HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 801
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 277/16, Beschluss v. 07.06.2017, HRRS 2017 Nr. 801
Die Untersuchung und Entscheidung der Sache wird dem Amtsgericht Kiel übertragen.
Die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ mit Sitz in Kiel erließ am 18. Oktober 2013 „gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 7 des Seelotsgesetzes“ einen Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 1.197 Euro nebst Kosten gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit, die er auf dem N. begangen haben soll. Vorgeworfen wird ein Verstoß gegen § 6 Abs. 3, § 21 Nr. 3 NOKLotsV (Verordnung der Wasser-und Schifffahrtsdirektion Nord über die Verwaltung und Ordnung der Seelotsreviere Nord-Ostsee-Kanal I und Nord-Ostsee-Kanal II/Kieler Förde/Trave/Flensburger Förde - NOK-Lotsverordnung - NOKLV vom 8. April 2003, BAnz. 2003 Nr. 84 S. 9991). Der Bescheid wies darauf hin, dass mit Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 die bisherigen Wasser-und Schifffahrtsdirektionen in regionale Außenstellen der neu gegründeten Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt umgewandelt worden seien. Sie nähmen jedoch ihre bisherigen Aufgaben vorerst als Außenstellen dieser Behörde weiter wahr.
Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel die Sache dem Amtsgericht Kiel vorgelegt. Dieses Gericht hat sich durch Beschluss vom 26. August 2014 für unzuständig erklärt. Dazu hat es ausgeführt, der Sitz der Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Kiel begründe keine Gerichtszuständigkeit; denn der Außenstelle sei die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht wirksam übertragen worden. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt habe ihren Sitz in Bonn. Auch wenn eine Außenstelle die Sache bearbeitet habe, sei der Sitz der Hauptstelle für die Gerichtszuständigkeit gemäß § 68 Abs. 1 OWiG maßgeblich. Anders wäre es nur, wenn der Außenstelle die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG übertragen worden wäre. Eine solche Übertragung sei aber nicht wirksam erfolgt. Dazu wäre eine Regelung durch Rechtsverordnung erforderlich. Der Organisationserlass des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 genüge nicht. Die organisatorische Neugliederung der Behörden habe keine selbstständige Behörde bei der Außenstelle geschaffen. Deren Zuständigkeit könne nicht allein durch ihre Selbstdarstellung im Bußgeldbescheid begründet werden.
Nach Vorlage der Sache durch die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht Bonn hat sich dieses Gericht durch Beschluss vom 31. Oktober 2014 für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Es hat ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Gerichts richte sich nach dem Bezirk der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen habe. Der Begriff der Verwaltungsbehörde sei dabei im funktionellen Sinn zu verstehen. Zur Verwaltungsbehörde werde sie durch Übertragung der Eingriffsbefugnisse, die mit der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten verbunden seien. Daran gemessen habe die Außenstelle Nord der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bei Erlass des Bußgeldbescheids als eigenständige Behörde gehandelt. Auch aus der Sicht des Empfängers habe diese den Bescheid selbstständig erlassen. Zwar sei sie darin als Außenstelle der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bezeichnet worden, jedoch habe sie die Anschrift des Hauptsitzes nicht angegeben.
1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht der Amtsgerichte Kiel und Bonn gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 14 StPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
2. Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, § 36 OWiG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 SeeLG (Seelotsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. September 1984, BGBl. I S. 1213) und in Verbindung mit § 3 Nr. 2, § 4, § 15 Abs. 2 ALV (Allgemeine Lotsverordnung vom 21. April 1987, BGBl. I S. 1290) ist das Amtsgericht Kiel für die Entscheidung über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zuständig.
a) Für die Entscheidung ist nach § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Gemeint ist damit die Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (vgl. Müller, OWiG, 82. Lfg., § 68 Rn. 2; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., 17. Lfg., § 68 Rn. 2).
Die Verwaltungsbehörde hat ihren Sitz grundsätzlich dort, wo ihre Hauptstelle eingerichtet ist, also wo die betreffende Behörde den organisatorischen Mittelpunkt ihres Dienstbetriebs hat. Erlässt eine Nebenstelle den Bußgeldbescheid, ist für den Sitz der Behörde im Sinne von § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG grundsätzlich der Ort der Hauptstelle maßgeblich. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Aufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten der Außenstelle als eigenständiger Behörde zugewiesen wurde. Maßgeblich für die Abgrenzung ist nicht die Betrachtung des Auftritts der Verwaltungsbehörde. Bestimmt wird die Zuständigkeit vielmehr durch die rechtlichen Gegebenheiten (vgl. BeckOK-OWiG/Gertler, OWiG, 15. Ed., § 68 Rn. 4; Rebmann/Roth/Herrmann aaO).
Die Zuständigkeit der Behörden zum Erlass von Bußgeldbescheiden folgt gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuvörderst aus dem Gesetz, das den Bußgeldtatbestand und im Zusammenhang damit die Verfolgungszuständigkeit der Behörde regelt. Wenn eine solche Regelung nicht vorhanden ist, bleibt der Fachminister zuständig (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 OWiG); dieser kann gemäß § 36 Abs. 2 oder 3 OWiG eine Aufgabenübertragung durch Rechtsverordnung vornehmen.
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 SeeLG erteilt dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Verordnungsermächtigung dazu, die Ordnung und Verwaltung der Seelotsreviere zu regeln. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur kann gemäß § 5 Abs. 2 SeeLG diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Aufsichtsbehörden übertragen. Auf dieser Grundlage wurde die Allgemeine Lotsverordnung vom 21. April 1987 (BGBl. I S. 1290, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 2. Juni 2016, BGBl. I S. 1257) erlassen. § 15 Abs. 2 ALV übertrug die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten auf die Aufsichtsbehörde (vgl.
Ehlers, Seelotsgesetz, 2. Aufl., § 47 Rn. 1). § 3 Nr. 2 ALV bestimmte bis zum 3. Juni 2016, dass Aufsichtsbehörde für das Seelotswesen die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord für die Seelotsreviere Elbe, Nord-Ostsee-Kanal I, Nord-Ostsee-Kanal II/Kieler Förde/Trave/Flensburger Förde und Wismar/ Rostock/Stralsund ist. Demnach war zurzeit des Erlasses des Bußgeldbescheids die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord zuständig.
Daran hat die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes durch Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 (VkBl. 2013, S. 422 ff.) nichts geändert. Die Tatsache, dass die Behörde hierdurch seit dem 1. Mai 2013 nicht mehr die Bezeichnung als „Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord“ trägt, sondern „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord“ genannt wird, ist unerheblich. Die durch Rechtsvorschrift geregelte Zuständigkeit umfasst hinsichtlich der in den Vorschriften (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 SeeLG, § 3 Abs. 2, § 15 Abs. 2 ALV) benannten Aufsichtsbehörde auch Fälle der Rechtsnachfolge oder geänderten Behördenbezeichnung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 16. September 2014 - 3 A 223/13, RdTW 2015, 117, 118 f.). Soweit § 3 Abs. 2, § 15 Abs. 2 ALV die Zuständigkeit auf die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen Nord und Nordwest als Aufsichtsbehörden übertragen hat, handelt es sich daher um eine Zuständigkeitsregelung, welche auch die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstellen Nord und Nordwest einschließt.
Der Erlass des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 19. April 2013 hat keine Übertragung einer Zuständigkeit bewirkt, sondern die bereits bestehende Zuständigkeit aufrechterhalten. Durch den Erlass sind die Wasser-und Schifffahrtsdirektionen zwar organisatorisch in die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt eingegliedert worden. Ihre Auflösung erfolgte aber nicht. Ihnen blieben vielmehr bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser-und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSVZuständigkeitsanpassungsgesetz - WSVZuAnpG) vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1217 ff.) und der Verordnung zur Anpassung von Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser-und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSVZuständigkeitsanpassungsverordnung - WSVZuAnpV) vom 2. Juni 2016 (BGBl. I S. 1257, 1728) die bisherigen Aufgaben zugewiesen. Der Erlass bestimmte nämlich, dass für die den Wasser-und Schifffahrtsdirektionen zugewiesenen Aufgaben die hiermit funktional identischen Außenstellen der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zuständig bleiben, eigenverantwortlich handeln und unmittelbar der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterliegen. Die Außenstellen waren danach in der Übergangszeit bis zur gesetzlichen Neuregelung selbstständige Behörden (vgl. Nehab, DVBl. 2014, 156, 161). Dies galt auch, soweit sie nicht mehr unter der alten Behördenbezeichnung auftraten.
b) Die Tatsache, dass nach Erlass des angefochtenen Bußgeldbescheids die Zuständigkeit für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten auf die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt als Aufsichtsbehörde im Sinne von § 3 ALV in der ab dem 4. Juni 2016 geltenden Fassung übertragen wurde, ändert nichts an der bereits begründeten Gerichtszuständigkeit (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, OWiG, 4. Aufl., § 68 Rn. 7; Rebmann/ Roth/Herrmann aaO, § 68 Rn. 2).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 801
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner