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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 260

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 132/16, Beschluss v. 21.12.2016, HRRS 2017 Nr. 260


BGH 2 ARs 132/16 2 AR 69/16 - Beschluss vom 21. Dezember 2016

Örtliche Zuständigkeit (Abgabe des Verfahrens; Unzweckmäßigkeit der Abgabe).

§ 42 Abs. 3 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Voraussetzungen für eine Abgabe des Verfahrens liegen grundsätzlich vor, wenn der Angeklagte zum wiederholten Male seinen tatsächlichen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat.

2. Die im richterlichen Ermessen stehende Abgabe kann sich jedoch als unzweckmäßig erweisen, wenn der Angeklagte seinen Aufenthaltsort seit Einleitung des Strafverfahrens mehrfach gewechselt hat, künftige Wechsel des Aufenthaltsorts zu erwarten sind und der Reiseaufwand für den Angeklagten und die in den Anklageschriften benannten Zeugen im Falle einer Hauptverhandlung sich durch die Abgabe nicht in unzumutbarer Weise erhöht.

Entscheidungstenor

1. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 7. Januar 2016 - 410 Ds 26 Js 997/15-174/15 - wird aufgehoben.

2. Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen zuständig.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat gegen die 16 Jahre alte Angeklagte vor dem Amtsgericht - Jugendrichter - Betzdorf am 4. April 2015, am 20. Juni 2015 und am 14. Juli 2015 drei Anklagen unter anderem wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erhoben; die Taten wurden in Wissen und in Betzdorf begangen; die Beschuldigte war im Bezirk des Amtsgerichts Betzdorf wohnhaft.

Das Amtsgericht Betzdorf hat alle drei Anklageschriften zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die drei Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Nach einer am 25. Juli 2015 erfolgten Ummeldung der Angeklagten zu ihrem in Burbach im Amtsgerichtsbezirk Siegen lebenden Vater, dem mit Beschluss vom 29. Oktober 2015 auch die elterliche Sorge übertragen worden ist, hat das Amtsgericht Betzdorf das Verfahren durch Beschluss vom 2. Oktober 2015 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Koblenz gemäß § 42 Abs. 3 JGG an das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen abgegeben. Dort wurde das Verfahren übernommen und Termin zur Hauptverhandlung auf den 21. Januar 2016 bestimmt. Nachdem bekannt geworden war, dass die Angeklagte seit dem 5. November 2015 wieder bei ihrer Mutter in Betzdorf lebe und dort auch amtlich gemeldet sei, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Siegen an das Amtsgericht Betzdorf abgegeben. Das Amtsgericht Betzdorf lehnte - einer Anregung der Staatsanwaltschaft folgend - eine neuerliche Übernahme des Verfahrens durch Beschluss vom 4. Februar 2016 unter Hinweis darauf ab, dass aufgrund der innerfamiliären Konflikte mit weiteren Wechseln des Aufenthaltsorts der Angeklagten zwischen Burbach und Betzdorf zu rechnen sei. Die hiergegen gerichteten Einwände der Jugendrichterin des Amtsgerichts Siegen hat das Amtsgericht Betzdorf zurückgewiesen und dabei auch ausgeführt, dass die Angeklagte sich regelmäßig bei ihrem Vater in Burbach aufhalte und dort erneut straffällig geworden sei. Die Jugendrichterin des Amtsgerichts Betzdorf hat die Sache daraufhin mit Verfügung vom 31. März 2016 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Der Bundesgerichtshof ist als gemeinsames oberes Gericht des zum Bezirk des Oberlandesgerichts Koblenz gehörenden Amtsgerichts Betzdorf und dem zum Oberlandesgerichtsbezirk Hamm gehörenden Amtsgerichts Siegen gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 JGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

Für die Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen zuständig.

Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe vor, nachdem die Angeklagte - zum wiederholten Male - ihren tatsächlichen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat (vgl. BGHSt 31, 209, 217; Senat, Beschluss vom 18. März 2014 - 2 ARs 7/14, juris).

Die im richterlichen Ermessen stehende Abgabe erweist sich jedoch vorliegend als unzweckmäßig. Die Angeklagte hat ihren Aufenthaltsort seit Einleitung des Strafverfahrens gegen sie mehrfach gewechselt. Angesichts ihrer familiären Situation sind auch künftige Wechsel ihres Aufenthaltsorts zwischen Betzdorf und Burbach zu erwarten. Da die Fahrtstrecke zwischen Betzdorf und Siegen lediglich 21 Kilometer beträgt, wird der Reiseaufwand für die Angeklagte und die in den Anklageschriften benannten Zeugen im Falle einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Siegen nicht in unzumutbarer Weise erhöht. Zudem sind bei der Staatsanwaltschaft Siegen weitere Verfahren gegen die Angeklagte wegen in Burbach begangener Straftaten anhängig, so dass mit weiteren Anklagen vor dem Amtsgericht Siegen zu rechnen ist.

In Anbetracht dieser Umstände erscheint es sachgerecht, das Hauptverfahren vor dem gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 1 JGG zuständigen Amtsgericht - Jugendrichter - Siegen durchzuführen.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 260

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner