HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 872
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 236/17, Beschluss v. 05.06.2017, HRRS 2017 Nr. 872
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 7. Februar 2017 in den Fällen A.III. 1., 11. und 12. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung, besonders schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung sowie wegen Beleidigung in acht Fällen, hiervon in sechs Fällen in Tateinheit mit Bedrohung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Schuldspruch in den Fällen A.III. 2. bis 10. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand. Hingegen begegnet die Verurteilung in den Fällen A.III. 1., 11. und 12. der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken; die diesen Fällen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Dies gilt zunächst für die Verurteilung im Fall A.III. 1. der Urteilsgründe wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte am 14. März 2015 gegen 21.00 Uhr in die Wohnung des Zeugen M., interessierte sich dort für ein abgestelltes gebrauchtes Fahrrad, dessen Reifen er mit einer Pumpe aufzupumpen versuchte. Als ihm dies nicht gelang, zog er plötzlich ein kleines Küchenmesser hervor und hielt es dem Zeugen vor den Mund, um die Herausgabe von Wertsachen zu erzwingen. Dieser gab ihm daraufhin zwei Handys, eine Digitalkamera und zwei Fünfzig-Euro-Scheine, woraufhin der Angeklagte die Wohnung verließ und dem Zeugen dabei drohte, er werde ihn umbringen, wenn er zur Polizei gehen würde. M. traute sich erst aus dem Haus, als der Nachbar K. nach Hause kam. Dieser verständigte gegen 23.00 Uhr für ihn die Polizei, die den Angeklagten nach Mitternacht zu Hause aufsuchte. Die Tatwaffe und das entwendete Geld wurde dort nicht aufgefunden, wohl aber zahlreiche Handys und eine Digitalkamera.
Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Er hat angegeben, er habe für den M. zwei Fahrräder gestohlen und diesem zur Weiterveräußerung gegeben. Dafür habe er von ihm 20 € bekommen sollen, tatsächlich habe er aber nichts erhalten. Er habe wiederkommen sollen, das sei am Abend des 21. März 2015 der Fall gewesen, M. habe ihm aber kein Geld gegeben. Er sei daraufhin nach Hause gegangen, ein Messer habe er nicht dabei gehabt.
Die Strafkammer hält diese Einlassung durch die gegenteiligen Bekundungen des Zeugen für widerlegt. Für den Wahrheitsgehalt der Angaben des Zeugen spreche vor allem die Aussage des Zeugen K., der bestätigt habe, dass M. stark verängstigt zu ihm gekommen sei. Dieses Verhalten sei vor dem Hintergrund der Einlassung nicht verständlich. Wenn man lediglich über die Bezahlung von bereits durchgeführten Diebstählen gesprochen hätte, ohne dass der Angeklagte feindlich gegenüber M. aufgetreten wäre, dann hätte dieser als Hehler keinen Anlass gehabt, sich an die Polizei zu wenden.
Diese Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft und ist deshalb rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Das Landgericht versäumt es die „gegenteiligen Bekundungen“ des Zeugen M. wiederzugeben, ohne deren Kenntnis es dem Revisionsgericht nicht möglich ist zu überprüfen, ob die Annahme der Strafkammer, die Angaben des Zeugen M. seien glaubhaft, rechtsfehlerfrei zustande gekommen ist. Zwar lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch entnehmen, dass der Zeuge den Tathergang (wohl) so geschildert hat, wie die Strafkammer ihn festgestellt hat. Ob und gegebenenfalls was der Zeuge darüber hinaus zu den vom Angeklagten behaupteten Fahrraddiebstählen und den sich daraus ergebenden Schulden gesagt hat, bleibt offen. Die Mitteilung diesbezüglicher Angaben aber wäre erforderlich gewesen, um überprüfen zu können, ob die Aussage des Zeugen M. geeignet ist, die Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerfrei zu widerlegen, oder ob sie womöglich von dem Bestreben geprägt ist, den in der Einlassung des Angeklagten erhobenen Vorwurf der Hehlerei auszuräumen.
Die umfassende Mitteilung der Angaben des Zeugen M. war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Strafkammer mit Blick auf die Angabe des Zeugen K., der Zeuge M. sei stark verängstigt gewesen, der Einlassung des Angeklagten keinen Glauben geschenkt hat. Auch insoweit fehlt es - über die Wertung hinaus, der Zeuge sei stark verängstigt gewesen - an einer geschlossenen Darstellung der Angaben des Zeugen K. und etwa auch der den Zeugen M. aufsuchenden Polizeibeamten, anhand derer das Revisionsgericht die diesbezügliche Würdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann.
2. Auch die Beweiswürdigung im Fall A.III. 11. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht stützt seine Verurteilung wegen Bedrohung auf die glaubhafte Schilderung des Zeugen M. und die zusätzliche Erwägung, Bedrohungen gehörten zum typischen Handlungsrepertoire des Angeklagten. Allerdings teilt es weder Einzelheiten der Angaben des Zeugen M. zu dem ohnehin knapp geschilderten Vorwurf, der Angeklagte habe ihn am 23. Juni 2016 gegen 15.00 Uhr in E. mit den Worten bedroht „Ich hole mir Dein Blut mit meinem Messer“, noch finden sich in den Urteilsgründen Hinweise, ob und wie sich der Angeklagte zu diesem Tatvorwurf eingelassen hat. Eine Überprüfung der Überzeugungsbildung des Landgerichts bleibt dem Senat damit verschlossen.
3. Schließlich erweist sich auch die der Verurteilung im Fall A.III. 12. zugrunde liegende Beweiswürdigung als lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft.
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewohnte der Angeklagte in einer Gemeinschaftsunterkunft in Me. ein Zimmer im 1. Obergeschoss. Am Tattag, dem 25. Juli 2016 gegen 5.40 Uhr, ging der dort nicht mehr lebende Zeuge B. in das Dachgeschoss des Hauses, um dort seine Wäsche zu trocknen. Der Angeklagte hörte dies und war verärgert. Er folgte dem Zeugen, der ihn hörte und sich hinter einer dort befindlichen Matratze wegduckte. Oben angekommen zündete der Angeklagte ein Stück Papier an und warf dieses auf ein dort abgestelltes Sofa, außerdem setzte er noch einen Stapel Papier in Brand. Da der Dachstuhl mit viel Gerümpel vollgestellt war, breitete sich das Feuer schnell aus. Der Angeklagte eilte zurück in das Obergeschoss, kurze Zeit später flüchtete auch der Zeuge B. nach unten. Im Treppenhaus begegneten sich beide kurz, B. lief am Angeklagten vorbei nach unten. Vor dem Haus trafen beide erneut aufeinander. Inzwischen war auch der Zeuge Mi., ein Nachbar, eingetroffen, der bereits die Feuerwehr alarmiert hatte. Gegenüber Mi. berichtete der Angeklagte von zwei Tätern, die er gesehen haben wollte. Beim Eintreffen der Polizei beschuldigten sich der Angeklagte und der Zeuge B. wechselseitig.
Das Landgericht hat den die Tat mit verschiedenen Einlassungen im Verlaufe des Verfahrens bestreitenden Angeklagten als überführt angesehen. Es hat sich dabei im Rahmen einer Gesamtschau insbesondere auf die Angaben der Zeugen Mi. und B. gestützt. Im Hinblick auf die Angaben des Zeugen Mi. hat es ausgeschlossen, dass eine dritte Person die Brandstiftung begangen haben könnte. Anhand der konstanten Aussage des Zeugen B. hat es sich die Überzeugung verschafft, dass nicht dieser, sondern der Angeklagte den Dachstuhl in Brand gesetzt hat. Der Zeuge B. habe, was der Zeuge Mi. bestätigt habe, bereits bei dessen Eintreffen den Angeklagten als Brandstifter bezeichnet. Er habe auch, nachdem er aufgrund der unterschiedlichen Einlassungen als Täter in Betracht gekommen sei, keinerlei Fluchttendenzen erkennen lassen, was im Falle eigener Täterschaft zu vermuten gewesen wäre. Er sei demgegenüber bemüht gewesen, mit seinem Handy die Feuerwehr zu verständigen. Zwar sei es nahe liegend, dass der Angeklagte und der Zeuge B. tatsächlich verfeindet gewesen seien. Jedoch hätte der Zeuge, wenn er den Angeklagten bewusst wahrheitswidrig hätte belasten wollen, ohne Weiteres angeben können, den Angeklagten deutlich von vorn oder von der Seite gesehen und zweifelsfrei identifiziert zu haben. Stattdessen habe er - gleichsam relativierend - angegeben, diesen nur von hinten gesehen und „an den Haaren erkannt“ zu haben. Hierdurch habe er seine eigene Wahrnehmung relativiert, was auch insoweit für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spreche, als die geschilderte Wahrnehmung zur Tatörtlichkeit passe.
Diese Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft, weil sie sich beim Ausschluss des Zeugen B. als Täter auf nicht vorhandene Erfahrungssätze oder Umstände stützt, die im konkreten Fall keinen oder allenfalls geringen Beweiswert haben. So kommt der Tatsache, dass der Zeuge B. bereits beim Eintreffen des Zeugen Mi. den Angeklagten als Täter bezeichnet, allenfalls geringer Beweiswert zu; auch der Angeklagte belastete den Zeugen B. noch am Tatort als den Brandstifter. Soweit die Strafkammer berücksichtigt, dass der Zeuge B., nachdem er als Täter in Betracht gekommen sei, keinerlei Fluchttendenzen gezeigt habe, was gegen ihn als Täter spreche, beruft sie sich auf einen nicht bestehenden Erfahrungssatz. Dies zeigt sich schon etwa daran, dass auch der Angeklagte nicht etwa geflohen, sondern am Brandort verblieben ist. Im Übrigen kommt auch dem Umstand, dass der Zeuge B. selbst die Feuerwehr rufen will, keine wesentliche Bedeutung gegen die Annahme einer Täterschaft des Zeugen zu. Schließlich erweist sich die im Zusammenhang mit der Motivationslage des Zeugen angestellte Erwägung, er habe ihn nur von hinten und „an den Haaren erkannt“, nicht als aussagekräftig. Darin eine „Relativierung“ seiner Aussage zu sehen, erschließt sich nicht; es bleibt dabei, dass der Zeuge B. den Angeklagten als Täter identifiziert.
Die aufgezeigten Mängel bei der Beweiswürdigung führen zur Aufhebung der Verurteilung. Der Senat kann - trotz einer Gesamtwürdigung der Strafkammer, in der sie die konstante Aussage des Zeugen B. sowie die weiteren Angaben anderer Zeugen, insbesondere des Nachbarn Mi., in den Blick nimmt - nicht ausschließen, dass sie bei rechtsfehlerfreier Würdigung die Täterschaft des Zeugen B. nicht ausgeschlossen und den Angeklagten deshalb nicht verurteilt hätte. Der neue Tatrichter wird im Rahmen der neuen Hauptverhandlung nicht nur diese Umstände, sondern auch die vom Landgericht bisher nicht erörterte Frage zu bedenken haben, ob und gegebenenfalls welches Motiv der Angeklagte gehabt haben könnte, das Haus in Brand zu setzen, in dem er selbst gewohnt hat.
Der Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen A.III. 1., 11. und 12. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 872
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner