HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 962
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 408/18, Urteil v. 27.02.2019, HRRS 2019 Nr. 962
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 6. April 2018 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen zweier Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 13 und 14 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in elf Fällen sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sechzehn Fällen schuldig ist;
c) der gesamte Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel sowie die insoweit der Nebenklägerin im Rechtsmittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in elf Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in achtzehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten führen zur (teilweisen) Verfahrenseinstellung und zur Aufhebung des Strafausspruchs; die weiter gehende Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
I. Revision der Staatsanwaltschaft Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Verfahrenseinstellung in den Fällen II. 13 und 14 der Urteilsgründe und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
1. Zwar ist die Revision der Staatsanwaltschaft ausdrücklich auf das Strafmaß beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nicht wirksam. Denn das Landgericht hat - wie es selbst festgestellt hat - zwei Taten des schweren sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 13 und 14 der Urteilsgründe) ausgeurteilt, die nicht angeklagt waren, so dass insoweit das Verfahren eingestellt werden muss. Dieser Rechtsfehler, der zu einer Änderung des Schuldspruchs (zu Gunsten) des Angeklagten führt, ist untrennbar mit der Strafzumessung in diesen Fällen verknüpft, so dass der Strafausspruch in den genannten Fällen nicht isoliert angefochten werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - 4 StR 130/03).
2. Das Verfahren war hinsichtlich zweier Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fälle II. 13 und 14 der Urteilsgründe) einzustellen und der Schuldspruch entsprechend zu korrigieren.
3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen II. 13 und 14 der Urteilsgründe führt zum Wegfall der insoweit erkannten Einzelstrafen (insoweit auch zu Gunsten des Angeklagten gemäß § 301 StPO).
b) Die übrigen Einzelstrafen und auch der Gesamtstrafenausspruch weisen Rechtsfehler auf.
Bereits die bei der Gesamtstrafenbildung und durch Bezugnahme (wohl) auch bei den Einzelstrafen ohne nähere Erläuterung zu Gunsten des Angeklagten herangezogene Erwägung, die Geschädigte sei in den Angeklagten verliebt gewesen, wird von den Feststellungen nicht ohne Weiteres getragen. Die Urteilsgründe vermögen insbesondere nicht zu vermitteln, ob die Strafkammer ein Verliebtsein das zum Beginn des Tatzeitraums erst acht Jahre alten Opfers schon allein daraus abgeleitet hat, dass die Geschädigte sich nach eigener Aussage beim Angeklagten wohl fühlte, bei ihm bleiben wollte und ihn deshalb in mehrfacher Hinsicht entlastet hat.
Eine darüber hinausgehende Liebesbeziehung wird auch vom Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht belegt. Da auch nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass die maßgebliche Urteilspassage infolge eines technischen Versehens Eingang in das Urteil gefunden hat, ist insoweit ein Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten zu besorgen.
Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich zudem die Erwägung zu Gunsten des Angeklagten, dieser habe ein Geständnis abgelegt. Den Urteilsgründen ist an anderer Stelle zu entnehmen, dass der Angeklagte die Tatvorwürfe bestritten haben soll.
II. Revision des Angeklagten Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge führt zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Taten zu Ziff. II. 13-14 der Urteilsgründe, zur entsprechenden Korrektur des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der nach Einstellung des Verfahrens verbleibende Schuldspruch weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.
Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand. Soweit die Revision beanstandet, im Einzelnen näher angeführte Aussagen von Zeugen seien „nicht hinreichend“ berücksichtigt, ersetzt sie lediglich die Beweiswürdigung in der angegriffenen Entscheidung, ohne hiermit Rechtsfehler aufzuzeigen.
2. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die Verfahrenseinstellung (Fall II. 13 und 14 der Urteilsgründe) führt zum Wegfall der entsprechenden Einzelstrafen.
b) Der Strafausspruch in den verbleibenden Fällen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Allerdings ist die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte sei bei sämtlichen Taten alkoholbedingt enthemmt gewesen, ohne in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen zu sein, frei von Rechtsfehlern. Denn wenn auch aufgrund der Angaben der Nebenklägerin feststeht, dass der Angeklagte jeweils alkoholisiert gewesen ist, fehlen doch konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer intoxikationsbedingten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit.
bb) Auch mit dem Einwand, das Landgericht habe die besondere Stigmatisierung des Angeklagten durch die mediale Berichterstattung nicht berücksichtigt, dringt die Revision nicht durch. Denn dabei handelt es sich um einen Hinweis auf einen urteilsfremden Umstand, mit dem der Angeklagte im Revisionsverfahren nicht gehört werden kann. Soweit die Revision des Weiteren beanstandet, das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte sich als alleinerziehender Vater um die Kinder habe kümmern müssen, erschließt sich dem Senat schon nicht, warum dies ein Umstand sein soll, der hinsichtlich der abgeurteilten Straftaten strafmildernd zu Gunsten des Angeklagten hätte Berücksichtigung finden müssen. Jedenfalls stellt dies keinen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar, den das Landgericht in den Blick nehmen musste.
cc) Der Strafausspruch ist allerdings insoweit rechtlich durchgreifend bedenklich, als das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten zwar bei der Gesamtstrafenfestsetzung ein Geständnis berücksichtigt hat, dies jedoch - abgesehen von einer bloß formelhaften Bezugnahme bei der Begründung der Gesamtstrafe - nicht erkennbar bei den Einzelstrafen gewichtet hat. Hierzu wäre die Strafkammer gehalten gewesen, sollte der Angeklagte - was allerdings nach den Urteilsgründen unklar bleibt - ein Geständnis abgelegt haben.
c) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 962
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner