HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 259
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 505/16, Beschluss v. 19.01.2017, HRRS 2017 Nr. 259
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 20. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Totschlags in Tateinheit mit Führen einer Schusswaffe ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 Waffengesetz“ zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die allgemeine Sachrüge führt zu durchgreifenden rechtlichen Bedenken in Bezug auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten. Nach den Urteilsgründen hat die Strafkammer die Prüfung einer Verminderung oder Aufhebung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit des Angeklagten ausschließlich auf den Cannabiskonsum des Angeklagten beschränkt. Die gehörte Sachverständige Dr. G. hat ihre Ausführungen in der Hauptverhandlung offensichtlich ausschließlich mit Blick auf eine leichte Cannabiskonsumstörung des Angeklagten vorgenommen. Die Strafkammer selbst hat auch lediglich den Drogenkonsum des Angeklagten im Blick gehabt, soweit sie sich den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen und nachfolgend in den Urteilsgründen 'nach den Feststellungen zum unmittelbaren Tatgeschehen und unter Berücksichtigung des Nachtatgeschehens' (UA S. 24/25) ausschließt, dass das Einsichts- und/oder Steuerungsvermögen des Angeklagten eingeschränkt oder aufgehoben war und in diesem Zusammenhang lediglich auf das Fehlen von drogenbedingten Ausfallerscheinungen abstellt.
Eine durchgreifende auf die Sachrüge zu beachtende Lücke in der tatrichterlichen Würdigung liegt indes darin, dass sich das Landgericht bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des […] Angeklagten weder mit dem festgestellten Krankheitszustand des Angeklagten noch mit dem Tatgeschehen auseinandergesetzt hat. Nach den Urteilsgründen musste sich der Angeklagte 2013 einer Gehirnoperation unterziehen; vermutet wurde ein Tumor oder ein Schlaganfall. Aufgrund des Schlaganfalles und aufgrund eines durch den Verkehrsunfall erlittenen Polytraumas hat der Angeklagte einen Grad der Behinderung von 30% (UA S. 3). Nach den Feststellungen bleibt offen, ob es sich dabei ausschließlich um eine Gehbehinderung des Angeklagten (siehe UA S. 10) handelt oder ob infolge des vermuteten Schlaganfalls auch kognitive Beeinträchtigungen bei dem Angeklagten vorgelegen haben, die möglicherweise zu einer schuldrelevanten Störung des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB zur Tatzeit geführt haben. Die Strafkammer hatte schon deshalb Anlass sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, als sowohl die SMS-Nachrichten nicht nachvollziehbar sind noch Tatanlass - Kauf eines nicht funktionsfähigen Laptops für 30 Euro - und Tat - Tötung des Verkäufers - in einem nachvollziehbaren Verhältnis stehen.
Dieser Rechtsfehler führt insgesamt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Im Hinblick auf den ungeklärten Zustand des Angeklagten lässt sich auch die Aufhebung der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht ausschließen.“
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 259
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner