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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1137

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 46/16, Beschluss v. 31.08.2016, HRRS 2016 Nr. 1137


BGH AK 46/16 - Beschluss vom 31. August 2016

Gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete geheimdienstliche Agententätigkeit (Weiterleitung von Informationen; politische Betätigung; terroristische Vereinigung; Strafverfolgungsmonopol); Beweiswert einer Behördenerklärung (Nachrichtendienst; Bundesamt für Verfassungsschutz; Einzelfallprüfung

§ 99 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Weiterleitung von Informationen an einen ausländischen Nachrichtendienst ist jedenfalls dann regelmäßig „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ gerichtet (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB), wenn die Informationen unbescholtene deutsche Staatsangehörige, Staatsgäste der Bundesrepublik oder solche ausländische Staatsangehörige, die sich unter dem Schutz des Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen betreffen. Bei Personen, die Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sind, begründet demgegenüber weder der Rückgriff auf Grundrechte noch auf das Strafverfolgungsmonopol des Staates ohne weiteres ein „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ gerichtetes Handeln in diesem Sinne.

2. Eine bloße Behauptung bestimmter Tatsachen ohne nähere Erläuterung und ohne Offenbarung der Erkenntnisquellen in einem Behördenzeugnis (hier: eines Nachrichtendienstes) hat nur einen geringen Beweiswert. Gleichwohl kann solchen Behördenzeugnissen nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden, dieser ist vielmehr in jedem Einzelfall zu bestimmen. Soweit der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen; danach kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder die Objektivierung der genannten Erkenntnisse anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel.

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 17. Februar 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2016 - 1 BGs 6/16 geh. -, neu gefasst durch Beschluss vom 25. April 2016 - 1 BGs 28/16 geh. -, in Untersuchungshaft.

Gegenstand des neu gefassten Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe seit Ende des Jahres 2008 bis zu seiner Festnahme im Februar 2016 für den indischen Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing (im Folgenden: R&AW) eine geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet war, und dabei unter Missbrauch einer verantwortlichen Stellung, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtete, Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse mitgeteilt oder geliefert, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheim gehalten werden (strafbar gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB).

Mit Beschluss vom 4. August 2016 (1 BGs 70/16) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Fortdauer der Untersuchungshaft mit der Maßgabe angeordnet, dass der Vorwurf einer am 7. Mai 2009 begangenen geheimdienstlichen Agententätigkeit in Bezug auf den deutschen Staatsangehörigen A. entfällt.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa)...

Der Beschuldigte ist zudem innerhalb der indischen Gemeinde in Deutschland sehr bekannt. Er ist aufgrund seiner guten Kontakte zu den indischen diplomatischen Vertretungen häufig bei der Beschaffung von Visa für Reisen nach Indien behilflich und betätigt sich zudem in B. als Priester in einem hinduistischen Tempel.

bb)...

Mehrere Kontaktpersonen des Beschuldigten aus dem Generalkonsulat in Frankfurt waren bzw. sind Angehörige indischer Geheimdienste, ...

cc) Jedenfalls ab Ende des Jahres 2008 / Anfang des Jahres 2009 lieferte der Beschuldigte den genannten Kontaktpersonen in Kenntnis von deren Zugehörigkeit zu einem indischen Geheimdienst in über 40 Fällen die von diesen angeforderten Informationen zu vorrangig aus Indien stammenden Personen, vor allem zu Anhängern der Glaubensrichtung der Sikhs. Bei etwa zehn dieser Personen bestehen Verdachtsmomente, dass sie Kontakte zu „radikalen“ oder „extremistischen“ Sikh-Organisationen unterhalten. In weiteren sechs Fällen ging es um Personen, die mutmaßlich Organisationen angehörten, die von der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen angesehen werden („Khalistan Zindabad Force“, „Babbar Khalsa“ und „Liberation Tigers of Tamil Eelam“) und gegen die deswegen auch von deutschen Strafverfolgungsbehörden Ermittlungsverfahren geführt werden bzw. die bereits rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurden. Bei seinen Recherchen griff der Beschuldigte in nahezu allen Fällen auf die ihm nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellte, nicht öffentlich zugängliche Datenbank des Ausländerzentralregisters zu und gab die dort ermittelten Informationen (z.B. Passdaten, Lichtbilder, Ausreisedaten, darin gespeicherte Erkenntnisse über strafrechtliche Vorbelastungen oder Daten des Asylverfahrens) an seine Führungsoffiziere weiter. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die ausführliche Darstellung im Haftbefehl vom 25. April 2016.

...

dd) Als Gegenleistung für seine geschilderte Tätigkeit erhielt er jedenfalls konsularische Unterstützung bei der Beschaffung von Visa für Indien, die er bei den indischen Auslandsvertretungen beschaffte; diese ließ er sich von den Visa-Antragstellern vergüten, wobei die Höhe des Entgelts zwischen 10 € und 400 € variierte. Die Bemühungen zur Visabeschaffung entfaltete er einerseits für indische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung für die Bundesrepublik verfügen und deshalb für die Reise nach Indien ein Visum brauchen; andererseits kooperierte er mit mehreren Reisebüros, für die er Touristenvisa beschaffte. Zahlungen, etwa eine über 7.000 US-Dollar im August 2014, wurden vielfach als Spenden für den Hindu-Tempel, in dem er als Priester tätig war, bezeichnet oder wurden in bar geleistet.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der Auswertung zahlreicher Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, die zunächst durch das Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Art. 10-Gesetz) und - nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt - aufgrund von Anordnungsbeschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs durchgeführt wurden und anhand derer die Informationslieferungen des Beschuldigten an seine Kontaktpersonen ab September 2014 belegt werden. Anlässlich der Festnahme des Beschuldigten wurde zudem sein Büro bei der Z. durchsucht; dabei wurden unter anderem zwei Aktenordner, beschriftet mit den Namen „A.“ und „D.“ gefunden und sichergestellt, die die Informationslieferungen von Ende 2008 bis in das Jahr 2014 belegen. Daraus ergibt sich auch, dass der Beschuldigte häufig Auszüge aus dem AZR erstellte und seinen Kontaktpersonen weiterleitete. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Darstellung und Würdigung der Beweismittel in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2016.

Entgegen der Auffassung des Verteidigers des Beschuldigten beruht die Annahme, die Kontaktpersonen des Beschuldigten seien dem indischen Geheimdienst zuzurechnen, nicht auf bloßen Vermutungen oder unbestätigten bzw. nicht belegbaren Behauptungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zwar heißt es in dessen zu der Einleitung des Ermittlungsverfahrens führenden Behördengutachten vom 31. August 2015 zu Beginn: „Dienstlich wurde bekannt, dass die genannten Kontaktpersonen (…) dem indischen Nachrichtendienst angehören …", ohne dass dies an dieser Stelle näher ausgeführt wird. Eine solche bloße Behauptung bestimmter Tatsachen ohne nähere Erläuterung und ohne Offenbarung der Erkenntnisquellen hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur einen geringen Beweiswert (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247; vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370; vom 10. April 2008 - AK 4-6/08, juris Rn. 18; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 29). Gleichwohl kann solchen Behördenzeugnissen nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden, dieser ist vielmehr in jedem Einzelfall zu bestimmen. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen; danach kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder die Objektivierung der genannten Erkenntnisse anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370).

Nach diesen Maßstäben ergibt sich hier Folgendes: Die Behördenzeugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz beschränken sich nicht auf bloße Behauptungen, sondern geben über zahlreiche Seiten die aufgezeichneten Gespräche zwischen dem Beschuldigten und seinen Kontaktpersonen wieder. Eine nachrichtendienstliche Anbindung der Kontaktperson Y. ergibt sich schon daraus, dass dieser bereits spätestens im Jahr 2014 als Führungsoffizier eines indischen Nachrichtendienstes enttarnt worden war. Der gesondert verfolgte S., die von ihm abgeschöpfte Quelle, ist vom Oberlandesgericht Koblenz mit Urteil vom 21. Juli 2014 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden; der Senat hat auf die Revision S. s lediglich den Strafausspruch aufgehoben (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158), der Schuldspruch ist hingegen in Rechtskraft erwachsen. Die Y. erteilten Informationen betrafen ausweislich der in dem sichergestellten Aktenordner festgestellten Unterlagen Personen, an denen indische Geheimdienste aus den oben dargelegten Gründen ein nachrichtendienstliches Interesse hatten. Aus den Vermerken des Beschuldigten ergibt sich insoweit auch, dass er Aufträge seiner Kontaktperson abarbeitete. Die in dem mit „A.“ beschrifteten Aktenordner sichergestellte Korrespondenz enthält gleichartige Vorgänge, was wiederum den Schluss zulässt, dass auch X. als Angehöriger eines indischen Nachrichtendienstes durch den Beschuldigten mit Informationen versorgt wurde. Die späteren Kontaktpersonen W. und V. waren Nachfolger X. als Konsul und schöpften den Beschuldigten ausweislich der aufgezeichneten Gespräche gleichermaßen ab, was wiederum ihre Einbindung in einen indischen Nachrichtendienst im Sinne eines dringenden Tatverdachts belegt. Letzteres gilt auch für den Büroleiter W., sowie den weiteren O., die ausweislich der aufgezeichneten Gespräche in die Informationsanforderungen an den Beschuldigten und die Weitergabe der von ihm gelieferten Informationen eingebunden waren. Die geheimdienstliche Einbindung der Kontaktpersonen U. und C. ergibt sich schließlich schon daraus, dass diese Personen den deutschen Sicherheitsbehörden, jedenfalls aber dem Bundesamt für Verfassungsschutz, von der Republik Indien als offizielle Ansprechpartner der Nachrichtendienste R&AW und IB benannt worden sind.

Die in den Behördenzeugnissen mitgeteilte Erkenntnis, die Kontaktpersonen des Beschuldigten seien indischen Geheimdiensten zuzuordnen, findet weitere Bestätigung in Gesprächen, in denen der Beschuldigte selbst den V. oder - so seine bisherige Einlassung - den anderen O. als „vom Geheimdienst“ bzw. V. als „Chef vom Geheimdienst“ und früher „Chef der Polizei“ bezeichnete.

Nach alledem wird in den Behördenzeugnissen nicht bloß eine unüberprüfbare Behauptung aufgestellt, vielmehr werden zahlreiche Indizien genannt, die es als hoch wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Empfänger der vom Beschuldigten erteilten Informationen Mitarbeiter indischer Nachrichtendienste waren bzw. sind und dem Beschuldigten dies auch bekannt war. Der in dem Behördenzeugnis vom 31. August 2015 mitgeteilten Einschätzung, die mithin durch zahlreiche unmittelbar vorliegende Beweismittel objektivierbar ist, kommt deshalb hier auch für sich genommen ein Beweiswert zu. Soweit - was nicht näher belegt ist - die Zurechnung aller Kontaktpersonen zum R&AW vorgenommen wird, weil ... steht dies in einem gewissen Widerspruch zu den Feststellungen in dem bereits genannten Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, nach denen Y. Agent des IB war. Ob indes der Beschuldigte in jedem Fall für den R&AW oder (auch) für den IB eine geheimdienstliche Agententätigkeit erbrachte oder ob diese Dienste bei der Beschaffung von Informationen vom Beschuldigten bloß zusammenarbeiteten, ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung.

c) In rechtlicher Hinsicht ist aufgrund dieses Ermittlungsergebnisses der Verdacht belegt, dass sich der Beschuldigte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat, indem er seinen nachrichtendienstlichen Führungsoffizieren insbesondere Tatsachen und Erkenntnisse mitteilte. Er war funktionell in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes einer fremden Macht eingegliedert.

Seine Tätigkeit war auch gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Dies gilt jedenfalls für die von ihm weitergeleiteten Informationen betreffend unbescholtene deutsche Staatsangehörige, Staatsgäste der Bundesrepublik und solche ausländische Staatsangehörige, die sich unter dem Schutz des Art. 5 GG in Deutschland in legaler Weise politisch betätigen, ohne dass es darauf ankommt, ob die ausgespähten Personen „im Lager“ der Bundesrepublik Deutschland stehen. Denn solche Ausforschungen von Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland oder sonst hier lebender Ausländer sind in der Regel dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehenden Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen, was den Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft. Diese ist gehalten, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betätigenden Ausländern diesen Schutz auch zu gewähren (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158, 160). Solche Informationslieferungen machten den Großteil der Aktivitäten des Beschuldigten aus, so dass allein der insoweit bestehende dringende Tatverdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt.

Der Senat kann deshalb im Ergebnis offen lassen, ob der Beschuldigte auch durch die Weitergabe von Informationen über Angehörige von Organisationen, die in der Bundesrepublik als terroristische Vereinigungen verfolgt werden, oder über Personen, die mutmaßlich „radikalen“ oder „extremistischen“ Sikh-Organisationen nahe standen, das Tatbestandsmerkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet“ verwirklichte. Nach der Rechtsprechung des Senats ist dies nicht ohne Weiteres der Fall, wenn die Ausforschungsbemühungen sich gegen Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigung richten, insbesondere gegen Führungsmitglieder, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, BGHSt 60, 158). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der mutmaßlichen Mitglieder der Organisationen „Khalistan Zindabad Force“, „Babbar Khalsa“ und „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ möglicherweise gegeben; ob auch die Personen, die „radikalen“ oder „extremistischen“ Sikh-Organisationen bloß nahe stehen sollen, an solche gelisteten Vereinigungen angebunden waren, darf im weiteren Verfahren nicht aus dem Blick geraten, weil auch insoweit die Strafbarkeit der Ausforschungsbemühungen des Beschuldigten gemäß § 99 Abs. 1 StGB fraglich sein könnte.

Soweit im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs - der Argumentation des Generalbundesanwalts folgend - die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals auch mit Blick auf diesen Personenkreis bejaht worden ist, geben die diesbezüglichen rechtlichen Ausführungen bei vorläufiger Würdigung Anlass zu folgenden Bemerkungen:

Die Ausnutzung der Zugriffsmöglichkeit auf amtliche Register und Informationssysteme kann unter der Voraussetzung, dass diese tatsächlich materiell-faktisch geheim gehalten werden (vgl. dazu MüKo-StGB/Lampe/Hegmann, 2. Aufl., § 99 Rn. 29 mwN), vorliegend allenfalls den Verdacht begründen, dass der Beschuldigte ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falles im Sinne von § 99 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB und - tateinheitlich - den Tatbestand des § 353b Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Allein dies macht indes nicht die Prüfung entbehrlich, ob überhaupt der Grundtatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit erfüllt ist. Im Übrigen ist in Fällen, in denen Angestellte des öffentlichen Dienstes oder Beamte als Täter einer geheimdienstlichen Agententätigkeit in Betracht kommen, regelmäßig anzunehmen, dass sie auf ihnen in ihrer amtlichen Tätigkeit zur Verfügung stehende Informationsquellen zugreifen; solche Befugnisse und Erkenntnisquellen machen sie für ausländische Nachrichtendienste als Abschöpfungsobjekt gerade attraktiv. Wollte man in all diesen Fällen das Tatestandsmerkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet“ ohne weiteres als gegeben ansehen, liefe das in einer Vielzahl von Fällen darauf hinaus, dass dem Merkmal wider der gesetzgeberischen Intention der wesentliche, Schranken setzende Sinngehalt genommen würde (vgl. dazu BGH aaO, S. 163).

In mehrfacher Hinsicht bedenklich erscheint auch, die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals damit zu begründen, dass durch die Ausspähung der mutmaßlichen Mitglieder von terroristischen Vereinigungen in deren Asylgrundrecht (Art. 16a Abs. 1 GG) oder aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitete Aufenthaltsrechte oder gar deren Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) eingegriffen werde: Mit der Meinungsfreiheit kann die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder deren Unterstützung nicht gerechtfertigt werden, denn dieses Grundrecht findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG). Dass durch die Tätigkeiten des Beschuldigten in den Bestand von Asyl- und Aufenthaltsrechten der Betroffenen eingegriffen worden wäre oder werden sollte - etwa durch rechtswidrige Abschiebungen -, ist zudem nach dem Stand der derzeitigen Ermittlungen jedenfalls nicht hoch wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang besteht insbesondere kein dringender Tatverdacht dafür, dass ... und so möglicherweise Methoden zu praktizieren, die mit den Grundwerten der Verfassung nicht in Einklang zu bringen wären (vgl. insoweit BGH aaO, S. 165 f.). Insbesondere kann dafür nicht ohne weiteres herangezogen werden, dass der Beschuldigte - unter Beteiligung weiterer Beamter auch der deutschen Sicherheitsbehörden - in die Vorbereitung des Besuchs einer indischen Expertenkommission eingebunden war. Denn es ist bislang nicht ersichtlich, wie ein solcher Besuch, der unter der Beobachtung und der Kontrolle staatlicher deutscher Stellen stattfindet, zu einem solchen ungeregelten und rechtswidrigen Vorgehen missbraucht werden könnte.

Schließlich vermag auch der Hinweis auf das Strafverfolgungsmonopol der Bundesrepublik Deutschland für ihre Staatsangehörigen bzw. auf das jedem Deutschen aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG zustehende Recht, nicht gegen seinen Willen aus der ihm vertrauten Rechtsordnung entfernt zu werden, vorliegend nicht zu verfangen: Es ist nicht ersichtlich, dass das Vorgehen des Beschuldigten oder seiner Führungsoffiziere darauf gerichtet war, in diese Rechtspositionen einzugreifen.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Der Beschuldigte hat im Fall einer Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Diesem stehen hinreichende persönliche und soziale Bindungen des Beschuldigten im Ergebnis nicht entgegen. Er lebt zwar seit etlichen Jahren in Deutschland und hat hier Familie. Durch das Bekanntwerden des Tatvorwurfs droht der Verlust seiner Arbeitsstelle. Abgesehen davon, dass er dadurch seine regelmäßigen Einnahmen verliert, resultiert daraus auch ein hoher Ansehensverlust - insbesondere innerhalb der indischen Gemeinde in Deutschland. In der Zusammenschau mit den ermittelten finanziellen Anknüpfungspunkten ins Ausland, die im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs im Einzelnen aufgeführt sind, spricht eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen wird, als dass er sich ihm stellt.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.

Der Umfang des Verfahrens - die Sachakten umfassen bereits jetzt deutlich mehr als 40 Aktenordner - und seine besondere Schwierigkeit haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen worden ist, noch nicht zugelassen.

Das Verfahren ist auch mit der gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Seit der Inhaftierung des Beschuldigten sind zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden, die der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Zuschrift vom 8. August 2016 aufgeführt hat. Insbesondere die Auswertung der anlässlich der Festnahme bei der Durchsuchung sichergestellten Aktenordner, die zu der erheblichen Erweiterung des Tatzeitraums geführt hat, aber auch die Auswertung der Ergebnisse der umfangreichen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie der zahlreichen vom Beschuldigten genutzten elektronischen Kommunikationsmittel war bislang zeitlich aufwändig und dauert teilweise noch an. Gleichwohl hat das Bundeskriminalamt die Akten dem Generalbundesanwalt am 22. Juli 2016 zur Anklageerhebung vorgelegt; die Anklage soll Anfang September 2016 fertig gestellt werden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache, soweit sie diese Entscheidung trägt, und der im Falle einer Verurteilung insoweit zu erwartenden Strafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1137

Bearbeiter: Christian Becker