HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 781
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 20/16, Beschluss v. 14.07.2016, HRRS 2016 Nr. 781
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 24. Februar 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Angeklagte wurde am 29. November 2011 festgenommen aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2011 (3 BGs 97/11), neu gefasst durch dessen Beschluss vom 15. Mai 2012 (3 BGs 169/12) und abgeändert durch Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012 (AK 18/12). Er befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Senat hat in der letztgenannten Entscheidung deren Fortdauer über sechs Monate hinaus und durch Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 (AK 30/12), vom 8. Januar 2013 (AK 36/12) und vom 11. April 2013 (AK 9/13) deren Fortdauer auch über neun, zwölf und fünfzehn Monate hinaus angeordnet. Zum Tatvorwurf nimmt der Senat Bezug auf seinen Beschluss vom 14. Juni 2012 (AK 18/12) und auf die Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 5. November 2012. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und vier Mitangeklagte hat am 6. Mai 2013 vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München begonnen; sie dauert weiter an.
Die Beschwerde des Angeklagten gegen einen die Haftfortdauer anordnenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2014 hat der Senat am 5. Februar 2015 verworfen (StB 1/15). Am 18. Januar 2016 hat die Verteidigung des Angeklagten erneut beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise, diesen außer Vollzug zu setzen. Das Oberlandesgericht hat die Anträge am 24. Februar 2016 abgelehnt und wiederum Haftfortdauer angeordnet. Hiergegen richtet sich die neuerliche Beschwerde des Angeklagten. Das Oberlandesgericht hat am 8. Juni 2016 beschlossen, ihr nicht abzuhelfen.
Auch das neuerliche Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Der Angeklagte ist des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens weiterhin dringend verdächtig.
a) Wie der Senat bereits im Beschluss vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3) dargelegt hat, unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.
b) Hieran gemessen hat das Oberlandesgericht hinreichend konkret dargelegt, dass auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses der dringende Verdacht der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes fortbesteht. Nach der nachvollziehbaren vorläufigen Würdigung des Beweisstoffes im Haftfortdauerbeschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung spricht weiterhin alles dafür, dass der Mitangeklagte S. die jeweils als Tatwaffe verwendete Pistole Ceska 83 Kal. 7,65 mm, Waffennummer 034678, nebst Schalldämpfer im Auftrag des Angeklagten beim Zeugen Sch. erwarb und anschließend an B. und M. übergab.
Haftfortdauerbeschluss und Nichtabhilfeentscheidung nehmen zunächst Bezug auf die vorangegangenen, ebenfalls den Grad des gegen den Angeklagten bestehenden Tatverdachts prüfenden Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 25. Juni und vom 22. Dezember 2014. Bereits dort hatte das Oberlandesgericht die Angaben des Mitangeklagten S. zum Erwerb und zur Weitergabe einer Pistole, die mit den durch Verlesung eingeführten polizeilichen Aussagen des Zeugen Sch. in Einklang stehen, nach umfassender Prüfung für glaubwürdig erachtet. Zwar hat sich der Angeklagte nunmehr am 16. Dezember 2015 hiervon abweichend dahin eingelassen, er habe wohl von der Beschaffung dieser Waffe gewusst, der Mitangeklagte S. habe aber aus eigenem Entschluss gehandelt; auch habe er, der Angeklagte, angenommen, diese solle dem Suizid B. s im Falle der Festnahme dienen. An der Glaubhaftigkeit dieser Einlassung bleiben dem Oberlandesgericht nach den Gesamtumständen indes durchgreifende Zweifel. Im Einzelnen nimmt der Senat hierzu auf die Seiten 9 ff. des angefochtenen Beschlusses Bezug.
Weiter hält das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluss nach nochmaliger eingehender Würdigung daran fest, dass es sich bei der so beschafften Waffe mit hoher Wahrscheinlichkeit um die später sichergestellte Tatwaffe handelte. Aus den Aussagen des Mitangeklagten S. und der in der Hauptverhandlung von ihm abgegebenen Beschreibung der Waffe schließt es auf den Typ Ceska 83. Darüber hinaus konnte das Oberlandesgericht ermitteln, dass die Tatwaffe von der Schweizer Firma & Z. ausweislich ihrer Geschäftsunterlagen am 11. April 1996 nebst Schalldämpfer an den Zeugen G. veräußert wurde. G. bekundete in einem Schweizer Ermittlungsverfahren, sie an den Zeugen Mü. weitergegeben zu haben, der sie nach Deutschland habe weiterverkaufen wollen mit der Begründung, dort sei es für bestimmte Kreise sehr schwierig, an Waffen zu kommen. Der Zeuge Sch. hatte andererseits L. als seinen Lieferanten bezeichnet. Dass Mü. und L. miteinander Waffengeschäfte betrieben, schließt das Oberlandesgericht nachvollziehbar aus der im Beschluss vom 22. Dezember 2014 im Einzelnen wiedergegebenen Aussage des in der Hauptverhandlung vernommenen, mit beiden bekannten Zeugen T. Soweit der Zeuge Mü. im Schweizer Ermittlungsverfahren die Richtigkeit der Aussage G. s bestritt, hält das Oberlandesgericht dies nach umfassender Prüfung nicht für glaubhaft. In dieser Einschätzung sieht es sich im angefochtenen Beschluss nunmehr dadurch bestätigt, dass ein zwischenzeitlich in der Hauptverhandlung vernommener Schweizer Ermittlungsbeamter über Aussagen der Ehefrau G. s berichtete, die dessen eigenen Angaben entsprechen.
Auch unter Berücksichtigung der sich mit fortschreitender Verfahrensdauer erhöhenden Prüfungsanforderungen sieht der Senat danach keinen Anlass, die vor dem Hintergrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung getroffenen Wertungen des Oberlandesgerichts zu beanstanden.
2. Der Haftgrund der Schwerkriminalität besteht fort (§ 112 Abs. 3 StPO); durch weniger einschneidende Maßnahmen als den Haftvollzug kann der Zweck der Untersuchungshaft nach wie vor nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Hierzu und zum auch insoweit eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, juris Rn. 7, insoweit nicht abgedruckt in BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3). An der Gültigkeit der Erwägungen, die das Oberlandesgericht in der dort in Bezug genommenen Entscheidung vom 25. Juni 2014 angestellt hatte, hat sich nach dessen erneuter Bewertung im angefochtenen Beschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung auch in der Zwischenzeit nichts geändert.
3. Das Verfahren ist weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Die gebotenen Bemühungen des Oberlandesgerichts, sich über die Verlesung von Vernehmungsniederschriften und die Vernehmung von Verhörspersonen hinaus auch einen persönlichen Eindruck von den in der Schweiz wohnhaften Zeugen Mü., A. G. und B. G. zu verschaffen, dauern noch an. Diese sind auf Ladung nicht zur Hauptverhandlung erschienen. Einem bereits am 18. Dezember 2013 gestellten Ersuchen, eine audiovisuelle Vernehmung der Zeugen Mü. und A. G. zu gestatten, hat die Schweiz nicht entsprochen. Aufgrund der infolge Inkrafttretens des 2. Zusatzprotokolls zum EuRHÜbk seit 1. Juni 2015 veränderten Rechtslage hat das Oberlandesgericht das Ersuchen am 30. Juni 2015 wiederholt und am 21. September 2015 auf die Zeugin B. G. erstreckt. Eine Antwort der Schweizer Behörden steht trotz wiederholter Nachfragen noch aus.
Im Übrigen verweist der Senat zum Umfang und zu den Schwierigkeiten des Verfahrens auf seine Beschwerdeentscheidung vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, juris Rn. 8). Das Oberlandesgericht verhandelt nach wie vor regelmäßig an drei Tagen pro Woche. Der Senat hält daran fest, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Beihilfehandlungen isolierter Betrachtung nicht zugänglich sind, sondern zunächst sorgfältiger Aufklärung der entsprechenden Haupttaten und deren Würdigung in einer Gesamtschau des Tatgeschehens bedürfen. Dem entspricht es, dass die andauernde Hauptverhandlung nach den Darlegungen des Oberlandesgerichts fast durchweg auch den Angeklagten betrifft. Unabhängig von der noch ausstehenden Erledigung der Rechtshilfeersuchen scheidet ein gesondertes Urteil im Verfahren gegen den Angeklagten deshalb nach derzeitigem Sachstand aus.
4. Auch in Anbetracht der insgesamt zu erwartenden Verfahrensdauer steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartenden Strafe (vgl. hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 - Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, NJW 2015, 3773, 3775). Zwar wird sich der Angeklagte, soweit derzeit absehbar, zum Zeitpunkt des Urteils noch deutlich länger als die bislang vollzogenen vier Jahre und sieben Monate in Untersuchungshaft befinden. Das aufzuklärende Tatgeschehen stellt sich jedoch nicht nur nach der gesetzlichen Strafandrohung als eine erhebliche Straftat dar, sondern wiegt auch unter den konkret gegebenen Umständen schwer. Die im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartende und zu verbüßende Strafe wird deshalb bis auf Weiteres die Untersuchungshaft nicht nur unwesentlich übersteigen. Soweit die Beschwerde vorträgt, bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer sei zu berücksichtigen, dass 16 1/2 Monate der bisherigen Untersuchungshaft „als Isolationshaft vollzogen“ worden seien, kann sich der Senat dieser Wertung schon auf der Grundlage der vom Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 29. Juni 2016 geschilderten Haftbedingungen nicht anschließen.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 781
Bearbeiter: Christian Becker