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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 28

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 335/18, Urteil v. 21.11.2018, HRRS 2019 Nr. 28


BGH 2 StR 335/18 - Urteil vom 21. November 2018 (LG Darmstadt)

Grundsätze der Strafzumessung (Gesamtabwägung; Umfang revisionsgerichtlicher Überprüfbarkeit; Anwendung auf Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falles; Berücksichtigung der Überschreitung des Grenzwertes für eine „nicht geringe Menge“ von Rauschgift); bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minder schwerer Fall).

§ 46 StGB; § 30a Abs. 3 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. Diese Maßstäbe gelten auch für die dem Tatgericht obliegende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt.

2. Das bloße Fehlen eines möglichen Strafschärfungsgrundes in Gestalt des denkbaren Waffeneinsatzes darf dem Angeklagten nicht strafmildernd zugute gebracht und tragend für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG heranzogen werden.

3. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne innerhalb des gefundenen Strafrahmens kommt jeder Überschreitung des Grenzwertes für eine „nicht geringe Menge“ von Rauschgift - ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens - grundsätzlich strafschärfende Bedeutung zu.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 26. Februar 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts verfügte der Angeklagte am 25. Oktober 2016 in seinem Pkw über Marihuana und Cannabisharz mit einem Gesamtwirkstoff von mindestens 33,96 Gramm Tetrahydrocannabinol. Das Rauschgift war zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Zur Sicherung seines Betäubungsmittelvorrats führte er ein Pfefferspray bei sich. Zum Tatzeitpunkt trug der Angeklagte als Auflage zur Außervollzugsetzung eines gegen ihn in anderer Sache erlassenen Haftbefehls eine elektronische Fußfessel. Bei seiner Festnahme leistete er erheblichen Widerstand, ein Polizeibeamter musste sich in ärztliche Behandlung begeben und war in der Folge für zehn Tage krankgeschrieben (Fall II.1). Dem ebenfalls ins Krankenhaus verbrachten Angeklagten gelang von dort die Flucht.

Am 12. Januar 2017 verfügte der immer noch flüchtige Angeklagte in der Wohnung seiner Lebensgefährtin über Marihuana und Cannabisharz mit einem Gesamtwirkstoff von mindestens 50,87 Gramm Tetrahydrocannabinol zum gewinnbringenden Weiterverkauf. In unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln verwahrte er ein Einhandmesser und zwei Pfeffersprays, mit denen er seine Betäubungsmittelvorräte schützen wollte. Zudem verfügte er über einen gefälschten italienischen Ausweis. Auch hier leistete er bei seiner Festnahme durch ein Sondereinsatzkommando erheblichen Widerstand und verletzte einen Beamten (Fall II.2).

Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des bewaffneten Handeltreibens angenommen und Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall II.1) bzw. von zwei Jahren und neun Monaten (Fall II.2) verhängt und die sichergestellten Betäubungsmittel sowie Betäubungsmittelutensilien eingezogen.

Auf die Herausgabe eines bei ihm sichergestellten Bargeldbetrags von 2.845 € hat der Angeklagte verzichtet.

II.

1. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Diese Maßstäbe gelten auch für die dem Tatgericht obliegende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt.

b) Hieran gemessen hält die Annahme minder schwerer Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 3 BtMG rechtlicher Überprüfung nicht stand:

aa) So hat sich die Strafkammer bei ihrer Entscheidung, vom Regelstrafrahmen abzusehen, von der Erwägung leiten lassen, die mitgeführten bzw. bereit gehaltenen Waffen seien nicht zum Einsatz gebracht worden (UA 14 f.).

Dabei handelt es sich jedoch um das Normdelikt der Verwirklichung des Tatbestandes nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Das bloße Fehlen eines möglichen Strafschärfungsgrundes in Gestalt des denkbaren Waffeneinsatzes darf dem Angeklagten nicht strafmildernd zugute gebracht und tragend für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG heranzogen werden (BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 - 5 StR 536/14, juris Rn. 3 und vom 19. Januar 2017 - 4 StR 334/16, NStZ-RR 2017, 117 f.).

bb) Darüber hinaus hat das Landgericht bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung des Tatbildes einschließlich aller objektiven Momente und der Täterpersönlichkeit rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte in beiden Fällen - mit den gehandelten Betäubungsmitteln auf frischer Tat ertappt - erheblichen Widerstand geleistet und Polizeibeamte nicht unerheblich verletzt hat. Zudem bestand gegen ihn ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl in anderer Sache.

c) Ausgehend vom Vorliegen minder schwerer Fälle gemäß § 30a Abs. 3 BtMG ist die Strafkammer von einem anzuwendenden Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen und hat dabei die etwaige Sperrwirkung des mitverwirklichten, aber verdrängten § 29a BtMG, der eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht, verkannt. Die Strafkammer hätte prüfen müssen, ob - was nach den bisherigen Feststellungen eher fernliegt - auch hinsichtlich des § 29a Abs. 2 BtMG ein minder schwerer Fall anzunehmen gewesen wäre; nur dann wäre die Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG entfallen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2013 - 2 StR 144/13, NStZ-RR 2014, 180).

2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Entgegen der Revision war es nicht rechtsfehlerhaft, bei der Strafrahmenwahl zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass es sich bei dem vorrätig gehaltenen Rauschgift um weiche Drogen gehandelt hat und die „nicht geringe Menge“ nur maßvoll um das 4,52-fache bzw. 6,78-fache überschritten worden ist. Jedoch kommt bei der Strafzumessung im engeren Sinne innerhalb des gefundenen Strafrahmens jeder Überschreitung des Grenzwertes - ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens - grundsätzlich strafschärfende Bedeutung zu (vgl. dazu Senatsurteil vom 15. März 2017 - 2 StR 294/16, BGHSt 62, 90 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 28

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 45

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner