HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 285
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 524/17, Beschluss v. 13.12.2017, HRRS 2018 Nr. 285
Die nachträglichen Entscheidungen während der Führungsaufsicht werden dem Jugendrichter des Amtsgerichts Heinsberg übertragen.
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 11. Mai 2012 wegen besonders schweren Raubes in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt, die er vom 25. Januar 2012 an in der Justizvollzugsanstalt I. verbüßte. Darüber hinaus wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Iserlohn vom 27. März 2014, rechtskräftig seit 4. April 2014, wegen einer während des laufenden Strafvollzugs begangenen Körperverletzung zum Nachteil eines Mitgefangenen unter Einbeziehung der Vorverurteilung durch das Amtsgericht Neuss zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt, die er bis zum 18. Januar 2016 vollständig verbüßt hat. Mit Beschluss vom 5. Januar 2016 ordnete das Amtsgericht Iserlohn gemäß § 68f Abs. 1 StGB an, dass die nach Vollverbüßung der Jugendstrafe von vier Jahren eingetretene Führungsaufsicht bestehen bleibt. Das Amtsgericht setzte die Dauer der Führungsaufsicht auf zwei Jahre fest und ordnete unter anderem an, dass der Verurteilte unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers gestellt werde, dessen Weisungen er künftig Folge zu leisten habe. Die Vollstreckungsleitung übertrug es dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Kamen.
Nachdem der Verurteilte zunächst in einer betreuten Wohneinrichtung in K. untergebracht worden war, aus welcher er aus disziplinarischen Gründen - wegen Drogenkonsums - entlassen wurde, hielt er sich bei Familienmitgliedern in N. auf. Mit Beschluss vom 18. April 2016 übertrug das Amtsgericht Iserlohn die infolge der Führungsaufsicht erforderlich werdenden Entscheidungen nunmehr gemäß §§ 58 Abs. 3, 85 Abs. 5 JGG auf das Amtsgericht Neuss, weil der Verurteilte sich in diesem Amtsgerichtsbezirk aufhalte. Am 13. Mai 2017 wurde der Verurteilte aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Duisburg erneut festgenommen und befand sich seit diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt H. ; er wurde mittlerweile rechtskräftig zu einer (weiteren) Jugendstrafe von elf Monaten verurteilt und befindet sich nunmehr in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt H. ; das Strafende ist für den 12. April 2018 vorgemerkt.
Mit Beschluss vom 24. August 2017 hob das Amtsgericht Iserlohn die Abgabe an das Amtsgericht Neuss auf und übertrug die Entscheidungen über die Führungsaufsicht auf den Jugendrichter des Amtsgerichts Heinsberg, da sich der Verurteilte in diesem Gerichtsbezirk aufhalte. Der Jugendrichter des Amtsgerichts Heinsberg lehnte die Übernahme der Sache mit Verfügung vom 15. September 2017 ab, weil die Führungsaufsicht während der Dauer des Strafvollzugs ruhe. Das Amtsgericht Iserlohn hielt ausweislich eines Vermerks vom 26. September 2017 an seiner Rechtsauffassung fest und verwies darauf, dass während der Dauer des Strafvollzugs die angeordneten Weisungen zwar suspendiert seien, die Betreuung durch den Bewährungshelfer - etwa in Form von entlassungsvorbereitenden Maßnahmen - jedoch weiter laufe; daher sei die Abgabe an den orts- und vollzugsnahen Jugendrichter sachgerecht.
Das Amtsgericht Heinsberg hat sich mit Beschluss vom 2. November 2017 für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen, dass für die nachträglichen Entscheidungen während der Führungsaufsicht der Jugendrichter des Amtsgerichts Heinsberg örtlich zuständig sei. Zur Begründung hat er ausgeführt:
„Für die nachträglichen Entscheidungen während der Führungsaufsicht ist nach § 463 Abs. 2 i.V.m. §§ 453, 462a Abs. 1 StPO, § 82 Abs. 1 Satz 2, § 85 Abs. 5 JGG der Jugendrichter des Amtsgerichts Heinsberg örtlich zuständig.
Es sind wichtige Gründe für die Abgabe an das Amtsgericht Heinsberg gegeben, da gegen den Verurteilten in einer Einrichtung im dortigen Bezirk Jugendstrafe vollstreckt wird.
Zwar ruht die Führungsaufsicht nach § 7 Abs. 1 JGG i.V.m. § 68e Abs. 1 Satz 2 StGB während des Vollzugs der Jugendstrafe in anderer Sache. Das schließt aber nicht aus, dass innerhalb dieses Zeitraums Entscheidungen über die Führungsaufsicht zu treffen sind, etwa nach § 7 Abs. 1 JGG i.V.m. § 68e Abs. 2 StGB. Hinzu kommt die Notwendigkeit weiterer Entscheidungen für den Fall einer etwaigen Aussetzung des Restes der Jugendstrafe nach § 88 JGG (vgl. § 7 Abs. 1 JGG i.V.m. § 68g StGB). Aufgrund des Gesichtspunkts der Vollzugsnähe erscheint es sachdienlich, dass diese Entscheidungen einheitlich durch den Jugendrichter getroffen werden, dem nach § 85 Abs. 2 JGG auch die Vollstreckung der neuen Jugendstrafe obliegt.
Nach der Entlassung des Verurteilten aus dem Vollzug wird die Vollstreckung, falls erforderlich, wieder durch den Jugendrichter des Amtsgerichts Iserlohn als ursprünglichen Vollstreckungsleiter zu übernehmen sein, wobei eine erneute Abgabe nach § 85 Abs. 5 JGG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht ausgeschlossen ist.“
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.
Zwar verfolgt die Ruhensregelung des § 68e Abs. 1 Satz 2 StGB das Ziel, Doppelbetreuungen durch Strafvollzug und Führungsaufsichtsstelle grundsätzlich zu vermeiden. Dies hindert die Bewährungshilfe jedoch in Einzelfällen, in denen dies bei Vollstreckung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Förderung der Resozialisierung sinnvoll erscheint, nicht, den Verurteilten während des Strafvollzugs entlassungsvorbereitend weiter zu betreuen (vgl. BT-Drucks. 16/1993 S. 23).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 285
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 227
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede