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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 727

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 28/16, Beschluss v. 02.06.2016, HRRS 2016 Nr. 727


BGH AK 28/16 - Beschluss vom 2. Juni 2016

Dringender Tatverdacht wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer („Gruppe Freital“; gezieltes Vorgehen gegen politisch Andersdenkende und Asylbewerber); Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate; Fluchtgefahr.

§ 129a StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 120 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 5. November 2015 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 6. November 2015 - zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden von diesem Tag (Az.: 272 Gs 4181/15) - in Untersuchungshaft. Diesen Haftbefehl hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 28. April 2016 - 3 BGs 152/16 - aufgehoben und ihn durch Haftbefehl vom selben Tag - 3 BGs 153/16 - ersetzt.

Gegenstand des nunmehrigen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich von Juli bis November 2015 in fünf Fällen als Rädelsführer an der „Gruppe Freital“ beteiligt und damit an einer Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) bzw. gemeingefährliche Straftaten insbesondere in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StGB). In vier der fünf Fälle habe er jeweils tateinheitlich

- am 20. September 2015 in Freital eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 StGB) herbeigeführt, eine fremde Sache beschädigt (§ 303 StGB) und unmittelbar dazu angesetzt, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person zu verletzen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB);

- in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 in Dresden gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 StGB) herbeigeführt, eine fremde Sache beschädigt (§ 303 StGB) und unmittelbar dazu angesetzt, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich eine andere Person zu verletzen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB);

- am 1. November 2015 in Freital gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 StGB) herbeigeführt und unmittelbar dazu angesetzt, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), wobei er einen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzt (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigt habe (§ 303 StGB);

- im Zeitraum zwischen Juli und November 2015 gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten in Freital und an anderen Orten Explosionsverbrechen vorbereitet (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der Beschuldigte, sieben Mitbeschuldigte und weitere Personen bildeten spätestens im Juli 2015 die „Gruppe Freital“. Diese Personenvereinigung war auf längere Zeit angelegt und darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Ideologie durch die Begehung von Anschlägen gewaltsam durchzusetzen. Die fortlaufenden Anschlagsplanungen sahen insbesondere Sprengstoffanschläge auf von Asylbewerbern bewohnte Unterkünfte und Wohnungen politisch Andersdenkender vor, die mittels pyrotechnischer Sprengkörper begangen werden sollten und in mehreren Fällen auch begangen wurden. Dabei wurden die Sprengkörper teilweise von außen an Fensterscheiben platziert, wodurch sie wie (Glas-)Splitterbomben wirkten. Insoweit nahmen die Mitglieder der Vereinigung - jedenfalls in einem der Fälle - die Tötung von Menschen, die sich in den angegriffenen Räumlichkeiten aufhielten, billigend in Kauf. Mit diesen Taten sollten politisch Andersdenkende eingeschüchtert und Asylbewerber zur Ausreise aus Deutschland veranlasst werden.

Ihre rechtsextreme und fremdenfeindliche Gesinnung dokumentierten die Mitglieder der Vereinigung bei gemeinsamen persönlichen - häufig an einer Tankstelle in Freital abgehaltenen - Treffen, in sozialen Netzwerken, aber auch in Internet-Chatgruppen. Letzterer bediente sich die Vereinigung auch zu Anschlagsplanungen/-verabredungen, wobei sie einen Instant-Messaging-Dienst verwendete, der die Einrichtung geheimer, verschlüsselter Chatgruppen ermöglichte; von dieser Möglichkeit machten sie mit dem sogenannten schwarzen Chat, in dem „ausschließlich heftige Aktionen besprochen“ wurden und dessen Teilnehmer „ausschließlich die Terroristen“ waren, auch Gebrauch.

Innerhalb der Organisation waren der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte S. maßgeblich für die Planung und Organisation der Anschläge verantwortlich, wobei der Beschuldigte auch anderen Mitgliedern die ihnen bei der Ausführung von Anschlägen zukommenden Rollen zuwies und mit Explosivstoffen experimentierte, etwa um eine verzögerte Explosionszeit oder allgemein die Wirkung pyrotechnischer Sprengkörper zu testen. Der innerhalb der Vereinigung ebenfalls als treibende Kraft agierende Mitbeschuldigte S. war zudem in der Lage, gleichgesinnte Personen zu mobilisieren, sofern sie zu Zwecken der Vereinigung benötigt wurden. Der Mitbeschuldigte W. hatte hingegen als „Internet-Spezialist“ die Aufgabe übernommen, Informationen über die linke Szene zu sammeln.

Die Mitglieder der Vereinigung agierten konspirativ, indem sie nicht nur die Verschlüsselungs- und Löschungsfunktionen des verwendeten Instant-Messaging-Dienstes bewusst einsetzten, sondern sich darüber hinaus auch einer codierten Sprache bedienten, etwa indem sie Sprengkörper als „Obst“ bezeichneten oder Kurzbezeichnungen (z.B. „BS“ für Buttersäure) benutzten. Die Gruppentreffen an öffentlichen Orten, etwa an der genannten Tankstelle, dienten der Besprechung der gemeinsamen Ziele im persönlichen Rahmen.

Innerhalb der Gruppierung wurde deren Vorgehen von allen Mitgliedern diskutiert; Entscheidungen wurden gemeinsam - gegebenenfalls durch Abstimmungen - getroffen, wobei den Auffassungen des Beschuldigten und des Mitbeschuldigten S. entsprechend ihrer Funktion als Initiatoren und Organisatoren von Anschlägen ein großes Gewicht zukam. Im Verlauf der Diskussionen entwickelte sich eine gruppenspezifische Eigendynamik, die zur wechselseitigen Bestärkung der Gruppenmitglieder in ihren Auffassungen und ihrer Bereitschaft beitrug, sich auch an den Anschlägen der Vereinigung zu beteiligen. Folglich sahen sie sich als gegenseitig verpflichtet an, sich an den gemeinsamen Aktionen der Gruppierung zu beteiligen und erwarteten auch von anderen Mitgliedern, dass diese sich beteiligten; einer der Mitbeschuldigten erklärte seine Mitwirkung an einem der Anschläge gar mit „Gruppenzwang“, dem er sich ausgesetzt gesehen habe.

Die Anschläge wurden durch koordiniertes, arbeitsteiliges Zusammenwirken der jeweils beteiligten Gruppenmitglieder vorbereitet, etwa indem über den „schwarzen Chat“ Treffpunkt, Uhrzeit, Teilnehmerkreis und mitzubringende Tatmittel vereinbart wurden. Die Mitbeschuldigte Kl. leistete zudem Aufklärungsarbeit, ihr und anderen Mitgliedern kamen auch logistische Aufgaben zu, etwa der Transport von Mittätern zum Tatort oder das Steuern des Fluchtwagens. An den vereinbarten Treffpunkten, die regelmäßig in der Nähe der Tatorte lagen und als Sammelpunkte dienten, fanden zudem weitere Besprechungen zu Details der jeweiligen Tatausführung statt, die der Beschuldigte maßgeblich prägte.

bb) Aus dieser Gruppierung heraus wurden jedenfalls die nachfolgend beschriebenen Anschläge bzw. weitere Straftaten begangen (nachfolgend (1) bis (4)). Ob der Vereinigung noch mehr Anschläge/Straftaten zuzurechnen sind, bedarf derzeit noch weiterer Ermittlungen.

(1) In der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015 gegen Mitternacht brachte der Beschuldigte einen pyrotechnischen Sprengsatz vom Typ Cobra 12 zur Detonation, den er zuvor von außen am Küchenfenster einer von Asylbewerbern bewohnten Unterkunft, B. straße in Freital, angebracht hatte. Durch die von der Explosion ausgelöste Druckwelle zerbarst die Fensterscheibe, der Fensterrahmen wurde deformiert. Glas- und Kunststoffsplitter flogen durch die Küche und schlugen in der vier Meter vom Fenster entfernten gegenüberliegenden Wand ein; teilweise flogen die Splitter auch durch die geöffnete Küchentür in den angrenzenden Flur. Die sich zur Tatzeit in der Wohnung aufhaltenden acht Personen blieben nur deshalb unverletzt, weil sie sich nicht in der Küche oder im Flur befanden, sondern in den anderen Räumen schliefen.

Dem Beschuldigten war die Wirkung des verwendeten Sprengsatzes bekannt. Er wusste auch, dass die Wohnung von Asylbewerbern genutzt wurde; darauf kam es ihm gerade an. Die naheliegende Möglichkeit, dass der Küchenraum einer Wohnung auch zur Nachtzeit von Bewohnern der Wohnung betreten werden kann, die alsdann von herumfliegenden Splittern zumindest gravierend verletzt werden könnten, war ihm ebenfalls bewusst.

Es besteht aus den vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes im Haftbefehl im Einzelnen dargelegten Gründen der dringende Tatverdacht, dass es sich bei dieser Tat des Beschuldigten um eine Tat der Vereinigung „Gruppe Freital“ handelte. Ob sich bestehende Anhaltspunkte, dass auch andere Mitglieder der Vereinigung an ihrer Ausführung beteiligt waren, im Sinne eines dringenden Tatverdachts erhärten lassen, bedarf noch weiterer Ermittlungen.

(2) In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 verübten der Beschuldigte und andere Mitglieder der „Gruppe Freital“ gemeinsam mit weiteren Personen einen Sprengstoffanschlag auf Bewohner des von dem linksgerichteten alternativen Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ genutzten Wohnhauses O. straße in D. Dieser Anschlag war ein „Racheakt“ der Vereinigung an den Bewohnern, die sie für einen vermeintlichen Angriff linksgerichteter Personen auf einen Teilnehmer an der Blockade einer Turnhalle verantwortlich machten, in der eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden sollte. Im „schwarzen Chat“ verabredeten sich der Beschuldigte, der zuvor noch ein Abwarten propagiert hatte, weil „der erste Schlag (…) von links erfolgen“ sollte, und die Mitbeschuldigten im Verlauf des 18. Oktober 2015 zum nächtlichen Angriff auf das Gebäude, wobei bereits besprochen wurde, wer welche Tatmittel - etwa Sprengkörper oder Buttersäure - mitbringen könne. Der Beschuldigte übernahm es, die pyrotechnischen Sprengsätze zusammen zu setzen. Gegen 19 Uhr trafen sich die teilnehmenden Mitglieder der „Gruppe Freital“ zunächst an der Tankstelle in Freital und begaben sich später nach D., wo sie ab 20 Uhr mit einer Dresdner Gruppe von Gleichgesinnten an einer Turnhalle zusammentrafen. Der Beschuldigte und ein Teilnehmer aus der Dresdner Gruppe hatten das Grundstück vorher ausgekundschaftet. Unter einer Brücke in der Nähe des Wohnprojekts kam die aus 20-30 Personen bestehende Gruppe der Angreifer zusammen. Es wurden mehrere Sprengsätze - auch mit Buttersäure versehene - hergestellt. Der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte S. verteilten weitere nicht in Deutschland zugelassene Sprengmittel und Steine an die Anwesenden und teilten die Tatbeteiligten in Gruppen ein. Die Dresdner Teilnehmer griffen entsprechend dem von dem Beschuldigten entwickelten und allen Tatbeteiligten detailliert erläuterten Tatplan ab 23.50 Uhr zusammen mit dem Mitbeschuldigten K. das Haus von vorne an, wobei dieses Manöver nur der Ablenkung dienen sollte; den eigentlichen Angriff führten der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte S. als Anführer sowie die Mitbeschuldigten Se. und Sch. zusammen mit anderen Personen von der Hinterseite des Grundstücks: Sie warfen zahlreiche Sprengsätze und Steine auf Fensteröffnungen des Hauses, mit denen sie indes nur Sachschaden anrichteten. Durch die mit Buttersäure versehenen Sprengkörper, die sie im Inneren des Hauses zur Detonation bringen wollten, beabsichtigten sie, das Haus unbewohnbar zu machen. Dies misslang, weil die Mitbeschuldigten die anvisierten Fensteröffnungen nicht trafen.

Der Beschuldigte und die weiteren tatausführenden Mitglieder der Vereinigung, denen die erhebliche Sprengkraft der von ihnen verwendeten, in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper bekannt war, nahmen auch die gravierende Verletzung der anwesenden Bewohner des Hauses billigend in Kauf; sie hatten von der Raumaufteilung keine Kenntnis und konnten deshalb nicht ausschließen, dass sich in den Räumen hinter den von ihnen anvisierten Fenstern Personen aufhalten würden. Aufgrund der bekannten Gefährlichkeit der verwendeten Sprengsätze war den Beschuldigten auch die mögliche Todesgefahr, in die sie die Bewohner des angegriffenen Hauses brachten, bewusst.

Nach der Tat flüchteten der Beschuldigte und die weiteren tatausführenden Mitglieder der Vereinigung mit mehreren Pkws vom Tatort.

(3) Im Laufe des 31. Oktobers 2015 planten der Beschuldigte und weitere Mitglieder der Vereinigung einen Anschlag auf die als Asylbewerberunterkunft dienende Wohnung Wi. Straße in Freital. Dazu trafen sie sich gegen 16.30 Uhr an der genannten Tankstelle in Freital und fuhren zunächst gemeinsam nach Tschechien, wo sie mehrere in Deutschland nicht zugelassene pyrotechnische Sprengkörper erwarben. Schon vorher hatten die Mitbeschuldigten Kl. und S. telefonisch erörtert, dass sich die Gruppe am Abend treffen wolle, um ein „bisschen zu eskalieren“. Gegen 21.30 Uhr kam der Beschuldigte erneut mit den Mitbeschuldigten S., Sch., W., K., Kl. und We. sowie dessen Lebensgefährtin an der Tankstelle zusammen; bei diesem Treffen beschlossen die Anwesenden, den Anschlag auf die Asylbewerberunterkunft auszuführen und besprachen die Tatmodalitäten, das vorherige Auskundschaften der Tatörtlichkeit sowie die Aufgabenverteilung ausführlich. Nach Abschluss der Planung verließen die Beteiligten zunächst den Bereich der Tankstelle und trafen sich, nachdem der Beschuldigte im Beisein des Mitbeschuldigten K. in seiner Wohnung die Sprengsätze präpariert hatte, gegen 0.30 Uhr an einer Grundschule, von der aus sie mit mehreren Fahrzeugen zu einem Feld in der Nähe der Asylbewerberunterkunft fuhren.

In der Nacht auf den 1. November 2015 gegen 0.50 Uhr stellten der Beschuldigte sowie die Mitbeschuldigten Sch. und W. sodann an drei Fenstern der genannten Wohnung jeweils einen in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper vom Typ Cobra 12 auf dem Fensterbrett ab und brachten diese annähernd zeitgleich zur Zündung. Ihnen war bekannt, dass sich hinter zwei der Fenster Schlafzimmer und hinter dem dritten die Küche der Wohnung befanden. Die Innenscheiben der doppelverglasten Fenster zerbarsten in teilweise handtellergroße Splitter, die durch die hinter den Fenstern liegenden Innenräume geschleudert wurden. Einer der Bewohner, der zur Tatzeit in seinem Bett lag, wurde durch die herumfliegenden Splitter im Gesicht verletzt; er erlitt mehrere Schnittverletzungen an der Stirn. Die drei anderen Bewohner konnten sich, nachdem einer von ihnen die abbrennende Lunte bemerkt hatte, auf seinen Warnruf hin in den Flur retten, wodurch weitere mögliche gravierende Verletzungen verhindert werden konnten.

Die Mitbeschuldigten Kl., S., K. und We. warteten abredegemäß in der Nähe des Tatorts, von wo aus sie das weitere Geschehen beobachteten. Nach Ausführung des Anschlags flohen der Beschuldigte und die beiden tatausführenden Mitbeschuldigten in dem von dem Mitbeschuldigten We. gesteuerten Fluchtwagen. Auch die anderen Mitbeschuldigten verließen ihren Beobachtungsposten.

Dem Beschuldigten sowie den weiteren beteiligten Mitgliedern der Vereinigung waren die Sprengwirkung der eingesetzten Sprengkörper und die Gefährlichkeit insbesondere der konkreten Begehungsweise durch die Splitterwirkung der Fensterscheiben bekannt. Sie nahmen den Tod der in der Wohnung befindlichen Asylbewerber, um deren Anwesenheit sie wussten, gleichwohl in Kauf, als sie die Tat trotz im Vorfeld aufgekommener Bedenken, dass dabei Menschen zu Schaden kommen könnten, ausführten; solche Bedenken wurden von dem Beschuldigten vielmehr ausdrücklich zurückgestellt, indem er auf Verletzungsrisiken angesprochen ausführte: „Ob wir das nicht wollen?" und anschließend lachte.

(4) Der Beschuldigte plante mit den anderen Mitgliedern der Vereinigung die Herbeiführung weiterer Sprengstoffexplosionen, bei denen Leib oder Leben anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden sollten. Um diese ausführen zu können, fuhren die Mitglieder der Vereinigung - wie bereits oben dargelegt - nach Tschechien, um sich dort mit in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörpern zu versorgen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten wurden 131 solcher Sprengkörper, mehrere Behältnisse mit Schwarzpulver sowie Zündlunten und 70 m Zündschnur sichergestellt.

b) Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der Auswertung der auf dem Mobiltelefon der Mitbeschuldigten Kl. sichergestellten Protokolle namentlich des „schwarzen Chats“, aus den Ergebnissen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und aus den Vernehmungen zahlreicher Mitbeschuldigter, die sich teilweise selbst, aber auch andere Vereinigungsmitglieder, unter ihnen den Beschuldigten, erheblich belastet haben. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die ausführliche, mit den Beweisergebnissen belegte Sachverhaltsdarstellung in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs.

c) In rechtlicher Hinsicht ist aufgrund dieses Ermittlungsergebnisses zunächst der dringende Verdacht belegt, dass sich in Freital eine Vereinigung gegründet hatte, die auf die Begehung von Tötungsdelikten sowie Sprengstoffverbrechen gerichtet war, an der sich der Beschuldigte als Rädelsführer beteiligte, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StGB.

Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, JZ 2016, 473, 474). Eine solche Vereinigung wird zur terroristischen, wenn ihre Zwecke oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gemäß den Katalogen nach § 129a Abs. 1 und 2 StGB gerichtet sind. Diese Zielsetzung muss durch den internen Willensbildungsprozess der Mitglieder gedeckt sein; der Gruppenwille erleichtert dem Einzelnen die Begehung von Straftaten und drängt das Gefühl persönlicher Verantwortung zurück, woraus sich die vereinigungsbezogene Gefährlichkeit im Sinne der in größeren Personenzusammenschlüssen liegenden typischen Eigendynamik ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 229).

Die „Gruppe Freital“ erfüllte - entgegen dem Vorbringen des Verteidigers des Beschuldigten - nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Voraussetzungen. Ihre Zusammensetzung und ihre Ausrichtung ergeben das Vorliegen des personellen, des zeitlichen und des organisatorischen Elements. Auch das Willenselement ist durch das beschriebene Verhalten bei der Willensbildung (gemeinsame Diskussion und Abstimmung) belegt.

Die von der Vereinigung begangenen Taten erweisen sich unter Zugrundelegung des bisherigen Ermittlungsergebnisses als Straftaten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB. Die Sprengstoffanschläge hatten - unabhängig von der Frage eines ohnehin zur Anwendung von § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB führenden Tötungsvorsatzes - das Ziel, politisch Andersdenkende einzuschüchtern und Asylbewerber so zu verängstigen, dass sie die Bundesrepublik Deutschland wieder verlassen würden. Ein solches Vorgehen gegen politisch Andersdenkende und Asylbewerber, die sich infolgedessen nicht mehr sicher und geschützt fühlen könnten, und das so zu einer tiefgreifenden Beeinträchtigung der inneren Sicherheit und des Vertrauens der Bevölkerung in ihre Gewährleistung führt, erfüllt die Voraussetzungen von § 129a Abs. 2 StGB, zumal, wenn sich die Anschläge in eine Vielzahl ausländerfeindlicher Straftaten im gesamten Bundesgebiet einreihen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603, 1604 mwN).

Der Beschuldigte gehörte als derjenige, der die Anschläge im Wesentlichen plante und vorbereitete, der darüber hinaus den Mittätern an den Anschlägen ihre jeweilige Aufgabe zuwies und Zweifel an der Durchführung einzelner Anschläge zu zerstreuen vermochte (siehe oben: „Ob wir das nicht wollen“), zu den Rädelsführern dieser Vereinigung, denn er übte als Mitglied der Vereinigung maßgeblichen Einfluss auf ihre Tätigkeiten aus. Er nahm an der Durchführung aller Anschläge teil und beteiligte sich ausweislich der Chatprotokolle auch im Übrigen rege am Verbandsleben.

Im Fall a) bb) (4) begründen bereits die aufgefundenen Sprengkörper im Zusammenhang mit der übrigen Ausrichtung der Vereinigung, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist - tateinheitlich zu der Rädelsführerschaft in der terroristischen Vereinigung (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, JZ 2016, 473, 475) -, ein Explosionsverbrechen nach § 308 Abs. 1 StGB vorbereitet zu haben, strafbar gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

In den übrigen Fällen ist der Beschuldigte jeweils dringend verdächtig, sich als Allein- oder Mittäter an den Anschlägen beteiligt zu haben, wodurch er - wiederum jeweils tateinheitlich zu der Rädelsführerschaft in der terroristischen Vereinigung - in allen Fällen eine Sprengstoffexplosion herbeiführte (§ 308 Abs. 1 StGB) und weiter idealkonkurrierend zusätzlich - im Fall a) bb) (3) versuchte, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), und dabei einen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzte (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigte (§ 303 StGB). Der dringende Verdacht, dass bei dem Beschuldigten Tötungsvorsatz vorlag, ergibt sich maßgeblich aus der ihm bekannten besonderen Gefährlichkeit der an den Fensterscheiben angebrachten Sprengladungen. Zudem war er es, der die Bedenken anderer Mitglieder im Vorfeld des konkreten Anschlags zurückstellte, dabei zum Ausdruck brachte, dass er die Gefährlichkeit der Tathandlung erkannte und dadurch im Ergebnis dafür sorgte, dass sich auch die anderen Vereinigungsmitglieder gleichwohl an der weiteren Anschlagsvorbereitung beteiligten. Dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht anders bewertet hat, führt zu keiner abweichenden Beurteilung; - in den Fällen a) bb) (1) und (2) jeweils versuchte, einen anderen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs sowie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Fall a) bb) (1)) bzw. mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich (Fall a) bb) (2)) zu verletzen und jeweils eine fremde Sache beschädigte.

2. Es besteht - worauf auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend abgestellt hat - der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO: Der Beschuldigte hat im Fall einer Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Dem stehen hinreichende persönliche und soziale Bindungen des ledigen Beschuldigten nicht entgegen. Daneben liegt sowohl mit Blick auf § 129a Abs. 1 und 2 StGB als auch mit Blick auf das jedenfalls in einem Fall versuchte Tötungsdelikt der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO vor. Die genannten Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Vorschrift auch bei ihrer gebotenen restriktiven Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) angewendet werden kann.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.

Der Umfang des Verfahrens - die Sachakten umfassen bereits jetzt 40 Stehordner, die Ermittlungen sind indes noch nicht abgeschlossen; das Verfahren richtet sich mittlerweile gegen acht Beschuldigte - und seine besondere Schwierigkeit haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen worden ist, noch nicht zugelassen. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Umstände, die zur Annahme des dringenden Tatverdachts geführt haben, die „Gruppe Freital“ stelle eine terroristische Vereinigung dar, schon mangels ihrer Zuständigkeit nicht Gegenstand der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden waren. Dass sie ohne Berücksichtigung dieser Strukturen die Ermittlungen für abgeschlossen gehalten und Anklage zum Jugendschöffengericht Dresden erhoben hatte, steht der Fortdauer der Untersuchungshaft mithin nicht entgegen und vermag auch nicht den Vorwurf einer verzögerten Sachbehandlung etwa deshalb zu begründen, weil der Generalbundesanwalt seinerseits noch keine neue Anklage erhoben hat; dies gilt jedenfalls derzeit mit Blick auf die Verfahrensübernahme erst am 11. April 2016.

Das Verfahren ist auch mit der gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Seit der Inhaftierung des Beschuldigten sind zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden, die der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Zuschrift vom 4. Mai 2016 aufgeführt hat. Insbesondere die Auswertung der anlässlich der Festnahme von mehreren Mitbeschuldigten bei Durchsuchungen von insgesamt 21 Objekten am 19. April 2016 sichergestellten Datenträger (Mobiltelefone, Computer und andere Speichermedien) dauert noch an. Gleiches gilt für die bereits anlässlich der Festnahmen vom 5. November 2015 sichergestellten 62 elektronischen Asservate; hier haben sowohl die Anzahl der Asservate als auch bestehende Sperrcodes die Dauer der Auswertungsmaßnahmen bedingt. Ebenso bedarf die Auswertung der Chatprotokolle, der geschalteten Telefonüberwachungsmaßnahmen, der Observationsmaßnahmen und der Videoaufzeichnungen vom Treffpunkt der Gruppe (Tankstelle) noch weiterer Ermittlungen.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 727

Bearbeiter: Christian Becker