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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1156

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 53/17, Beschluss v. 12.10.2017, HRRS 2017 Nr. 1156


BGH AK 53/17 - Beschluss vom 12. Oktober 2017

Dringender Tatverdacht wegen Unterstützen einer terroristischen Vereinigung (Begriff des Unterstützens; Abgrenzung zur Beihilfe; organisationsbezogene Tätigkeit; objektive Nützlichkeit; Erfolg; Werben um Mitglieder); Fluchtgefahr; Fortdauern der Untersuchungshaft über sechs Monate.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 120 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Der Begriff des Unterstützens i.S.d. §§ 129a Abs. 5 S. 1, § 129b Abs. 1 S. 1 StGB einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich auch und sogar in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss. Auch muss das Wirken des Nichtmitgliedes nicht zu einem von diesem erstrebten Erfolg führen; es genügt, wenn sein Tun für die Organisation objektiv nützlich ist, ohne dass ein messbarer Nutzen für diese eintritt.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 17. März 2017 (ER II Gs 2734/17) am 21. März 2017 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der amtsgerichtliche Haftbefehl ist inzwischen durch den am 5. Juli 2017 eröffneten Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts München vom 28. Juni 2017 (OGs 77/17) ersetzt worden.

Gegenstand des letztgenannten Haftbefehls sind insgesamt 20 Tatvorwürfe. Danach soll der Angeschuldigte den „Islamischen Staat“ (IS) und damit eine Vereinigung im Ausland unterstützt haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen zu begehen (Ziff. 1), sowie um Mitglieder oder Unterstützer für diese Vereinigung geworben haben (Ziff. 2) (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 und Satz 2, § 129b Abs. 1, § 53 StGB). Weiterhin wird ihm vorgeworfen, in 15 Fällen gegen das Vereinsgesetz verstoßen zu haben (Ziff. 3 Buchst. a) - o)) (§ 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG). Schließlich werden ihm drei Fälle der Volksverhetzung (Ziff. 4 Buchst. a)), davon in zwei Fällen in Tateinheit mit der Billigung von Straftaten (Ziff. 4 Buchst. b) und c)), angelastet (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) und b), § 140 Nr. 2, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und 6, § 52 StGB).

Wegen dieser Tatvorwürfe, die sie im Fall Ziff. 1 des Haftbefehls um den der tateinheitlich begangenen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ergänzt hat, hat die Generalstaatsanwaltschaft München gegen den Angeschuldigten am 25. Juli 2017 Anklage vor dem Oberlandesgericht München erhoben. Dieses hält den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft für erforderlich.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts München vom 28. Juni 2017 unter Ziff. 1 und Ziff. 2 vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:

aa) Der „Islamische Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG), der im Juni 2014 in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannt wurde und seither unter diesem Namen auftritt, ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitime Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien“ Abstand nahm, hat der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne. Hinweise, dass dieser zwischenzeitlich getötet wurde, konnten bisher nicht verifiziert werden. Er war von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen“ unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al I'tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich und Belgien, die Verantwortung übernommen.

bb) Der Angeschuldigte, der die deutsche und die tunesische Staatsbürgerschaft besitzt und in Ingolstadt lebt, folgt einer extremistischen islamistischen Weltanschauung und orientiert sich an den Wertungen und Zielen des IS, den er in Internetauftritten verherrlicht. Im März und im April 2013 überwies der Angeschuldigte von seinem Bankkonto bei der B. einen Geldbetrag von 2.850 € bzw. 675 € an Ba., alias , um dessen Vorhaben zu unterstützen, aus dem Bundesgebiet in das syrisch-irakische Grenzgebiet auszureisen und sich dort als Kämpfer des IS zu betätigen. Tatsächlich begab sich Ba. Ende 2013 oder Anfang 2014 nach Syrien, wo er sich dem IS anschloss und in dessen Auftrag im Juli 2014 einen Selbstmordanschlag gegen mehrere Kämpfer der PKK verübte, die dabei getötet wurden (Tat Ziff. 1 des Haftbefehls). In engem zeitlichem Zusammenhang mit den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 fertigte der Angeschuldigte auf seinem Computer ein Dokument an, mit dem er tunesische Muslime dazu aufrief, sich in Trainingslager des IS in Libyen zu begeben, um sich für den „globalen Befreiungskrieg“ zur „erneute(n) islamische(n) Eroberung Tunesiens“ ausbilden zu lassen, wobei er durch bestimmte Formulierungen („wir“, „unser“ usw.) den Eindruck erweckte, selbst dem IS anzugehören. Dieses Schreiben stellte er über von ihm unterhaltene Facebook-Nutzerkonten ins Internet ein, wobei ihm bewusst war, dass der Aufruf weltweit für Facebook-Nutzer zugänglich war (Tat Ziff. 2 des Haftbefehls).

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der terroristischen Vereinigung IS aus einem Auswertungsbericht des Bundeskriminalamtes vom 6. März 2014 sowie aus allgemein zugänglichen Quellen.

Hinsichtlich der Überweisungen des Angeschuldigten an Ba., dessen Ausreise nach Syrien und Beteiligung am IS sowie des von ihm durchgeführten Selbstmordattentats gegen Kämpfer der PKK ergibt sich der dringende Tatverdacht - auch hinsichtlich des Kenntnisstandes und der mit den Überweisungen verbundenen Absichten des Angeschuldigten - namentlich aus den Ermittlungen zu den entsprechenden Kontobewegungen und dem Inhalt überwachter Telefonate. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Haftbefehls vom 28. Juni 2017 verwiesen. Der Vorwurf des Werbens um Mitglieder und Unterstützer des IS beruht auf dem Inhalt des als Worddokument auf dem Computer des Angeschuldigten sichergestellten Aufrufs, dem für Facebook-Veröffentlichungen typischen Ablageort und der letzten Verwendung der Datei am 26. November 2015. Auch insoweit ist hinsichtlich der Einzelheiten auf den Haftbefehl Bezug zu nehmen.

c) Es besteht somit der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Sätze 1 und 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat.

Der IS stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB dar.

aa) Diese Vereinigung hat der Angeschuldigte mit den oben dargestellten Überweisungen an Ba., alias , im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB unterstützt (Tat Ziff. 1 des Haftbefehls).

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist unter einem Unterstützen im Sinne von § 129a Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich jedes Tätigwerden zu verstehen, durch das ein Nichtmitglied der Vereinigung deren innere Organisation und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenn auch nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder das sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (s. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979 - 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich auch und - wie schon der Wortlaut des Gesetzes zeigt - sogar in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 14 15 16 69, 117 f.). Auch muss das Wirken des Nichtmitgliedes nicht zu einem von diesem erstrebten Erfolg führen; es genügt, wenn sein Tun für die Organisation objektiv nützlich ist, ohne dass ein messbarer Nutzen für diese eintritt (vgl. BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 116; vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt 33, 16, 17; vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83, BGHSt 32, 243, 244).

Danach stellen die Überweisungen des Angeschuldigten an Ba. ein Unterstützen des IS dar. Der Angeschuldigte, für dessen mitgliedschaftliche Beteiligung an der terroristischen Vereinigung IS sich bislang keine Hinweise gefunden haben, hat mit den Überweisungen an Ba. zwar nicht im engen Sinne die Tätigkeiten eines Angehörigen der Vereinigung gefördert, da dieser sich erst später dem IS anschloss. Er hat aber, indem er diesen mit den Überweisungen bei der Umsetzung seines Vorhabens, nach Syrien zu reisen und sich dort als Kämpfer dem IS anzuschließen, unterstützen wollte, dessen Anschluss an die Organisation gefördert und damit durch sein Tun für die Vereinigung einen objektiven Nutzen entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, NStZ 2016, 528, 529).

bb) Des weiteren ist der Angeschuldigte dringend verdächtig, um Mitglieder oder Unterstützer für den IS im Sinne von § 129a Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB geworben zu haben (Tat Ziff. 2 des Haftbefehls).

Um Mitglieder für eine der in § 129a Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten terroristischen Vereinigungen wirbt, wer sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten derartigen Vereinigung einfügen. Um Unterstützer wirbt, wer bei anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit oder die Bestrebungen einer solchen Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern, ohne sich selbst als Mitglied in die Organisation einzugliedern. Die Werbung kann sich dabei in beiden Fällen sowohl an eine konkrete Person als auch an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten richten. Ein Erfolg der Werbung wird nicht vorausgesetzt; auch der erfolglose Versuch, andere als Mitglied oder Unterstützer einer Vereinigung zu gewinnen, wird von der Strafbarkeit erfasst (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 353).

Nach diesen Maßstäben ist der Angeschuldigte mit dem ihm als Fall Ziff. 2 der Anklage vorgeworfenen Verhalten des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für die terroristische Vereinigung IS dringend verdächtig. Zwar reicht ein allgemein gefasster Aufruf, sich an nicht näher gekennzeichneten terroristischen Aktivitäten zu beteiligen oder sich dem Djihad anzuschließen, für sich genommen nicht für die Erfüllung des Tatbestandes aus (BGH aaO, S. 353 f.). Doch hat der Angeschuldigte vorliegend mit dem allen Facebook-Nutzern zugänglichen, auf seinem Facebook-Konto eingestellten Dokument tunesische Muslime aufgefordert, der konkreten Organisation IS beizutreten oder diese jedenfalls zu unterstützen, indem sie sich in Ausbildungslagern in Libyen für den „globalen Befreiungskrieg“ ausbilden lassen.

d) Da der Angeschuldigte deutscher Staatsangehöriger ist, ist gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB deutsches Strafrecht anwendbar; außerdem hält er sich in Deutschland auf (zum Strafanwendungsrecht nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017, AK 11-13/17, juris Rn. 16; auch BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).

e) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Unterstützern des IS liegt vor.

2. Aus den Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Bereits die für die Taten Ziff. 1 und Ziff. 2 des Haftbefehls zu erwartenden Strafen bilden einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeschuldigte dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. Fluchthindernde Umstände stehen dem nicht hinreichend entgegen. Der Angeschuldigte ist zwar - auch - deutscher Staatsangehöriger. Doch wurde die Einbürgerung durch - bisher allerdings noch nicht bestandskräftigen - Bescheid des Amtes für Staatsangehörigkeit und Ausländerangelegenheiten der Stadt I. zurückgenommen. Die tunesische Ehefrau des Angeschuldigten ist mit den beiden in Deutschland geborenen Kindern zwischenzeitlich nach Tunesien ausgereist, wo der Angeschuldigte auch ein Haus gebaut hat. Aus diesen für die Fluchtgefahr maßgeblichen Gründen sind weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft zu gewährleisten.

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten, nach der die Ermittlungsakten zur Prüfung der Übernahme an den Generalbundesanwalt übersandt worden waren, der am 23. Mai 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung u.a. eingeleitet, dieses aber am gleichen Tag an die Generalstaatsanwaltschaft München abgegeben hat, musste das bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeschuldigten am 21. März 2017 sichergestellte umfangreiche Beweismaterial, insbesondere die aufgefundenen elektronischen Dateien, die mehrheitlich der Übersetzung in die deutsche Sprache bedurften, ausgewertet werden. Der Schlussbericht der Kriminalpolizei wurde am 2. Juni 2017 vorgelegt und am 17. Juli 2017 ergänzt. Aus Beschleunigungsgründen hat die Generalstaatsanwaltschaft München trotz fortdauernder Auswertungen das Ermittlungsverfahren am 25. Juli 2017 abgeschlossen und unter gleichem Datum Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben, das mit Verfügungen vom 14., 18. und 23. August 2017 die Ergänzung der Akten und eine Reihe von Nachermittlungen etwa zur Identität des Ba. mit dem genannten Selbstmordattentäter angeordnet hat, die erst teilweise erledigt werden konnten. Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens ist noch nicht entschieden worden.

In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Der Senat geht davon aus, dass auch die Nachermittlungen demnächst abgeschlossen sein werden, so dass zeitnah über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und gegebenenfalls Termin zur Hauptverhandlung anberaumt werden kann.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfen derzeit noch nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

5. Da danach schon die Tatvorwürfe zu Ziff. 1 und 2 des Haftbefehls den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft tragen, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren dort gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwürfe.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1156

Bearbeiter: Christian Becker