HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 843
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 415/18, Beschluss v. 26.06.2019, HRRS 2019 Nr. 843
1. a) Auf die Revision des Angeklagten M. gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 2018 wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
b) Auf die Revision des Angeklagten H. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 1-111, 113-226, 228-732, 734-887 und 889-1.122 sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
c) Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten M. und H. werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten H. wegen Betruges in 1.122 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten S. wegen Betruges in 416 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten. Während die Angeklagten M. und H. die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, erhebt der Angeklagte S. lediglich die Sachrüge. Das Rechtsmittel des Angeklagten S. führt zur vollumfänglichen Aufhebung des Urteils, soweit es ihn betrifft, die Rechtsmittel der Angeklagten M. und H. haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte M. als faktischer Geschäftsführer einen Online-Shop für Unterhaltungselektronik, der sich in wirtschaftlicher Schieflage befand und im Dezember 2013 in die Insolvenz ging.
Im Herbst 2012 gewann M. den sowohl im Geschäftsleben als auch im Bereich Programmiertätigkeiten völlig unerfahrenen, bis dahin im Gartenbau tätigen H. dafür, selbst ebenfalls einen derartigen Online-Shop zu gründen, um so auf schnelle und einfache Weise viel Geld zu verdienen. Der Online-Shop sollte im Wege des so genannten Drop-Shipping-Verfahrens betrieben werden, d.h. die Waren sollten nach Bestellung durch den Kunden seitens des Shop-Betreibers wiederum selbst erst bei einem Großhändler bestellt und von diesem unmittelbar an den Endverbraucher ausgeliefert werden. Dieses Geschäftskonzept zugrunde gelegt, kümmerte sich der Angeklagte M. nach Absprache mit dem Angeklagten H. um die Aquirierung weiterer auf selbständiger Basis tätiger Personen zur Erstellung der Website des Shops, lieferte das erforderliche Know-How und vermittelte die Zeugin L., die als Webmasterin selbständig auf Rechnungsbasis die von dem Großhändler angebotenen Produkte täglich in die Shop-Datenbank einspielen sowie die Oberfläche des Shops pflegen sollte. Zudem stellte er der am 27. August 2013 eingetragenen e. GmbH von ihm bereits früher verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Verfügung, ebenso das für die Gründung der GmbH notwendige Stammkapital von 25.000 Euro, das er sich jedoch alsbald zurückübertragen ließ. Einziger Gesellschafter und Geschäftsführer war der Angeklagte H. Zum Schein schloss der Angeklagte M. mit der GmbH einen Darlehensvertrag über 80.000 Euro, der niemals valutiert wurde sowie einen Beratervertrag mit einem Honorar-Stundensatz von 199 Euro.
Innerhalb kurzer Zeit lief der Shop der e. GmbH erfolgreich an und konnte mehrere Dutzend Bestellungen von Elektronikartikeln täglich verzeichnen. Nach aufgegebener Bestellung erhielten die Kunden eine automatische Bestätigungs-E-Mail, als Zahlungsarten wurden Vorkasse oder PayPal angeboten. Bei Zahlungseingang buchte H. jeweils manuell den Betrag auf das eigens dafür eingerichtete Konto einer L. -Kreditkarte, mittels derer er wiederum jeweils manuell die von dem Kunden bestellte Ware bei dem Großhändler orderte und bezahlte.
Weder verfügte H. über eine Buchhaltung noch führte er Umsatzsteuer ab. Einen Überblick über die Bestellungen und die Finanzen der e. GmbH hatte er nicht. Während er sich ein Geschäftsführergehalt von anfangs 1.300 Euro, später 2.600 Euro auszahlte, erhielt M. seitens der GmbH für seine Tätigkeit insgesamt einen Betrag von mindestens 156.000 Euro.
Alsbald ging H. auf Anraten des Angeklagten M. dazu über, nur noch Bestellungen der „PayPal-Kunden“ ordnungsgemäß abzuwickeln, während die „Vorkassekunden“ trotz Zahlungen entweder gar keine Waren oder - was vom Zufall abhängig war - nur mit erheblicher Verspätung erhielten. Verwendet wurden deren Gelder zur Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs sowie für Zahlungen an die beiden Angeklagten. So kam es im Zeitraum vom 30. November 2013 bis zum 6. August 2014 zu 706 Bestellvorgängen „durch Vorkassekunden“, wodurch ein Schaden in Höhe von insgesamt 299.443,45 Euro entstand. Ende 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der e. GmbH eröffnet.
2. Im Laufe des Jahres 2014 erhielt der ebenfalls im Geschäftsleben völlig unbedarfte Angeklagte S., der in das Wohnhaus des mit ihm freundschaftlich verbundenen H. eingezogen war, Kenntnis von dessen Geschäftstätigkeit und lernte auch den Angeklagten M. kennen. Dieser offerierte auch ihm in ähnlicher Weise wie zuvor dem Angeklagten H. die Möglichkeit, einen Online-Shop zu eröffnen. Auf Empfehlung des Angeklagten M. gründete S. die D. GmbH und die El. GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er war. Das notwendige Stammkapital von zusammen 50.000 Euro stellte der Angeklagte M. zur Verfügung, ließ es sich aber alsbald zurückzahlen.
In der Folge schloss er mit der D. GmbH Darlehensverträge über insgesamt 71.000 Euro, mit der El. GmbH über 110.000 Euro, die zu keinem Zeitpunkt valutiert wurden. Wie schon bei der e. GmbH stellte M. die Shopsoftware zur Verfügung und vermittelte erneut die Zeugin L. sowie weitere Bürokräfte. Der Umgang mit den Kundenbestellungen einschließlich der Umbuchung der voraus gezahlten Gelder auf ein L. - Kreditkartenkonto entsprach ebenfalls demjenigen bei der e. GmbH. Die Bearbeitung der Bestellungen erfolgten in arbeitsteiliger Weise durch die Angeklagten S. und H. Nach Bestelleingang erhielten die Kunden eine automatische Auftragsbestätigung per E-Mail. Nach Zahlungseingang änderte der für die Vermarktung der Bestellungen beider Shops zuständige H. den Bestellstatus im System auf „bezahlt“. Der Angeklagte S. buchte nunmehr die seitens der Kunden erhaltenen Geldsummen von dem Geschäftskonto der GmbHs auf das L. -Kreditkartenkonto um und bestellte bzw. bezahlte - allerdings nur in einzelnen Fällen - die jeweilige Ware sodann mittels dieses Kreditkartenkontos bei dem Großhändler.
Während H. und S. für ihre Tätigkeiten monatlich jeweils 2.500 Euro entnahmen, floss an den Angeklagten M. ein Betrag von mindestens 180.000 Euro. Die entnommenen Gelder sowie der laufende Geschäftsbetrieb wurden wiederum aus den Zahlungen der „Vorkassekunden“ generiert. Umsatzsteuer entrichteten die Angeklagten nicht.
So kam es im Zeitraum Februar 2015 bis zum 14. Oktober 2015 zu insgesamt 416 Bestellvorgängen durch „Vorkassekunden“, wodurch ein Schaden in Höhe von 201.562,40 Euro entstand. Ende Januar 2016 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über beide Gesellschaften beantragt.
3. Das Landgericht hat den Angeklagten M. des Betrugs in drei Fällen für schuldig befunden, weil es sich für ihn, der mit den einzelnen Bestellvorgängen nicht befasst war, hinsichtlich der jeweiligen Gesellschaften um ein uneigentliches Organisationsdelikt gehandelt habe.
Demgegenüber hat es dem Angeklagten H. sämtliche 1.122 Fälle und dem Angeklagten S. die 416 im Rahmen der D. GmbH sowie der El. GmbH begangenen Fälle tatmehrheitlich begangen zugerechnet; dies deshalb, weil beide Angeklagte in jedem Einzelfall einen individuellen, nur je diesen fördernden Tatbeitrag geleistet hätten. Bezüglich der D. GmbH und der El. GmbH sei der Angeklagte H. in jedem Einzelfall für die Verwaltung und Bestellungen zuständig gewesen, während der Angeklagte S. in allen 416 Fällen die Umbuchung des jeweiligen Überweisungsbetrags und in Einzelfällen die Weitergabe der Bestellung an den Großhändler getätigt habe.
1. Die Revisionen der Angeklagten M. und H. haben mit der Rüge der Verletzung des § 261 StPO den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.
a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Das Landgericht hat betreffend die e. GmbH zwei, betreffend die D. GmbH und die El. GmbH jeweils einen Geschädigten als Zeugen vernommen (Fälle II.112, 227, 733, 888). Im Übrigen hat sie ihren Feststellungen die Aussage der sachverständigen Zeugin G., Justizangestellte bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, zugrunde gelegt, die die EDV der Online-Shops ausgewertet und für 1.122 Bestellvorgänge eine 25-seitige Tabelle mit acht Spalten betreffend u.a. Name der Geschädigten, Bestelldaten, Kaufpreis, Liefer/Stornodaten etc. erstellt hat. Ausweislich der Urteilsgründe (UA 64) hat die Zeugin G. sämtliche in der 25-seitigen Tabelle aufgelisteten Daten in der Hauptverhandlung „in überzeugender Weise auf Vorhalt bestätigt.“
b) Die im Wortlaut wiedergegebene 25-seitige Tabelle ist - wie sich aus dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag der Revisionsführer ergibt - weder in der Hauptverhandlung verlesen noch im Selbstleseverfahren eingeführt worden. Vielmehr wurde die Tabelle der sachverständigen Zeugin G. während derer ca. 45-minütigen Vernehmung vorgehalten. In Anbetracht des Umfangs der Tabelle und der Vielschichtigkeit der darin aufgelisteten Daten schließt der Senat aus, dass das Landgericht seine Überzeugung über ihren Inhalt aus den aufgrund dieser Vorhalte abgegebenen Erklärungen der Zeugin gewonnen hat.
c) Der Verstoß gegen § 261 StPO berührt hinsichtlich des Angeklagten M. den Schuldspruch wegen Betruges in drei Fällen nicht, entzieht aber dem Strafausspruch die Grundlage.
Das Landgericht hat in zwei Fällen betreffend die e. GmbH (II.112, 227) sowie in jeweils einem Fall betreffend die D. GmbH (Fälle II.733) und die El. GmbH (Fall II.888) durch Vernehmung der Geschädigten rechtsfehlerfrei Feststellungen getroffen, die im Kontext mit den übrigen Beweiserhebungen die Verurteilung des Angeklagten M. bezüglich aller drei Gesellschaften wegen eines uneigentlichen Organisationsdelikts tragen.
Hingegen ist der Strafausspruch aufzuheben, weil sich der dem Angeklagten zuzurechnende Schuldumfang danach bemisst, wie viele Geschädigte es insgesamt gab und welche Schäden diesen entstanden sind. Dazu wird der neue Tatrichter entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
d) Hinsichtlich des Angeklagten H. hat die Verurteilung wegen Betruges in den Fällen, in denen die Geschädigten in der Hauptverhandlung vernommen worden sind (II.112, 227, 733, 888), Bestand. Hingegen ist seine Verurteilung in den übrigen Fällen, in denen die getroffenen Feststellungen auf einem Verstoß gegen § 261 StPO beruhen, aufzuheben, was auch die Aufhebung der gegen diesen Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bedingt.
2. Die Revision des Angeklagten S. hat mit der Sachrüge umfassend Erfolg.
a) Die Beweiswürdigung leidet betreffend den Angeklagten S. an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Das Landgericht hat die Täterschaft des Angeklagten S. in 416 Fällen - seiner geständigen Einlassung folgend - darauf gestützt, dass dieser in allen die D. GmbH und die El. GmbH betreffenden Fällen selbst gehandelt habe, indem er in jedem Einzelfall die jeweilige Zahlungsbearbeitung vorgenommen habe. Dies steht jedoch im Widerspruch zu dessen von der Strafkammer nicht in Frage gestellten Einlassung, „wonach sie arbeitsteilig vorgegangen seien, sich die Arbeit aber geteilt hätten. Er selbst habe die Zahlungen der Kunden kontrolliert, während sich der Angeklagte H. um die Bestellungen gekümmert habe. Wenn er, der Angeklagte S., sich im Urlaub befunden habe, dann habe der Angeklagte H. allerdings auch auf die Konten zugreifen können“ (UA 51).
b) Vor dem Hintergrund dieser als glaubhaft bewerteten Einlassung des Angeklagten S. hätte es eingehender Erörterung bedurft, warum die Strafkammer auch solche Bestellvorgänge, die der Angeklagte H. während der Urlaubsabwesenheit des Angeklagten S. alleine abgewickelt hat, diesem als tatmehrheitlich begangen zugerechnet hat, obwohl er insoweit keine individuellen Tatbeiträge geleistet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2019 - 4 StR 465/18). Angesichts der im Raum stehenden Reduzierung der dem Angeklagten tatmehrheitlich zur Last zu legenden Betrugstaten kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch zu dessen Nachteil auf diesem Erörterungsmangel beruht und hebt deshalb dessen Verurteilung insgesamt auf.
3. Dass die Strafkammer es entgegen der Vorschrift des § 73c StGB unterlassen hat, die Einziehung des Wertes von Taterträgen anzuordnen, beschwert die Angeklagten nicht.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 843
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner