hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1180

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 256/17, Beschluss v. 05.09.2017, HRRS 2017 Nr. 1180


BGH 2 StR 256/17 - Beschluss vom 5. September 2017 (LG Gera)

Sexuelle Nötigung (erforderliche Gewalt zur Überwindung des Opfers: Unterscheidung von Gewalt durch sexuelle Handlung).

§ 177 Abs. 1 StGB a.F.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 2. Februar 2017 mit den Feststellungen im Fall II. 1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Verbreitung pornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

1. Der Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung wird von den Feststellungen nicht getragen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts verschaffte sich der Angeklagte in der Nacht des 26. Juni 2016 Zugang in eine Wohnung, in der sich - wie er wusste - allein der 14-jährige S. aufhielt und schlief. Er begab sich unbemerkt in das Schlafzimmer und zu dem auf dem Bett liegenden Jungen. Er entblößte dessen Geschlechtsteil und manipulierte daran, worauf dieser erwachte. In der Folge versuchte S., sich gegen diese Manipulation zu wehren, indem er sich auf den Bauch drehte, um die Handlung des Angeklagten abzuwehren. Der Angeklagte blieb unbeeindruckt und manipulierte weiter an dem Penis des Jungen, der dabei Schmerzen empfand und Kratz-Quetsch-Schürfverletzungen am Geschlechtsteil erlitt. Anschließend verließ der Angeklagte die Wohnung.

Das Landgericht hat darin eine sexuelle Nötigung (nach § 177 Abs. 1 StGB a.F.) in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Körperverletzung gesehen, da der Angeklagte an dem bereits über 14-jährigen Jungen sexuelle Handlungen gegen dessen Willen und Abwehr durchgeführt und ihm dabei deutlich sichtbare und mit Schmerzen verbundene Verletzungen zugefügt habe. Es ist insoweit offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Manipulation an dem Penis des Angeklagten mit Gewalt erzwungen hat.

Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte Gewalt angewendet hat. Für diese Annahme wäre es erforderlich, dass der Angeklagte physische Kraft entfaltet hat, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (Senat, Urteil vom 4. März 2015 - 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 - 2 StR 383/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dies lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, die lediglich belegen, dass der Angeklagte im Rahmen der Manipulation am Geschlechtsteil des Opfers physische Kraft entfaltet hat. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten (zur möglichen Überwindung des Widerstandes durch den Jungen) sind nicht festgestellt. Auch kann nicht aus der Vornahme der sexuellen Handlung, bei der es zu Verletzungen am Geschlechtsteil gekommen ist, zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 - 2 StR 405/15, StV 2017, 42); insoweit ist auch das Landgericht davon ausgegangen, dass die festgestellten Verletzungen allein durch die Manipulation am Penis, etwa durch einen Nagel, entstanden sind (UA S. 25). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung aber, die er vor dem Aufwachen des Opfers begonnen und - nachdem dieser sich auf den Bauch gedreht hatte - fortgesetzt hat, auch die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan (vgl. Senat, Urteil vom 4. März 2015 - 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211 zum Griff des Täters an einen Penis). Dies versteht sich auch nicht deshalb von selbst, weil der Junge sich nach den Feststellungen auf den Bauch gedreht hatte, um die Handlungen des Angeklagten abzuwehren. Denn dies lässt nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeklagte habe nunmehr mit seiner Manipulation am Penis des Geschädigten, die als sexuelle Handlung grundsätzlich von einer Gewaltanwendung als Nötigungshandlung zu unterscheiden ist (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 - 2 StR 405/15, StV 2017, 42), ausnahmsweise zugleich den Widerstand des Opfers überwunden und überwinden wollen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, wie es bei der Liegesituation des Jungen überhaupt zur Fortsetzung der Manipulation an seinem Geschlechtsteil gekommen sein soll.

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter auch die Möglichkeit einer tateinheitlichen Verurteilung nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. in den Blick zu nehmen sowie gegebenenfalls im Rahmen der Prüfung des § 177 StGB zu erwägen haben, ob der Angeklagte eine schutzlose Lage des Opfers zur Tatbegehung ausgenutzt hat (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n.F.).

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1180

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 371; StV 2018, 232

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede