HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 760
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 572/16, Beschluss v. 27.06.2017, HRRS 2017 Nr. 760
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter unmaskiert und unter Verwendung von Handschuhen am „4. Juli 2017“ (richtig: 4. Juli 2014) gegen 21.00 Uhr zum Anwesen des Metallhändlers K. in O., um dort einzubrechen und „Bargeld und Schmuck“ zu entwenden. Über ein vergittertes Kellerfenster gelangten der Angeklagte und sein Mittäter in das Innere des Gebäudes und begaben sich in die im ersten Obergeschoss des Anwesens gelegene Wohnung des Geschädigten. Als der Geschädigte die Täter in der Wohnung überraschte, fassten diese den Entschluss, ihn nunmehr mit Gewalt zur Preisgabe des Aufbewahrungsorts von Bargeld und Schmuck zu bewegen.
In Ausführung dieses Tatentschlusses traten sie von hinten an den inzwischen in den Flur der Wohnung getretenen Geschädigten heran, packten ihn gemeinsam an Nacken und Hals und drückten ihn zu Boden. Einer der Täter fixierte den sich heftig wehrenden Geschädigten am Boden, während der andere Täter mit der Faust auf den Kopf des Tatopfers einschlug und ihm zahlreiche heftige Tritte versetzte, die diesen an Kopf, Oberkörper und in der Nierengegend trafen. Um unerkannt zu bleiben, zog einer der Täter die Kapuze seiner Jacke ins Gesicht, während der andere Täter seinen Kopf mit einem Handtuch bedeckte. Einer der Täter holte nunmehr ein langes Fleischermesser mit einer Klingenlänge von rund 30 Zentimetern aus der Küche, hielt es dem Geschädigten unmittelbar an den Hals und forderte ihn auf, anzugeben, wo er Bargeld und „den Schmuck seiner Mutter“ aufbewahre. Unter dem Eindruck dieser Drohung erklärte der Geschädigte, dass sich das Bargeld in einer Tragetasche in einem anderen Zimmer befinde. Der Angeklagte und sein unbekannt gebliebener Mittäter „legten dann viele Decken auf den Geschädigten, sodass er kaum noch Luft bekam“; einer der Täter suchte erfolglos nach der Tasche mit Bargeld. Als er zurückkam, schlugen und traten beide Täter erneut auf den Geschädigten ein und würgten ihn schließlich mit einer Krawatte. Anschließend wickelten sie ihn fest in Decken, fesselten ihn an Händen und Füßen mit Stromkabeln und Krawatten und schlugen ihm wiederholt mit einem viereckigen Gegenstand auf den Kopf, wodurch der Geschädigte das Bewusstsein verlor. Nachdem sie schließlich die vom Geschädigten beschriebene Tragetasche mit einer Geldkassette, in der sich ein Bargeldbetrag in Höhe von 5.500 Euro befand, gefunden und an sich genommen hatten, versprühten sie aus einem Feuerlöscher Löschschaum in der Wohnung, um ihre Spuren zu verwischen. Anschließend schraubten sie die in der Wohnung angebrachten Rauchmelder ab, legten diese und den Feuerlöscher in der Badewanne ab und verließen die Wohnung mit der Beute. Der durch die Tat verursachte Sachschaden belief sich auf rund 15.000 Euro.
Dem Geschädigten gelang es, sich zu befreien und Hilfe zu holen. Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert und zunächst auf der Intensivstation aufgenommen; dort wurde festgestellt, dass er eine Rippenserienfraktur (Bruch der 7. bis 11. Rippe links), einen Pneumothorax links, ein ausgedehntes Weichteil- und Mediastinalemphysem, ein Monokelhämatom links sowie eine Trommelfellverletzung links, eine Augapfelverletzung sowie eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Sein Gehör ist dauerhaft geschädigt.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die tatrichterliche Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf eine DNA-Spur gestützt, die „an“ (UA S. 24) bzw. „auf“ (UA S. 14 und 34) einer am Tatort aufgefundenen abgerissenen Fingerkuppe eines (Arbeits-)Handschuhs gesichert worden ist. Die insoweit angestellten Beweiserwägungen sind nicht nachvollziehbar und lückenhaft.
a) Ausweislich der Beweiserwägungen ist am Tatort „auf dem Feuerlöschpulver“ die abgerissene Fingerkuppe eines Handschuhs sichergestellt worden; nähere Einzelheiten zu Art, Material und Beschaffenheit des Handschuhfragments sowie sein genauer Auffindeort sind nicht mitgeteilt. „Auf dieser Fingerkuppe“, so das Landgericht, sei eine Mischspur gesichert worden, die „von mehreren Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen verursacht“ worden sei. Angaben dazu, wie viele Personen als Verursacher dieser Mischspur in Betracht kommen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Der Geschädigte K. sei, so das Landgericht, als „Verursacher des dominierenden Spurenanteils „in Betracht zu ziehen“. Die DNA-Merkmale des Angeklagten seien durchgehend in sechzehn voneinander unabhängigen DNA-Merkmalssystemen in dieser Mischspur festgestellt worden. Der Angeklagte sei somit „als Verursacher eines Spurenanteils dieser Mischspur in Betracht zu ziehen, keinesfalls aber auszuschließen“. Die Ausschlusswahrscheinlichkeit betrage 99,9999985 %; in einer Gruppe von 60 Millionen zufällig ausgewählten Personen sei mithin eine Person zu erwarten, die als Mitverursacher der Mischspur in Betracht komme. Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass eine andere Person als der Angeklagte rein zufällig „als Spurenleger nicht ausgeschlossen werden“ könne. Daraus hat das Landgericht den Schluss gezogen, dass sich die DNA des Angeklagten „auf“ dem Handschuhfragment befunden habe; hierin hat es ein den Angeklagten zentral belastendes Indiz gesehen.
b) Diese Beweiserwägungen sind unklar und lückenhaft.
aa) Die Ausführungen zur Lage der Spur an dem Handschuhfragment sind unklar. In den Sachverhaltsfeststellungen ist festgehalten, dass sich DNA-Material des Angeklagten „auf“ (UA S. 14) der sichergestellten Fingerkuppe befunden habe; im Rahmen der Beweiswürdigung wird mitgeteilt, dass DNA-Material auf bzw. „an“ der Handschuhfingerkuppe sichergestellt worden sei (UA S. 25). Demgegenüber gibt das Urteil den Inhalt der in der Hauptverhandlung verlesenen beiden molekulargenetischen Gutachten des Hessischen Landeskriminalamts dahin wieder, dass zwei Stellen der Innenseite der Handschuhfingerkuppe ausgeschnitten und untersucht worden seien; an einer der beiden Stellen der Handschuhfingerkuppe sei eine Mischspur gesichert worden, die „von mehreren Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen“ verursacht worden sei. Aufgrund der nachgewiesenen DNA-Merkmale sei „der Geschädigte K. als Verursacher des dominierenden Spurenanteils dieser Mischspur in Betracht zu ziehen.“ Dass es sich bei den Angaben zur Lage der Mischspur an der Außenseite des Handschuhfragments lediglich um ein Schreibversehen handelt, erscheint zweifelhaft; denn das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte die Handschuhe zum Tatort mitgebracht hat (vgl. UA S. 11). Diese Annahme lässt sich nicht ohne Weiteres mit dem weiteren Befund vereinbaren, dass der Geschädigte K. als Hauptspurenverursacher der an der Innenseite der Handschuhfingerkuppe gesicherten Mischspur in Betracht zu ziehen ist. Mit der Annahme einer „auf“ dem Handschuh gesicherten Spur ließe sich dieses Ergebnis jedoch zwanglos vereinbaren.
bb) Darüber hinaus genügen die Darlegungen in den Urteilsgründen auch im Übrigen den insoweit bestehenden Anforderungen nicht.
(1) Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 21. Juli 2016 - 2 StR 383/15, juris Rn. 35).
(2) Die Darstellung der Ergebnisse einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist so auszugestalten, dass die Wahrscheinlichkeitsberechnung für das Revisionsgericht nachvollziehbar ist. Insoweit ist es in Fällen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, ausreichend, wenn der Tatrichter in den Urteilsgründen mitteilt, wie viele Systeme untersucht worden sind, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist (BGH, Beschluss vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16; Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 1 StR 364/14, NStZ-RR 2015, 87, 88; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454, 2455; zum Erfordernis der Angabe, ob die untersuchten Merkmale unabhängig voneinander vererbbar sind vgl. nunmehr BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477).
Für die Darstellung der Bewertung von Mischspuren, also von Spuren, die mehr als zwei Allele in einem DNA-System aufweisen, können jedoch je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls strengere Anforderungen gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118, 119). Dabei wird sich regelmäßig die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. November 2016 - 2 StR 141/16, NStZ-RR 2017, 91, 92; zur Spurenqualität und zur Bedeutung der Anzahl der Spurenverursacher Ulbrich u.a., Gemeinsame Empfehlungen der Projektgruppe „Biostatistische DNA-Berechnungen“ und der Spurenkommission zur Biostatistischen Bewertung von DNA-analytischen Befunden, NStZ 2017, 135, 136; zur Klassifikation von Mischspuren Schneider u.a., NStZ 2007, 447).
(3) Hieran fehlt es. Das Landgericht hat sich auf die Mitteilung beschränkt, dass die DNA-Merkmale des Angeklagten „durchgehend in sechzehn voneinander unabhängigen DNA-Merkmalsystemen in dieser Mischspur festgestellt“ worden seien. Den tatrichterlichen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen. Die Formulierung, dass „mehrere Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen“ diese Mischspur verursacht haben, deutet darauf hin, dass es sich um eine Mischspur jedenfalls mit mehr als zwei Spurenverursachern handelt.
cc) Schließlich lässt sich die vom Landgericht aus der Spurenlage gezogene Folgerung, dass die an dem Fingerkuppenfragment des Handschuhs gesicherte Spur DNA des Angeklagten enthalte, aus der Nichtausschließbarkeit einer Spurenverursachung nicht herleiten (vgl. Senat, Beschluss vom 16. November 2016 - 2 StR 141/16, NStZ-RR 2017, 91, 92; vgl. auch die Empfehlungen der Spurenkommission NStZ 2017, 135).
2. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen Darlegungsmängeln beruht. Zwar hat die Strafkammer weitere Beweisanzeichen für die Täterschaft des Angeklagten herangezogen; sie hat diesen weiteren Beweisanzeichen aber gegenüber der DNA-Spur eine nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Hinzu tritt, dass auch die weiteren Beweiserwägungen rechtlich nicht unbedenklich erscheinen:
a) Soweit das Landgericht angenommen hat, dass der „biostatistische Befund“ durch die Angaben des Zeugen D. gestützt werde, der davon berichtete, die Tochter des Angeklagten habe ihm erzählt, dass dieser „bei einem Raubzug Schmuck erbeutet“ habe, erschließt sich nicht, wie dies die Annahme der Täterschaft des Angeklagten stützen könnte. Denn ausweislich der Feststellungen ist bei der verfahrensgegenständlichen Tat kein Schmuck, sondern nur Bargeld erbeutet worden.
b) Soweit der Tatrichter die „genetische Spurenlage“ durch die Angaben des Zeugen H. erhärtet sieht, begegnet auch diese Erwägung rechtlichen Bedenken. Der Tatrichter hat die Aussage des Zeugen H. hinsichtlich der aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse dahin wiedergegeben, dass die Tochter des Angeklagten „ganz eindeutig über die Tat gesprochen habe“. Die Beweiserwägungen geben jedoch den die Wertung des Polizeibeamten tragenden tatsächlichen Gesprächsinhalt nicht wieder und sind daher nicht nachvollziehbar.
Zwar hat das Landgericht als ein weiteres, den Angeklagten belastendes Indiz berücksichtigt, dass einer der Täter den anderen Täter während der Tatausführung nach den glaubhaften Angaben des Geschädigten mit „S.“ angesprochen hat und der Angeklagte - wie er selbst eingeräumt hat - von Freunden „S.“ genannt wird. Gleichwohl vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf den Darlegungsmängeln nicht sicher auszuschließen.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 760
Externe Fundstellen: StV 2020, 452
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede