HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1054
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 189/17, Beschluss v. 03.08.2017, HRRS 2017 Nr. 1054
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 9. November 2016
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und ein teilweiser Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe angeordnet wurden.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen „schwerer Vergewaltigung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts gab der Angeklagte, der Amphetamin, Cannabis, Diazepam und Alkohol konsumiert hatte, in einer Gaststätte den Zeuginnen L. und G. am 6. Februar 2015 heimlich das Mittel Tavor mit dem Wirkstoff Lorazepam in ein Getränk, wodurch diese benommen wurden. Anschließend fuhr er die Zeuginnen L. und G. sowie den Zeugen K. zu dessen Wohnung; zu einem späteren Zeitpunkt verabreichte er dort auch dem Zeugen K. das genannte Mittel, wodurch dieser bewusstlos wurde. Der Angeklagte legte sich dann zu der widerstandsunfähigen Zeugin L. ins Bett und vollzog mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr, bis sie wach wurde.
Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil der Zeugin L. als „schwere Vergewaltigung“ gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 StGB in der bis zum 9. November 2016 geltenden Fassung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5 StGB, die Tat zum Nachteil des Zeugen K. als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5 StGB gewertet und beide Taten unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren geahndet. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB und einen Vorwegvollzug der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten angeordnet. Dazu hat es ausgeführt, dass der unter einer Abhängigkeit von Drogen, Medikamenten und Alkohol leidende Angeklagte den Hang habe, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren. Die abgeurteilten Taten stünden damit in einem Zusammenhang, weil der Angeklagte diese einerseits unter dem Einfluss von Rauschmitteln sowie andererseits unter Einsatz von Lorazepam als Tatmittel begangen habe. Danach seien auch in Zukunft entsprechende Straftaten durch ihn zu erwarten.
1. Die Revision des Angeklagten ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet. Allerdings ist der Schuldspruch dahin klarzustellen, dass das Sexualdelikt im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB a.F., der hier gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung kommt, eine „besonders schwere Vergewaltigung“ darstellt.
2. Der Maßregelausspruch gemäß § 64 StGB kann keinen Bestand haben, weil die Maßregelvoraussetzungen nicht ausreichend dargetan sind.
a) Hat der Täter den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, kommt die Anordnung der Maßregel selbst dann, wenn zur Tatzeit eine Berauschung vorlag, nur in Betracht, wenn die Tat auf seinen Hang zurückgeht (vgl. SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 64 Rn. 27; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 64 Rn. 7). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Sie muss einen Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich gerade in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 - 3 StR 6/16, NStZ-RR 2016, 169). Dies kann entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht ohne weiteres mit dem der Tatbegehung vorausgegangenen Rauschmittelkonsum und auch nicht damit begründet werden, dass die abgeurteilten Taten unter Einsatz des Medikaments Tavor als „k.o.-Tropfen“ begangen wurden. Der Einsatz des Medikaments Tavor als Tatmittel geht nur mittelbar auf den Rauschmittelkonsum des Angeklagten zurück, der es als „Notfallmedikament bei Angstattacken“ oder als Schlafmittel zur Aufhebung der Wirkungen des Amphetaminkonsums zu benutzen pflegte (UA S. 5).
b) Die Maßregel gemäß § 64 StGB erfordert auch, dass die Gefahr besteht, der Verurteilte werde infolge seines Hanges in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die Strafkammer geht zwar davon aus. Tragfähige Darlegungen für diese Annahme fehlen jedoch. Letztlich wird im Urteil im Hinblick darauf, dass der Angeklagte die Taten unter Einsatz von Tavor als Tatmittel begangen hat, lediglich behauptet, „danach“ seien in Zukunft „Straftaten zu erwarten, die den hier abgeurteilten Taten entsprechen und damit erheblich sind“. Das reicht nicht aus. Das Landgericht hätte seine Prognoseentscheidung unter Gesamtwürdigung aller für und gegen die künftige Begehung von Straftaten infolge des Hangs des Angeklagten sprechenden Gründe belegen müssen (vgl. MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., StGB § 64 Rn. 55; SSW-StGB/Kaspar, aaO Rn. 32; NK/Pollähne, StGB, 5. Aufl., § 64 Rn. 55; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 99).
3. Die Maßregelanordnung ist deshalb aufzuheben, womit auch die Entscheidung über den Vorwegvollzug ihre Grundlage verliert. Der Senat kann nicht ausschließen, dass noch Feststellungen und Wertungen getroffen werden können, welche die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt rechtfertigen. Der Strafausspruch wird von den zur Unterbringung getroffenen Entscheidungen gemäß §§ 64, 67 StGB nicht berührt.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1054
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner