HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 927
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 25/16, Beschluss v. 11.08.2016, HRRS 2016 Nr. 927
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Juli 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte ist aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2013 - 6 BGs 107/13 - am 26. Juni 2013 festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich seit Inkrafttreten des § 129b StGB am 30. August 2002 bis zu seiner Festnahme als Mitglied der marxistisch-leninistischen Gruppierung DHKPC und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
Der Senat hat mit Beschlüssen vom 23. Januar 2014 (AK 26/13), 27. März 2014 (AK 6-7/14) und 10. Juli 2014 (AK 17-19/14) die Fortdauer der Untersuchungshaft - zuletzt über zwölf Monate hinaus - angeordnet. Der Generalbundesanwalt hat am 7. Februar 2014 gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte Anklage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat mit Beschluss vom 15. Mai 2014 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Bezüglich des Angeklagten hat er das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Zeitraum ab dem 11. Januar 2006 beschränkt und den Haftbefehl entsprechend angepasst. Der Generalbundesanwalt hat am 2. Juni 2014 gemäß § 207 Abs. 3 StPO eine neue Anklageschrift gegen den Angeklagten eingereicht.
Mit Urteil vom 28. Juli 2015 hat das Oberlandesgericht den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und mit dem angefochtenen Beschluss die Haftfortdauer angeordnet. Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Mitangeklagten jeweils Revision eingelegt; die Rechtsmittel liegen dem Senat derzeit zur Entscheidung vor. Der Generalbundesanwalt hat mit Antragsschriften vom 27. Juni 2016 beantragt, die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Das Oberlandesgericht hat der Haftbeschwerde vom 7. Juli 2016, die der Angeklagte im Wesentlichen damit begründet hat, dass der angefochtene Beschluss keine hinreichende Prüfung der Verhältnismäßigkeit erkennen lasse, ausweislich seines Vorlageschreibens vom 19. Juli 2016 nicht abgeholfen.
Die Haftbeschwerde ist unbegründet.
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig, ohne dass dies vom Oberlandesgericht hätte näher dargelegt werden müssen: Durch ein verurteilendes Erkenntnis wird der dringende Tatverdacht in aller Regel hinreichend belegt, ohne dass dies bei der nach § 268b StPO zu treffenden Entscheidung über die Haftfortdauer gesonderter Prüfung und Begründung bedarf (BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - StB 15/05, NStZ 2006, 297 mwN). So verhält es sich hier.
2. Es besteht - wie das Oberlandesgericht in seinem Vorlageschreiben zutreffend ausgeführt hat - der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die ausgesprochene Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren begründet einen erheblichen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte, der aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zur DHKPC über keine sozialen Kontakte außerhalb dieser terroristischen Vereinigung verfügt, dem weiteren Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt. An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Angeklagte bereits über die Hälfte der erkannten Strafe durch die seit gut drei Jahren andauernde Untersuchungshaft verbüßt hat; auch der verbleibende Strafrest ist geeignet, die Fluchtgefahr zu begründen, zumal - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - bei dem mehrfach auch einschlägig vorbestraften Angeklagten nicht zu erwarten ist, dass ihm die Vollstreckung des Strafrests zeitnah zur Bewährung ausgesetzt werden wird. Aus diesem Grund sind auch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft zu erreichen.
Darüber hinaus ist angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB auch der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO gegeben. Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte, so dass die Vorschrift auch bei ihrer gebotenen restriktiven Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) angewendet werden kann.
3. Vor diesem Hintergrund steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Rechtskraft des Urteils (noch) zu vollstreckenden Strafe. Insbesondere ist mit Blick auf den Umfang und die Komplexität des gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte geführten Strafverfahrens einschließlich der knapp elfmonatigen Hauptverhandlung nicht ersichtlich, dass das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden wäre.
Es gefährdet deshalb den Bestand des Haftfortdauerbeschlusses oder gar des Haftbefehls im Ergebnis nicht, dass das Oberlandesgericht auch den Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer in dem angefochtenen Beschluss nicht begründet hat (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09, BVerfGK 15, 474, 481 f.; MeyerGoßner/Schmitt aaO, § 268b Rn. 3).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 927
Bearbeiter: Christian Becker