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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 684

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 102/19, Beschluss v. 17.04.2019, HRRS 2019 Nr. 684


BGH 2 StR 102/19 - Beschluss vom 17. April 2019 (LG Limburg)

Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche.

§ 353 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 26. November 2018 in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafen sowie im Ausspruch über den Vorwegvollzug mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen unter Auflösung zweier Gesamtstrafen zu einer aus den mit Strafbefehl vom 2. November 2015, mit Urteil vom 18. Februar 2016 und mit Urteil vom 27. September 2016 zu den dortigen Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe verhängten (Einzel-)Strafen gebildeten ersten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie unter Einbeziehung der mit Urteil vom 27. September 2016 zu den dortigen Fällen 2 und 4 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Es hat ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zehn Monate der erkannten Gesamtfreiheitsstrafen vorweg zu vollziehen sind.

Die hiergegen gerichtete und mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Während der Schuldspruch, die Bemessung der verhängten Einzelstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler erkennen lassen, können die Gesamtstrafaussprüche und in deren Folge auch der Ausspruch über den Vorwegvollzug keinen Bestand haben.

1. Bei der Bildung der Gesamtstrafen hat das Landgericht zutreffend die gegen den Angeklagten verhängten früheren Gesamtstrafen aufgelöst und der Entscheidung des Amtsgerichts Königstein vom 2. November 2015 Zäsurwirkung beigemessen mit der Folge, dass aus den für Taten vor dem 2. November 2015 bereits verhängten Einzelstrafen einerseits und aus der für vorliegende, am 10. Januar 2016 begangene Tat verhängten und den die Taten am 14. Dezember 2015 und am 10. November 2015 betreffenden Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Limburg vom 27. September 2016 andererseits jeweils eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Die teilweise Vollstreckung der mit Urteil vom 27. September 2016 gebildeten Gesamtstrafe steht dem nicht entgegen, da alle Einzelstrafen, die dieser Gesamtstrafe zugrunde lagen, noch nicht erledigt im Sinne von § 55 Abs. 1 StGB sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 - 1 StR 530/11, NStZ 2012, 380, 381).

2. Soweit die Strafkammer eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten ausgesprochen hat, begegnet es indes durchgreifenden Bedenken, dass sie hierbei eine weitere, in den Urteilsgründen mitgeteilte Verurteilung des Angeklagten nicht berücksichtigt. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er darf dies in der Regel nicht dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen. Hiervon ausgehend hätte die mit Urteil des Amtsgerichts Limburg vom 17. Januar 2017 gegen den Angeklagten wegen eines am 19. Juli 2016 begangenen Betäubungsmitteldelikts rechtskräftig verhängte unbedingte Freiheitsstrafe bei der hier zu bildenden Gesamtstrafe Berücksichtigung finden müssen. Eine Erledigung, die einer Gesamtstrafenbildung entgegengestanden hätte, oder sonstige Gründe, die es ausnahmsweise gerechtfertigt hätten, die Gesamtstrafenbildung dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zu überlassen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 369/03, NStZ 2005, 32), sind weder mitgeteilt noch ersichtlich. Über die Gesamtstrafenbildung muss daher neu befunden werden; maßgebend ist die Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 3 StR 497/16, NStZ-RR 2017, 169 mwN).

3. Der Senat hebt auch die im Übrigen gebildete Gesamtstrafe von zwei Jahren und vier Monaten auf, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, das Gesamtstrafübel in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 309/99, NStZ 2000, 137 f.). Einer Entscheidung darüber, ob das angefochtene Urteil dem Begründungserfordernis bei der Gesamtstrafenbildung (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 485/71, BGHSt 24, 268, 269 f.; Beschluss vom 8. Februar 2011 - 4 StR 658/10 Rn. 2 und vom 3. Mai 2011 - 3 StR 110/11 Rn. 3 ff.) noch genügt, bedarf es deshalb nicht.

4. Die Aufhebung der Gesamtstrafaussprüche zieht die Aufhebung des Ausspruchs über den Vorwegvollzug nach sich. Müssen wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtstrafen gebildet werden, ist die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, so dass auch die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen nicht getrennt, sondern einheitlich gilt. Bei der Berechnung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ist somit von der Summe beider Gesamtstrafen und der Hälfte hiervon auszugehen (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 - 1 StR 162/14, NStZ-RR 2014, 368 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 684

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 241

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner