 2018 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Fall 3 der Urteilsgründe (Tat vom 25. März 2018),

b) im Gesamtstrafenausspruch sowie

c) hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzugs der Gesamtfreiheitsstrafe.

Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Entscheidung über den Vorwegvollzug getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargelegten Gründen der Erfolg versagt.

2. Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch ergeben. Hingegen begegnet die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung im Fall 3 der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts drang der Angeklagte am 25. März 2018 gegen 22.30 Uhr gewaltsam in die Wohnung der Nebenklägerin, seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, ein. Ein Nachbar, der den Lärm vernommen hatte, kam hinzu, um ihr zu Hilfe zu eilen. Der Angeklagte forderte den Nachbarn unter Vorhalt eines Küchenmessers auf, dass er „zur Seite gehen solle“, sonst würde er auch etwas abbekommen. Dieser rannte daraufhin aus der Wohnung und verständigte die Polizei. Der Angeklagte schloss die Wohnungstür, währenddessen die Nebenklägerin ins Schlafzimmer flüchtete. Der Angeklagte, der das Messer nicht mehr in seiner Hand hielt, folgte ihr, schlug sie und drückte sie aufs Bett. Nachdem er ihre Kleidung heruntergerissen und sich selbst entkleidet hatte, versuchte er vergeblich, den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr zu vollziehen. Da sein Penis nicht steif wurde, drang er mehrfach mit mindestens einem Finger in sie ein, riss anschließend ihren Kopf an den Haaren hoch und schob seinen nicht erigierten Penis in ihren Mund. Die Nebenklägerin erlitt dabei Hämatome am ganzen Körper. Als kurze Zeit später die herbeigerufene Polizei die Wohnungstür aufbrach, ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab.

Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Dabei hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte „bei der Tat“ ein gefährliches Werkzeug gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB verwendet habe, indem er das Messer als Drohmittel gegenüber dem zur Hilfeleistung bereiten Nachbarn einsetzte. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

b) Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Angeklagte, als er den Nachbarn mit dem Messer bedrohte, schon entschlossen war, sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin vorzunehmen oder von ihr an sich vornehmen zu lassen. Die Feststellung eines solchen Tatvorsatzes zu diesem Zeitpunkt wäre aber - das Messer ist bei dem späteren Übergriff gegen die Nebenklägerin nicht mehr verwendet worden - erforderlich, um annehmen zu können, der Angeklagte habe das Messer „bei der Tat“ im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB verwendet (vgl. MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 163, 168). Wäre der Angeklagte, der von seiner Ehefrau getrennt lebte, die Beziehung zu ihr wieder beleben wollte und zugleich eifersüchtig auf eine angebliche neue Beziehung der Ehefrau war, zunächst ohne sexuelle Absichten gewaltsam in die Wohnung eingedrungen, etwa um sie zu verletzen oder gar zu töten, wäre der Messereinsatz gegen den Nachbarn nach dem Eindringen in die Wohnung nicht „bei der Tat“ gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB erfolgt. Insoweit hätte die Verwendung des Messers gegebenenfalls der Ermöglichung von beabsichtigten Körperverletzungs- oder Tötungshandlungen gedient, nicht aber der Vornahme sexueller Handlungen gegen den Willen der Ehefrau. Ein später gefasster Tatentschluss zu sexuellen Übergriffen aber reichte nicht aus, um den vorangegangenen Einsatz des Messers als Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs bei der dann erst später ins Versuchsstadium gelangten Sexualstraftat anzusehen.

Das Landgericht hat keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, welche Absichten der Angeklagte verfolgte, als er zur Wohnung seiner Ehefrau aufbrach und gewaltsam in diese eindrang. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass er zu diesem Zeitpunkt schon zu sexuellen Übergriffen gegen die Nebenklägerin entschlossen war. Der Angeklagte hatte zwar bereits in der Vergangenheit zwei weitere Vergewaltigungen zum Nachteil seiner Ehefrau begangen, was dafür sprechen könnte, dass er auch am 25. März 2018 Ähnliches vorhatte. Das Landgericht hat aber auch festgestellt, dass der Angeklagte am Tattag um 13.37 Uhr seiner älteren Tochter eine Sprachnachricht zusandte, in der er unter anderem schrieb: „Hast Du gewusst, dass Deine Mutter eine Schlampe ist und sich für Geld ficken lässt.… Vielleicht ist es der letzte Anruf an Dich. Ich liebe Dich. Es tut mir leid, wenn etwas passiert.“ Diese Nachricht enthält kein Anzeichen für die Begehung eines sexuellen Übergriffs, könnte vielmehr als Hinweis auf einen sonstigen gewaltsamen Angriff gegen die Ehefrau mit Folgen zu verstehen sein. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte die Aufforderung an den Nachbarn, zur Seite zu gehen, mit den weiteren Worten verband, „sonst würde er auch etwas abbekommen“.

Die Sache bedarf zur inneren Tatseite neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies führt zur Aufhebung der insoweit bisher getroffenen Feststellungen. Unberührt bleiben die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben können. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, insoweit weitere Feststellungen zu treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

3. Die Aufhebung im Fall 3 der Urteilsgründe bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der Anordnung über den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 25

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner