HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 928
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 27/16, Beschluss v. 08.09.2016, HRRS 2016 Nr. 928
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde am 25. Februar 2015 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 (6120 Js 206406/14) festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Nachdem der Senat diesen Haftbefehl durch Beschluss vom 28. Juli 2016 (AK 41/16) wegen Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft auf dessen Grundlage aufgehoben hat, wird die Untersuchungshaft nunmehr aufgrund des Haftbefehls des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2016 (5 - 3 StE 4/16 3/16) vollzogen.
Gegenstand dieses Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe in der Zeit von September 2013 bis Anfang Februar 2014 in Syrien als mit einem Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow bewaffnetes Mitglied des „ISIG“ an Kampfhandlungen und der Verstümmelung der Leiche eines gegnerischen Kämpfers mitgewirkt sowie eine propagandistisch nutzbare Videoaufnahme dieser Verstümmelung erstellt und sich dadurch in zwei Fällen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, dabei jeweils tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruht habe oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KrWaffKontrG erstattet worden sei, sowie in einem Fall tateinheitlich damit im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG, § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB).
Wegen des dem Haftbefehl zugrundeliegenden Vorwurfs hat der Generalbundesanwalt unter dem 25. Mai 2016 Anklage beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben. Mit Beschluss vom 5. August 2016 hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Dagegen hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. August 2016 Beschwerde eingelegt.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Der „Islamische Staat im Irak und in Großsyrien“ (im Folgenden: ISIG) bzw. nunmehr der „Islamische Staat“ (im Folgenden: IS) ist eine Organisation mit militant--fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Organisation geht zurück auf die als „al Qaida im Irak (AQI)" bekannt gewordene, von Abu Musab al Zarqawi geführte Gruppierung „Tanzim Qa'idat al Jihad fi Bilad ar Rafidain“ („Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland“) und deren Vorgängerorganisationen. Nach Leistung des Treueids auf Osama bin Laden und dessen „al Qaida“ ernannte bin Laden al Zarqawi im Dezember 2005 zu seinem Stellvertreter im Irak.
Im Jahr 2006 schloss sich die Vereinigung mit anderen Gruppierungen unter der Dachorganisation „Schura-Rat der Mudschahedin im Irak“ zusammen, aus der nach dem Tod al Zarqawis im Juni 2006 der „Islamische Staat im Irak“ (ISI) unter der Führung von Abu Ayyub al Masri hervorging. Nachdem dieser im Frühjahr 2010 bei einer Operation der US-Armee getötet worden war, übernahm Abubakr al Baghdadi die Führung des ISI und griff ab dem Jahr 2012 - einem Aufruf des Anführers der al Qaida, al Zawahiri, folgend - in den syrischen Bürgerkrieg ein, indem er Kämpfer dorthin entsandte. Im Januar 2012 hatten sich die in Syrien agierenden, überwiegend syrischen Kämpfer unter der Führung des im Irak kampferprobten Syrers Muhammad al Jaulani zu der terroristischen Vereinigung „Jabhat an Nusra li Ahl ash Sham“ (im Folgenden: JaN) zusammengeschlossen, die von al Baghdadi als dem ISI unterstehende Regionalorganisation vorgesehen war. Um seinen Führungsanspruch zu dokumentieren, verkündete er im April 2013 den Zusammenschluss von ISI und JaN zur Organisation „Islamischer Staat Irak und Großsyrien“. Al Jaulani lehnte diesen Zusammenschluss in der Folgezeit zwar ab und betonte die Eigenständigkeit der JaN; gleichwohl setzte sich der von al Baghdadi befehligte ISIG mit eigenen Kämpfern in Syrien fest und erhielt als radikalere Organisation vielfach Zulauf von Mudschahedin anderer Organisationen, etwa der JaN. Nachdem ein Schlichtungsversuch der al Qaida-Führung erfolglos geblieben war, kam es Anfang des Jahres 2014 zum Bruch al Baghdadis sowohl mit al Qaida als auch mit der JaN, der im April 2014 mit einer öffentlichen Lossagung des ISIG vom al Qaida-Netzwerk bestätigt wurde.
Dem ISIG gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des ISIG in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der Provinz Latakia unter der Führung des ISIG zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgruppen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den ISIG haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch al Qaida distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des ISIG.
Wegen der Parteinahme der libanesischen „Hizbollah“ für das Assad-Regime verübte der ISIG ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet von Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einem Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern.
In der Folge verlagerte der ISIG seine Aktivitäten zunehmend in den Irak, wo es ihm Anfang Juni 2014 u.a. gelang, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu bringen.
Die Führung des ISIG bestand aus dem „Emir“ Abu Bakr al Baghdadi, dem „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt waren, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Der Führungsebene zugeordnet waren beratende „Shura-Räte“ sowie „Gerichte“, die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachten. Veröffentlichungen wurden in der Medienabteilung „Al Furqan“ produziert und über die Medienstelle „al I'tisam“ verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung bestand aus dem „Prophetensiegel“, einem weißen Oval mit der Inschrift: „Allah - Rasul - Muhammad“, auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern sunnitische Teile der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Im Juni 2014 rief der offizielle Sprecher des ISIG das „Kalifat“ aus und erklärte al Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Zugleich wurde die Umbenennung des ISIG in „Islamischer Staat“ (IS) verkündet. Dadurch verdeutlichte die Vereinigung - bei Beibehaltung der bisherigen ideologischen Ausrichtung - eine Abkehr von der regionalen Selbstbeschränkung auf ein „Großsyrien“ und erhob einen Führungs- und Herrschaftsanspruch in Bezug auf das gesamte „Haus des Islam“. Zugleich eingeleitete organisatorische Veränderungen, so die Bildung von „Räten“ für Einzelressorts, die Einteilung der besetzten Gebiete in Gouvernements und die Einrichtung eines Geheimdienstapparates zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen.
bb) Der Angeklagte ließ sich am 17. September 2013 beim ISIG als Kämpfer registrieren. Er gliederte sich von diesem Tag an bis Anfang Februar 2014 zwecks Erfüllung einer vermeintlichen religiösen Pflicht in Kenntnis und Billigung der Ziele und Vorgehensweisen des ISIG wissentlich und willentlich in die Organisation sowie deren Weisungshierarchie ein und ordnete sich dem Willen der Führung des ISIG unter. Er beteiligte sich fortlaufend - zum Beispiel am 10. Oktober sowie am 6., 7. und 8. November 2013 - an bewaffneten Kämpfen des ISIG. Er war dabei mit einem Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow ausgerüstet und in einen Kampfverbund von mindestens fünf Personen eingebunden, der sich in die vorderste Reihe der Kampflinien begab, von denen sich jedenfalls eine im November 2013 nahe Aleppo befand.
Am 7. November 2013 rückte die Einheit des ISIG, der auch der Angeklagte angehörte, gegen 6.10 Uhr in eine von gegnerischen Kämpfern aufgegebene Stellung ein, die sich an einem nicht näher bekannten Ort in der Gegend von Aleppo befand. Der Angeklagte und seine Mitkämpfer suchten dort zunächst nach verwertbaren Gegenständen wie Waffen und Proviant. Gegen 6.55 Uhr traten sie aufgrund eines gemeinsam gefassten Entschlusses an den auf der Erde liegenden Leichnam eines entweder im Kampf gefallenen oder in Gefangenschaft ermordeten gegnerischen Kämpfers heran, um diesen zu misshandeln und zu schmähen. Während der Angeklagte das Geschehen mit seinem Mobiltelefon filmte, schnitt ein Mitkämpfer dem Getöteten mithilfe eines Messers beide Ohren und die Nase ab.
Der Angeklagte begleitete diese Handlungen durch Ausrufe wie „jetzt schneiden wir ihm Ohren ab“, „ab die Nase“, „in die Hölle, in die Hölle ... Allahu Akbar ... Allahu Akbar“ sowie durch höhnisches Lachen. Mit den Worten „mögest du in der Hölle schmoren, du Hurensohn!" versetzte der Angeklagte dem Getöteten sodann einen Tritt in das entstellte Gesicht. Danach schwenkte er die Aufnahme auf sein eigenes Gesicht und sprach mit erhobenem Zeigefinger das muslimische Glaubensbekenntnis. Anschließend forderte er einen nicht näher identifizierten, mit einem Sturmgewehr bewaffneten Milizionär seiner Einheit mit den Worten „Kuffar! Mach jetzt, im Namen Allahs!" auf, dem Getöteten in den Kopf zu schießen, was der Mitkämpfer auch tat. Durch den Austritt des Geschosses wurde ein Stück des Schädels des Leichnams weggesprengt. Der Angeklagte filmte die ausgetretene Gehirnmasse in Nahaufnahme und kommentierte dies mit den Worten „Allah sei Dank“. Dabei kam es dem Angeklagten und seinen Mitkämpfern darauf an, den Getöteten, den sie als „Ungläubigen“ ansahen, zu verhöhnen und in seiner Totenehre herabzuwürdigen, wobei der Angeklagte die Erniedrigung durch die Filmaufnahmen bewusst und gewollt vertiefte.
b) Der dringende Tatverdacht beruht im Hinblick auf die terroristische Vereinigung ISIG bzw. IS auf den diesbezüglichen Auswerteberichten des Bundeskriminalamtes und Gutachten des Sachverständigen Dr. S. .
Der dringende Verdacht, dass sich der Angeklagte beim ISIG als Kämpfer registrieren ließ und sich anschließend - bewaffnet mit einem Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow - an Kampfhandlungen der Organisation beteiligte, ergibt sich aus Vermerken des Bundeskriminalamtes, wonach diesem am 25. Februar 2016 insgesamt 50 Personalbögen übergeben wurden, die nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen von der „Generaldirektion der Grenze“ des ISIG ausgestellt wurden und Registrierungsdaten von Personen enthalten, die zum ISIG nach Syrien gereist sind; auf einem der Personalbögen befinden sich Daten, die dem Angeklagten zuzuordnen sind. Außerdem übermittelten die türkischen Ermittlungsbehörden Lichtbilder, die den mit einem Hemd bekleideten Angeklagten zeigen, auf dessen linken Ärmel ein Emblem aufgenäht ist, das den Ausführungen des Islamwissenschaftlers Sch. zufolge den arabischen Namenszug des ISIG zeigt. Die Teilnahme des Angeklagten an den Kampfhandlungen sowie an der Leichenschändung wird überdies durch diverse Videoaufnahmen belegt, die auf dem Mobilfunkgerät des Angeklagten gesichert wurden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl sowie der Anklageschrift und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
c) Danach hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit in zwei Fällen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, und dabei jeweils tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen beruhte oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a KrWaffKontrG erstattet worden war, sowie in einem Fall tateinheitlich damit im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG, § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.
Die nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person - wozu gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 3 VStGB insbesondere Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei zählen, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind - erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit auch dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen (Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1238; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 204). Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Norm. Der Gesetzgeber wollte mit dem VStGB die Strafvorschriften des Römischen Statuts (IStGH-Statut) umsetzen und sicherstellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) fallenden Verbrechen selbst zu verfolgen, weshalb die durch das VStGB normierte Strafbarkeit gegenüber derjenigen nach dem IStGH-Statut teilweise sogar bewusst ausgedehnt wurde (BT-Drucks. 14/8524, S. 12). § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB orientiert sich an Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut (BT-Drucks. 14/8524, S. 28), wonach die entwürdigende und erniedrigende Behandlung in internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen erfasst wird. Zur Auslegung dieser Norm dienen gemäß Art. 9 Abs. 1 IStGH-Statut die sog. Verbrechenselemente. Darin ist im Hinblick auf die Elemente, die Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut betreffen, jeweils in einer Fußnote ausgeführt, dass auch Tote erfasst sind (Verbrechenselemente zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi), Ziffer 1 Fn. 49; zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. c (ii), Ziffer 1 Fn. 57). Gleichermaßen ist dementsprechend auch § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB zu verstehen (vgl. zu allem Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1236, 1238).
Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Das folgt hinsichtlich der Mitgliedschaft des Angeklagten in einer terroristischen Vereinigung im Ausland entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder - ebenso wie im Hinblick auf den Verstoß gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG - aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeklagte Deutscher ist und das Gebiet, in dem er sich als Mitglied des ISIG bzw. IS bei den Kampfhandlungen beteiligte, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag. Im Übrigen sind Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, gemäß Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches und das Tragen bzw. der Besitz von Schusswaffen ohne Waffenschein nach den §§ 39, 41 des syrischen Präsidialerlasses Nr. 51 vom 24. September 2001 am Tatort ebenfalls mit Strafe bedroht. Die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB ergibt sich aus § 1 VStGB.
Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern des ISIG bzw. IS liegt vor.
2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO).
a) Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere sind die persönlichen und familiären Bindungen des Angeklagten nicht geeignet, den Fluchtanreiz zu relativieren. Sie haben ihn nicht davon abgehalten, schon einmal nach Syrien zu reisen, um sich dem ISIG anzuschließen. Auch seine Ehefrau nach islamischem Ritus, H., und seine Kinder waren bereits aus Deutschland ausgereist. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte seine religiös-fanatische Motivation, die seiner mitgliedschaftlichen Beteiligung am ISIG zugrunde lag, aufgegeben hat. In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass sich der Angeklagte, sollte er in Freiheit gelangen, dem Strafverfahren entziehen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
b) Jedenfalls begründen die genannten Umstände entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO gestützt werden kann.
c) Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind aus den oben genannten Gründen nicht erfolgversprechend.
3. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch unter Berücksichtigung der bereits vollzogenen Untersuchungshaft sowie der in der Türkei erlittenen Freiheitsentziehung nicht außer Verhältnis zu der Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Daraus, dass der Senat den der Untersuchungshaft ursprünglich zugrundeliegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 durch Beschluss vom 28. Juli 2016 unter diesem Gesichtspunkt aufgehoben hat, ergibt sich nichts anderes. Gegenstand dieses Haftbefehls war der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in der Zeit von Oktober 2013 bis zum 9. Februar 2014 ein Maschinengewehr des Typs Kalaschnikow, Handgranaten sowie eine mit Ammonium- und Kaliumnitrat gefüllte Rohrbombe verschafft, um sich an den Kampfhandlungen islamistischer Gruppierungen gegen das AssadRegime zu beteiligen, und die Rohrbombe am 9. Februar 2014 an H. übergeben, die noch am selben Tage mit der Sprengvorrichtung im Gepäck nach Deutschland habe zurückfliegen wollen, und dadurch eine gegen das Leben gerichtete (§ 211 StGB) schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen sei, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, indem er sich eine Schusswaffe und eine Sprengvorrichtung verschaffte (§ 89a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB), tateinheitlich damit über Kriegswaffen die tatsächliche Gewalt ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz beruht habe (§ 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKontrG), sowie entgegen § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 einen Gegenstand besessen, in dem unter Verwendung explosionsgefährlicher Stoffe eine Explosion ausgelöst werden könne (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG). Demgegenüber wiegen die dem Haftbefehl des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2016 zugrundeliegenden Tatvorwürfe, wonach sich der Angeklagte über einen längeren Zeitraum an Kampfhandlungen sowie an einer Leichenschändung beteiligte, deutlich schwerer.
Der Einwand des Beschwerdeführers, dass das Verfahren insoweit zögerlich betrieben worden sei, geht fehl. Die nunmehr gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe beruhen auf der Auswertung von Beweismitteln, die den Ermittlungsbehörden erst seit Februar 2016 zur Verfügung standen. Der Generalbundesanwalt hat insoweit bereits unter dem 25. Mai 2016 Anklage erhoben, die der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 14. Juli 2016 zur Hauptverhandlung zugelassen hat; die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht hat am 22. August 2016 begonnen. In Anbetracht dessen kann von einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot keine Rede sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 928
Externe Fundstellen: NJW 2016, 3604
Bearbeiter: Christian Becker