HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 450
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 490/18, Beschluss v. 29.01.2019, HRRS 2019 Nr. 450
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 2. Juli 2018 im Fall 1 der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte insoweit freigesprochen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen. Im Übrigen trägt der Angeklagte die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zu Fall 1 der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte an einem Tag im Zeitraum zwischen Sommer und Dezember 2015 der damals neunjährigen Geschädigten „zielgerichtet mit der Hand an deren bedeckte Brust“ gegriffen habe. Das Landgericht hat dies als sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB bewertet. Zum Vorliegen einer sexuellen Handlung „von einiger Erheblichkeit“ (§ 184h Nr. 1 StGB) hat es ausgeführt, die Handlung sei zwar nur von kurzer Dauer und geringer Intensität gewesen; jedoch hätten der Handlungsrahmen und die Beziehung des zur Tatzeit über dreißigjährigen Angeklagten zu dem neunjährigen Kind als Lebenspartner der Mutter dazu geführt, dass die Erheblichkeitsschwelle deutlich überschritten sei.
2. Gegen diese rechtliche Bewertung bestehen im Fall 1 der Urteilsgründe, anders als in den Fällen 4 und 5, bei denen die Geschädigte bereits elf Jahre alt war und der Angeklagte zusätzliche Handlungen vorgenommen oder Bemerkungen gemacht hat, durchgreifende rechtliche Bedenken.
a) Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen anzusehen, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts darstellen. Die Feststellung der Erheblichkeit erfordert eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände hinsichtlich der Gefährlichkeit der Handlung für das betroffene Rechtsgut. Belanglose Handlungen scheiden aus. Bei Tatbeständen, die dem Schutz von Kindern dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit zwar geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener. Allerdings reichen auch insoweit kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 - 3 StR 122/17, NStZ 2017, 527).
b) Nach diesem Maßstab ist der einmalige, kurzzeitige und wenig intensive Griff an die bedeckte kindliche Brust des neunjährigen Mädchens keine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit (vgl. auch Schönke/Schröder/ Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184h Rn. 15b).
Zwar sind nach der Rechtsprechung bei der notwendigen Gesamtwürdigung auch die Begleitumstände der sexuellen Handlung sowie die Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; krit. MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184h Rn. 19), allerdings nur als konstellative Faktoren. Daher vermag die persönliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Kind zur Tatzeit hier nichts an der fehlenden Erheblichkeit der Berührung der kindlichen Brust im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB zu ändern. Andere Umstände (vgl. Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432 f.) oder einen speziellen „Handlungsrahmen“, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, wie etwa ein „Nötigungsszenario“ (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2012 - 1 StR 447/11), hat das Landgericht nicht festgestellt.
3. Da der Senat ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch ergänzende Feststellungen zu dem Geschehen getroffen werden könnten, die eine Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe zu tragen vermögen, spricht er den Angeklagten insoweit mit der entsprechenden Kostenfolge frei (§ 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1 StPO). § 184i StGB in der Fassung des Fünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460), der sexuelle Belästigungen durch sexuell konnotierte körperliche Berührungen unterhalb der Schwelle zur sexuellen Handlung von einiger Erheblichkeit erfassen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17, NStZ 2019, 22, 23, für BGHSt 63, 98 ff. bestimmt), galt zurzeit der Handlung des Angeklagten im Fall 1 noch nicht. Er ist deshalb auch nicht anzuwenden (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB).
4. Angesichts der verbliebenen Einzelstrafen von einem Jahr und acht Monaten, einem Jahr und zwei Monaten, neun sowie acht Monaten ist auszuschließen, dass das Landgericht ohne die aufgrund des Freispruchs entfallene Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 450
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 143; StV 2019, 550
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner