HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 951
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 59/16, Urteil v. 20.07.2016, HRRS 2016 Nr. 951
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte, der aus Nigeria stammt, die Geschädigte, die ebenfalls Nigerianerin ist, im Februar oder März 2014 durch die Zeugen A. und Y. kennen. Anschließend hielten sie über Kurznachrichten miteinander Kontakt. Am 26. November 2014 reiste der Angeklagte auf ihre Anregung zu der Geschädigten. In ihrer Unterkunft bereitete sie ihm ein Essen. Nachdem er gegessen hatte, äußerte er den Wunsch, den Geschlechtsverkehr auszuüben. Dies lehnte die Geschädigte ab. Darauf packte der Angeklagte sie am Arm, zog sie aufs Bett, hielt sie mit einer Hand fest und zog ihr mit der anderen Hand die Hose aus. Dann drang er in sie ein. Als er ihren Oberkörper auf das Bett drückte, riss ihr Top im V-Ausschnitt ein. Der Angeklagte führte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch.
Danach band sich die Geschädigte einen Wickelrock um und verließ das Zimmer. Sie schloss die Zimmertür ab und rief im Treppenhaus mit ihrem Mobiltelefon die Polizei. Nach Eintreffen der Polizeibeamten zeigte sie auf den Angeklagten und erklärte, er habe sie vergewaltigt. Der Angeklagte war überrascht und behauptete, es sei nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen. Die Geschädigte zog darauf ihren Rock hoch, griff zwischen ihre Beine und präsentierte den Beamten Reste von Sperma.
2. Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten und behauptet, die Geschädigte habe sich ausgezogen, aufs Bett gelegt und ihn zum Geschlechtsverkehr verführt. Der Vergewaltigungsvorwurf treffe nicht zu. Er habe sich mit dem Zeugen A. zerstritten und dieser habe die Geschädigte zu einer Racheaktion instrumentalisiert.
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten für widerlegt erachtet und ist den Zeugenaussagen der Geschädigten gefolgt. Besondere Beweisbedeutung komme der Tatsache zu, dass ihr Top eingerissen gewesen sei und Zellspuren mit dem DNA-Muster des Angeklagten aufgewiesen habe. Mit der Einlassung, die Geschädigte habe sich vor dem Geschlechtsverkehr entkleidet, sei dies nicht vereinbar. Obwohl der Angeklagte nach Erstattung des Sachverständigengutachtens zur Spurenauswertung durch Unterbrechung der Hauptverhandlung „drei Wochen Zeit hatte, um seine Verteidigung auf das Gutachten einzurichten, hat er dem Gericht keine Erklärung dafür, wie seine DNA auf das Top der Zeugin Aj. gelangt sein könne, aufgezeigt. Die Kammer vermag sich die DNA-Spur des Angeklagten auf dem Top der Zeugin deshalb nur dadurch zu erklären, dass, wie die Zeugin ausgesagt hat, der Angeklagte das Top der Zeugin angefasst hat, als er ihren Oberkörper mit der Hand auf das Bett drückte.“ II.
Die Revision des Angeklagten ist mit der Sachrüge begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft.
Es geht um einen Fall, in dem in der entscheidenden Frage, ob der Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit der Nebenklägerin einvernehmlich erfolgte, wie es der Angeklagte behauptet, oder vom Angeklagten erzwungen wurde, wie es die Geschädigte darstellt, letztlich Aussage gegen Aussage steht. Zudem hat die Geschädigte nach Ansicht des Landgerichts teilweise falsche Angaben gemacht, welche sich allerdings auf Umstände zu ihrem ungesicherten Aufenthaltsstatus beziehen. In einem solchen Fall ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 700/13). Seine Urteilsgründe müssen genau erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien zusammenfassend zu bewerten (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 2008 - 2 StR 394/08). Dies hat die Strafkammer nicht ausreichend beachtet.
Die Annahme, die Antragung der Zellspur mit DNA vom Angeklagten sei nur dadurch erklärbar, dass sie beim Niederdrücken der zunächst bekleideten Geschädigten durch den Angeklagten an das Top gelangt sei, lässt eine konkret in Betracht kommende Alternative unberücksichtigt. Die Geschädigte präsentierte den Polizeibeamten unmittelbar nach deren Eintreffen Spermaspuren und hatte dadurch selbst Zellmaterial, das vom Angeklagten stammte, an der Hand. Nach ihrer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung hatte sie das Top „zu diesem Zeitpunkt noch angehabt. Sie habe das Top noch während des polizeilichen Einsatzes ausgezogen und hingeworfen. Die Beamten hätten jedoch nur ihren Wickelrock und das Bettzeug mitgenommen.“ Daraus ergibt sich die nahe liegende Möglichkeit, dass die Geschädigte das Zellmaterial vom Angeklagten an dem Kleidungsstück angetragen hat. Mit dieser Alternative hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass dies nicht geschehen ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil darauf beruht.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 951
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 382
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede