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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 807

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 30/18, Beschluss v. 26.07.2018, HRRS 2018 Nr. 807


BGH AK 30/18 - Beschluss vom 26. Juli 2018 (OLG Dresden)

Haftprüfungsfrist bei auf bereits bekannte Tatvorwürfe gestütztem neuem Haftbefehl (Weiterlaufen der ursprünglichen Frist; Tatbegriff; weite Auslegung; Verbot der "Reservehaltung" von Tatvorwürfen); Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 121 Abs. 1 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wird ein neuer Haftbefehl lediglich auf weitere Tatvorwürfe gestützt, hinsichtlich derer der Strafverfolgungsbehörde ein dringender Tatverdacht schon bei Erlass eines früheren Haftbefehls bekannt war, löst dies keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus; vielmehr läuft die ursprüngliche Frist weiter. Dies gilt entsprechend, wenn ein solcher Tatverdacht während des Vollzugs des ersten Haftbefehls entsteht.

2. Der Begriff "wegen derselben Tat" in dieser Vorschrift weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen, so dass er alle Taten des Angeschuldigten von dem Zeitpunkt an erfasst, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (Verbot der "Reservehaltung" von Tatvorwürfen).

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Dresden übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte befindet sich in dieser Sache auf Grund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. März 2018 seit dem 6. Juni 2018 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Für den am Tag seines Erlasses verkündeten Haftbefehl war zuvor Überhaft notiert.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe als Heranwachsender am 24. Juli 2017 in Dresden für die außereuropäische terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) um Mitglieder oder Unterstützer geworben, strafbar gemäß § 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, §§ 1, 105 JGG, indem er mittels seines Mobiltelefons seinen Chat-Partner über den Messengerdienst WhatsApp aufgefordert habe, sich dem IS anzuschließen.

Der Generalbundesanwalt hatte am 9. Februar 2018 das Ermittlungsverfahren gegen den Angeschuldigten wegen des Verdachts des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland eingeleitet und sogleich wegen minderer Bedeutung an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden abgegeben, nachdem in einem von der Staatsanwaltschaft Dresden geführten Ermittlungsverfahren entsprechende Erkenntnisse angefallen waren. In dem dortigen Verfahren hatte das Amtsgericht Dresden am 30. August 2017 einen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erlassen, der ab demselben Tag vollzogen worden und auf den Vorwurf gestützt war, der Angeschuldigte habe sich eine Schrift, die nach ihrem Inhalt geeignet ist, als Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Straftat zu dienen, verschafft, um eine solche Straftat zu begehen. Diesen Haftbefehl hat das Oberlandesgericht Dresden zwischenzeitlich mit Beschluss vom 6. Juni 2018 aufgehoben.

In dem von der Staatsanwaltschaft Dresden geführten Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft unter dem 29. Januar 2018 Anklage gegen den Angeschuldigten vor dem Amtsgericht Dresden - Jugendschöffengericht - erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens hatte dieses mit der Hauptverhandlung begonnen, die Sache aber mit Beschluss vom 8. Mai 2018 an das Oberlandesgericht Dresden verwiesen, weil die Beweisaufnahme Hinweise darauf ergeben habe, dass sich der Angeschuldigte "zumindest wegen Werben bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, nämlich den IS, gemäß § 129a Abs. 5 StGB strafbar gemacht" habe. Das von dem hier verfahrensgegenständlichen Haftbefehl erfasste Tatgeschehen wurde in dem Verweisungsbeschluss nicht erwähnt.

Im vorliegenden Verfahren hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden unter dem 8. Juni 2018 Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben, deren Zustellung an die Verteidigerin des Angeschuldigten am 13. Juni 2018 veranlasst worden ist. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens steht noch aus. Das Oberlandesgericht Dresden hat mit Beschluss vom 19. Juni 2018 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen.

II.

Die nach §§ 121, 122 StPO gebotene besondere Haftprüfung führt zur Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus.

1. Wenngleich der verfahrensgegenständliche Haftbefehl erst seit gut anderthalb Monaten vollzogen wird, ist eine Sechs-Monats-Haftprüfung vorzunehmen.

Bei der Berechnung der Haftprüfungsfrist des § 121 Abs. 1 StPO berücksichtigt der Senat auch die Zeit vom 5. Januar bis zum 5. Juni 2018, während der noch der Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 30. August 2017 vollzogen wurde. Auf der Grundlage der ab dem 4. Januar 2018 vorliegenden Erkenntnisse, die sich aus einem Auswertebericht von diesem Tage der Staatsanwaltschaft Dresden ergeben hatten, war der Angeschuldigte dringend verdächtig, Mitglieder oder Unterstützer für die außereuropäische terroristische Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) geworben zu haben. Daher hätte ein Haftbefehl vom Folgetag an auf den betreffenden Tatvorwurf gestützt werden können. Im Einzelnen:

a) Indem der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit am 24. Juli 2017 als Heranwachsender mit seinem Mobiltelefon seinen Chat-Partner in einem WhatsApp-Chat aufforderte, sich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) anzuschließen, ist er dringend verdächtig des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung gemäß § 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, §§ 1, 105 JGG.

aa) Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

(1) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" im Juni 2014 aus "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (ISIG) in "Islamischer Staat" (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hat seit 2010 Abu Bakr al Baghdadi inne. Hinweise, dass er zwischenzeitlich getötet wurde, konnten bisher nicht verifiziert werden. Bei der Ausrufung des Kalifats war al Baghdadi von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "Shura Räte". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al Furqan" produziert und über die 10 11 12 Medienstelle "al I'tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift "Allah Rasul Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die - zeitweilig mehreren tausend - Kämpfer sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Im Irak gelang es dem IS am 10. Juni 2014, die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul zu erlangen. Diese war bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak. Nach weiteren Gebietsgewinnen hielt die Vereinigung im Januar 2015 etwa ein Drittel des irakischen Staatsterritoriums besetzt. Seither wurde der IS schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 der Angriff auf Mossul; am 9. Juni 2017 erklärte die irakische Regierung die Stadt für befreit. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten Hochburg im Nordirak in Tal Afar verdrängt.

Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung übernommen.

(2) Seit Sommer des Jahres 2017 hatte sich der Angeschuldigte, der als syrischer Staatsangehöriger im Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, im Sinne einer jihadistischen Grundeinstellung radikalisiert und sympathisierte mit dem IS. Am 24. Juli 2017 versandte er mittels seines Mobiltelefons über den Messengerdienst WhatsApp mehrere Videos mit IS-Propaganda an den Chat-Teilnehmer "A." (im Folgenden: A.), der zur Kommunikation eine Telefonnummer mit jemenitischer Landeskennung verwendete. Die Inhalte übersandte der Angeschuldigte, damit A. erfahre, "wer wir sind und dass wir Recht haben". Anschließend rechtfertigte der Angeschuldigte das Töten von "Ungläubigen", pries den IS als standhaft und als "Staat der Wahrheit" bzw. des "wahren Glaubens" und forderte A. mit den Worten: "Bruder, ich empfehle dir diesen Boden zu verlassen und [dich] den Soldaten des Kalifenreichs anzuschließen. Du wirst wie ein König leben, ich versprech's dir." auf, sich dem IS anzuschließen.

bb) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

(1) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung "Islamischer Staat" beruht er für den hier relevanten Zeitraum - senatsbekannt - auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie auf diversen Behördenerklärungen der Geheimdienste und polizeilichen Auswertungsberichten.

(2) Hinsichtlich der Chatinhalte ergibt sich der dringende Tatverdacht aus der Auswertung des bei dem Angeschuldigten beschlagnahmten Mobiltelefons.

cc) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Angeschuldigte als Heranwachsender des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, §§ 1, 105 JGG dringend verdächtig ist. Es handelt sich um eine Inlandstat. Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor.

b) Auf der Grundlage dieser Beurteilung der Verdachtslage ist nunmehr gemäß §§ 121, 122 StPO eine Sechs-Monats-Haftprüfung geboten; denn der Angeschuldigte war bereits ab dem 4. Januar 2018 - während des Vollzugs des Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden - dringend verdächtig, um Mitglieder oder Unterstützer für den IS geworben zu haben. Dieser Tag ist maßgebend für die Bestimmung des Fristbeginns nach § 121 Abs. 1 StPO.

aa) Insoweit gilt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - AK 4/18 und StB 29/17 sowie AK 5/18, juris) Folgendes:

Wird ein neuer Haftbefehl lediglich auf weitere Tatvorwürfe gestützt, hinsichtlich derer der Strafverfolgungsbehörde ein dringender Tatverdacht schon bei Erlass eines früheren Haftbefehls bekannt war, löst dies keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus; vielmehr läuft die ursprüngliche Frist weiter. Dies gilt entsprechend, wenn ein solcher Tatverdacht während des Vollzugs des ersten Haftbefehls entsteht.

Der Begriff "wegen derselben Tat" in dieser Vorschrift weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen, so dass er alle Taten des Angeschuldigten von dem Zeitpunkt an erfasst, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Dadurch wird eine sogenannte Reservehaltung von Tatvorwürfen vermieden, die darin bestünde, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordene Taten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen.

Der Bestimmung der Haftprüfungsfrist für den gegenständlichen Haftbefehl unter Hinzurechnung eines Zeitraums des Untersuchungshaftvollzugs auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden steht nicht entgegen, dass die zwei Ermittlungsverfahren, in denen diese beiden Haftbefehle erlassen worden sind, von verschiedenen Staatsanwaltschaften (der Staatsanwaltschaft Dresden und der Generalstaatsanwaltschaft Dresden) geführt wurden und auf Staatsanwaltsseite (zunächst) keine einheitliche sachliche Zuständigkeit begründet wurde. Hinsichtlich der im Verfahren der Staatsanwaltschaft angefallenen, einen Anfangsverdacht nach § 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB begründenden Erkenntnisse bestand eine Pflicht zur Vorlage an den Generalbundesanwalt gemäß § 142a Abs. 1 Satz 3 GVG, der insoweit originär zuständig war (vgl. § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG), bevor er das Verfahren wegen minderer Bedeutung an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden verwies. Diese hätte das Verfahren wegen der übrigen, von der Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden vom 29. Januar 2018 umfassten Delikte alsdann allerdings nach § 145 Abs. 1 GVG an sich ziehen können.

Dem Amtsgericht Dresden wäre es auf Antrag des Generalbundesanwalts oder der Generalstaatsanwaltschaft Dresden möglich gewesen, den seit dem 30. August 2017 bestehenden Haftbefehl um den dringenden Tatverdacht des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung zu erweitern. Es bestand keine Verpflichtung, einen diesen Vorwurf betreffenden Antrag beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs 24 25 oder des Oberlandesgerichts Dresden zu stellen; als reguläres Haftgericht im Ermittlungsverfahren wäre hierfür auch das Amtsgericht Dresden zuständig gewesen (§ 125 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 2, § 169 Abs. 1 Satz 1 StPO; vgl. BGH aaO mwN). Von Rechts wegen wäre es nicht zu beanstanden gewesen, wenn das Amtsgericht Dresden einen einheitlichen Haftbefehl für zwei Ermittlungsverfahren verschiedener Staatsanwaltschaften erlassen hätte.

Hinzu kommt, dass durch derartige Zuständigkeitsfragen der sachliche Grund für eine einheitliche Betrachtung der Haftprüfungsfrist, einer Reservehaltung von Tatvorwürfen vorzubeugen und die Ermittlungsbehörden und Gerichte dazu anzuhalten, Verfahren in Haftsachen besonders zügig zu betreiben, nicht berührt wird. Aus Sicht des Angeschuldigten kann es für die Haftfrage auf solche rein formalen Gesichtspunkte nicht ankommen.

bb) Nach Abschluss der Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten durch Auswertebericht vom 4. Januar 2018 bestand der dringende Tatverdacht, dass der Angeschuldigte um Mitglieder oder Unterstützer für den IS geworben hatte. Daher ist zu unterstellen, dass ein erweiterter Haftbefehl am 5. Januar 2018 hätte erlassen und verkündet werden können (vgl. BGH, aaO).

2. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft liegen vor.

a) Bei dem Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Er hat für den Fall seiner Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheits- oder Jugendstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Der Angeschuldigte reiste erst im Oktober 2015 nach Deutschland ein und hat es nicht vermocht, sich hier zu integrieren; er verfügt im Inland über keine sozialen Bindungen und möchte deshalb auch zu seinen Schwestern in die Türkei auswandern.

b) Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor; der besondere Umfang der Ermittlungen und deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Ermittlungsverfahren ist seit dem 4. Januar 2018 in einer dem Beschleunigungsgebot genügenden Weise geführt worden:

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrem Vorlagebericht vom 22. Juni 2018 die bisherigen Ermittlungen dargelegt. Danach wurde das Verfahren bisher insbesondere wie folgt gefördert:

Nachdem der verfahrensgegenständliche Tatverdacht erstmals nach der Auswertung des Mobiltelefons des Angeschuldigten am 4. Januar 2018 bekannt geworden war, legte der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Dresden das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 22. Januar 2018 - wie es nach obigen Darlegungen geboten war - dem Generalbundesanwalt zur Prüfung vor. Dieser leitete mit Verfügung vom 9. Februar 2018 ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeschuldigten wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland ein, das er mit weiterer Verfügung vom selben Tag wegen minderer Bedeutung an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden abgab. Die Akten übersandte der Generalbundesanwalt mit Schreiben vom 12. Februar 2018 an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, wo sie am 16. Februar 2018 eingingen. Nach kurzer Einarbeitungszeit beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden unter dem 5. März 2018 den Erlass des verfahrensgegenständlichen (Über-)Haftbefehls, der am 14. März 2018 erging und dem Angeschuldigten am selben Tag verkündet wurde. Im Anschluss daran beauftragte die Generalstaatsanwaltschaft das Landeskriminalamt Sachsen mit dem Abschluss der Ermittlungen bis zum 10. April 2018 und gab nach Rückgabe der Akten Nachermittlungen in Auftrag, deren Ergebnisse am 28. Mai und 7. Juni 2018 eingingen. Unmittelbar im Anschluss daran erhob die Generalstaatsanwaltschaft unter dem 8. Juni 2018 Anklage gegen den Angeschuldigten vor dem Oberlandesgericht Dresden. Die Zustellung der Anklageschrift wurde am 13. Juni 2018 verfügt; die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens steht noch aus.

Nach alledem ist das Ermittlungsverfahren hinreichend zügig betrieben worden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 807

Bearbeiter: Christian Becker