HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 328
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 1/17, Beschluss v. 01.02.2017, HRRS 2017 Nr. 328
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
Der Angeklagte wurde am 14. Juli 2016 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2016 (2 BGs 473/16) festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der zur Tatzeit 18 Jahre alte Angeklagte habe in neun Fällen im Juni und Juli 2016 die Vereinigung „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS), deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, dadurch unterstützt, dass er von Deutschland aus über den Messengerdienst „Telegram“ ihm vom IS-Mitglied M. übersandte, zur Veröffentlichung bestimmte Texte mit Bezug zum IS entweder ins Deutsche übersetzte oder die Richtigkeit bereits gefertigter Übersetzungen in die deutsche Sprache überprüfte, wobei er wusste, dass sein Kommunikationspartner dem IS angehörte. In Kenntnis der Ziele und Taten dieser Organisation habe er mit seiner Tätigkeit deren Propaganda fördern wollen (strafbar gemäß § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 5 Satz 1, § 53 StGB sowie §§ 1, 105 JGG).
Unter dem 3. November 2016 hat der Generalbundesanwalt wegen der im Haftbefehl aufgeführten Tatvorwürfe Anklage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht hat die Anklage mit Beschluss vom 4. Januar 2017 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
Die Voraussetzungen der Anordnung der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ im Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ in „Islamischer Staat“ umbenannte und damit von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien“ Abstand nahm, hat der „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi inne, der von seinem Sprecher zum „Kalifen“ erklärt wurde, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Ihm unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura Räte“. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al I'tisam“ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitterkanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“, einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“ auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die Vereinigung verfügt über mehrere Tausend Kämpfer, die dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert sind.
Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich und Belgien die Verantwortung übernommen.
bb) Der radikalislamistisch eingestellte Angeklagte unterstützte die Vereinigung IS mit Übersetzungen von Texten und Korrekturarbeiten an Dokumenten, die für die Propaganda der Organisation bestimmt waren. Die entsprechenden Dokumente und die begleitende Kommunikation wurden jeweils über den Messengerdienst „Telegram“ zwischen dem Angeklagten und seinem Chatpartner, dem unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen IS-Mitglied M., der unter der Kennung „G. (@.)" auftrat, übermittelt. Der Angeklagte wusste, dass sein Chatpartner dem IS angehörte und wollte durch seine Tätigkeit in Kenntnis der Ziele und Taten dieser Organisation deren Propagandaarbeit fördern.
Auf die beschriebene Weise übermittelte M. dem Angeklagten im Zeitraum vom 1. Juni bis zum 3. Juli 2016 in neun Fällen Dateien mit englischen bzw. deutschen Texten, die der Angeklagte übersetzte oder mit Anmerkungen und Korrekturen an seinen Auftraggeber zurücksandte. Dabei handelte es sich im Einzelnen um drei Bilddateien mit englischen Texten, eine Datei mit der deutschen Fassung des Vorworts der 4. Ausgabe der vom IS herausgegebenen Publikation „Dabiq“, Dateien mit deutschen Fassungen der Artikel „Indeed your Lord is ever watchful“ und „The Revival of Slavery before the Hour“ aus der 4. Ausgabe von „Dabiq“, eine Datei mit der deutschen Übersetzung des in Ausgabe 4 von Dabiq veröffentlichten Artikels „A Message from Sotloff - Days before his Execution“, die bisher nicht im Internet veröffentlicht wurde, die Datei „Naba_25_Symbole oder Götzen_ Teil 1.docx“, das Buch „Der Staat des Propheten“ in elektronischer Form, die Datei „Saraya Ghazawat und Eroberungen.docx“, die Datei „Laylatul Qadr.docx“ mit einem deutschsprachigen Text , die Datei "10.docx“.
Ein Teil der Dateien wurde nach der Bearbeitung durch den Angeklagten im Internet, insbesondere auf der vom IS betriebenen Internetplattform „b. com“ veröffentlicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen nimmt der Senat auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und dem Anklagesatz Bezug.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der terroristischen Vereinigung IS aus Auswertungen des Bundeskriminalamtes und insbesondere aus Gutachten des Sachverständigen Dr. S. .
Die Annahme radikalislamistischer Einstellungen des Angeklagten und seine Sympathie für den Jihad ergeben sich aus der vom Islamwissenschaftler Dr. R. ausgewerteten Chat-Kommunikation des Angeklagten, der etwa in einem Chat mit einer unbekannten Person am 12. Juni 2016 „bagdadi“ - gemeint ist Abu Bakr al Bagdadi - als „mein khalif“ bezeichnet hat. Auf dem Laptop des Angeklagten wurde eine Vielzahl von Bildern und Videos mit Bezug zum IS aufgefunden.
Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen ergibt sich der dringende Tatverdacht aus der Überwachung des Telegram-Accounts des Angeklagten und der Auswertung der dabei festgestellten Kommunikation des Angeklagten mit dem IS-Mitglied „G. (@ )". Bei diesem handelt es sich - wie die Ermittlungen des Zeugen KOK Ro. ergeben haben - mit hoher Wahrscheinlichkeit um M., der nach Zeugenaussagen als „geistiger Führer der Deutschen“ in Raqqa Unterricht abhielt und als Mitglied in die Strukturen des IS unter anderem im Bereich Medien und Öffentlichkeit eingebunden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisgrundlage, die den dringenden Tatverdacht belegt, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Haftbefehl und die Darstellung im Wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift vom 3. November 2016.
2. In rechtlicher Hinsicht besteht danach der dringende Verdacht, dass sich der Angeklagte in neun tatmehrheitlichen Fällen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 5 Satz 1, § 53 StGB strafbar gemacht hat, indem er mit seinen Übersetzungen und Korrekturen der zur Veröffentlichung bestimmten Texte die Tätigkeit des IS-Mitglieds M. im Bereich der Propaganda erleichtert und gefördert hat. Ein Außenstehender unterstützt eine Vereinigung auch mit Tätigkeiten, die sich der Sache nach als Förderung des Werbens für die Vereinigung durch ein Organisationsmitglied darstellen; unabhängig davon, ob die jeweiligen Texte veröffentlicht oder die vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigt wurden, hatten die Taten des Angeklagten für die Organisation auch einen objektiv nützlichen Effekt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - AK 13 und 14/13, BGHSt 58, 318, 321 ff.). Beim IS und seiner Vorgängerorganisation ISIG handelt es sich um eine terroristische Vereinigung im Ausland (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2016 - AK 2/16, juris Rn. 7 ff., 21; vom 26. Februar 2015 - StB 2/15, juris Rn. 8 ff., 22; OLG Celle, Urteil vom 7. Dezember 2015 1/15, juris Rn. 843).
Deutsches Strafrecht ist anwendbar, weil der Angeklagte in Deutschland handelte, Deutscher ist und sich hier befindet (§ 129b Abs. 1 Satz 2 StGB).
Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der sich als „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ sowie als „Islamischer Staat“ bezeichnenden ausländischen terroristischen Vereinigung liegt - als Neufassung der bisherigen Verfolgungsermächtigung - seit dem 13. Oktober 2015 vor.
3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Der bisher unbestrafte Angeklagte hat im Fall seiner Verurteilung wegen Unterstützung des IS mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, von der ein hoher Fluchtanreiz ausgeht. Ein solcher besteht auch für den Fall, dass Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen sollte. Auch dann ist mit Blick auf den Erziehungsbedarf, soweit dieser derzeit erkennbar ist, mit einer längeren Jugendstrafe zu rechnen; entgegen der Auffassung der Verteidigung sind tragfähige Gründe für die Annahme, dass diese zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, zurzeit nicht ersichtlich.
Hinreichende fluchthindernde Umstände stehen dem nicht gegenüber: Seine sozialen Bindungen in Deutschland hielten den Angeklagten, der als Gymnasialschüler noch bei seinen Eltern wohnt, nicht davon ab, M. zu bitten, ihm anlässlich einer bevorstehenden Urlaubsreise mit den Eltern in die Türkei beim Grenzübertritt nach Syrien und beim Anschluss an die terroristische Vereinigung IS behilflich zu sein. M. versicherte ihm, dass er dies koordinieren könne, und vermittelte ihm den Kontakt zu dem diesbezüglich zuständigen IS-Mitglied“ A. ".
Nach dem Ermittlungsergebnis trug der Angeklagte sich bereits im Oktober 2015 mit dem Gedanken, nach Syrien zum IS auszureisen. In der Folgezeit nahm er mehrfach Handlungen vor, die - auch mit Blick auf seine Einlassung anlässlich der Haftprüfung durch das Oberlandesgericht - belegen, dass es ihm ein ernsthaftes Anliegen war, in das vom IS beherrschte Gebiet zu gelangen und sich der Vereinigung anzuschließen. Unter diesen Umständen ist anzunehmen, dass er sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Mildere Mittel im Sinne des § 116 StPO kommen bei dieser Sachlage nicht in Betracht.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben; der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:
Nach der Festnahme des Angeklagten waren weitere umfangreiche Ermittlungen erforderlich, insbesondere die Auswertung schriftlicher Unterlagen und zahlreicher elektronischer Speichermedien. Zur Rekonstruktion der Kommunikationswege und des Inhalts der übermittelten Dateien war ein Abgleich zwischen den auf den Speichermedien gefundenen Daten, der gesicherten Kommunikation über Telegram und den Veröffentlichungen des IS im Internet erforderlich. Zudem mussten aufwändige Ermittlungen zur Person des M. geführt werden.
Der Generalbundesanwalt hat unmittelbar nach Abschluss der Ermittlungen die Anklage vom 3. November 2016 zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht hat das Zwischenverfahren zügig betrieben: Noch am Tage des Eingangs der Anklage hat die Vorsitzende des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts am 10. November 2016 die Zustellung verfügt und eine angemessene Erklärungsfrist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO bis zum 16. Dezember 2016 eingeräumt. Die zunächst beigeordnete Verteidigerin wurde auf Wunsch des Angeklagten entpflichtet; zwei neue Pflichtverteidiger wurden beigeordnet. Mit Beschluss vom 4. Januar 2017 hat das Oberlandesgericht die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zugelassen und mit Beschluss vom 5. Januar 2017, in dem es die Angaben des Angeklagten im Haftprüfungstermin vom 22. Dezember 2016 gewürdigt hat, die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Den Beginn der Hauptverhandlung hat der Strafsenat für die 13. Kalenderwoche 2017 in Aussicht gestellt.
Diese Planung ist nicht zu beanstanden, zumal noch ein Gutachten des Sachverständigen Dr. E. zur Frage, ob der Angeklagte zur Tatzeit nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand (§ 105 JGG), und ein weiteres Gutachten des Islamwissenschaftlers und Terrorismusexperten Dr. S. zur Vereinigung ISIG/IS ausstehen.
Damit ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Eile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StraFo 2013, 160, 161 f. mwN) gefördert worden.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 328
Bearbeiter: Christian Becker