HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 503
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 454/16, Urteil v. 12.04.2017, HRRS 2017 Nr. 503
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 21. Juni 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nach Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache durch Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - 2 StR 545/15 (StV 2016, 720 ff.) - hat es mit dem nunmehr angefochtenen Urteil erneut den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen die Maßregelanordnung richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte nach einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Firma P. im Jahre 2006 grundlos die Vorstellung, dieses Unternehmen sei an Geldwäsche beteiligt, die zusammen mit Banken begangen werde. Der Angeklagte zog sich aus seinem sozialen Umfeld zurück und verbrachte seine Zeit im Wesentlichen mit Recherchen zu seinem Verdacht. Es kam zu Strafverfahren wegen verschiedener Straftaten gegen ihn. Der Angeklagte befürchtete, vergiftet zu werden. Bei einer stationären psychiatrischen Behandlung in der Zeit vom 10. März bis zum 23. März 2011 erklärte der Angeklagte, er sei „Zeuge und Kronzeuge sowie Nebenkläger. Mehrere Gerichtsverfahren liefen, er solle jetzt mundtot gemacht werden. Alles sei ein großes Komplott. Dahinter steckten die Volksbank sowie die Sparkasse, die würden Geldwäsche betreiben, würden alle bestechen, auch Richter.“ Nach der Räumung seines Elternhauses lebte der Angeklagte in einem Zelt in den Dünen am Ostseestrand zwischen K. und T. Er verfügte weder über Geld noch über Lebensmittel und hatte zur Tatzeit seit zwei Tagen nichts gegessen. Daher beschloss er am 16. April 2015, die Urlauberinnen H. und S., die am Strand spazieren gingen, zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen. Er ergriff einen Ast und näherte sich den Frauen von hinten. Dann schlug er beiden Geschädigten mit dem Ast mehrfach auf den Kopf. Er rief ihnen zu: „Geld, Portemonnaie, Handy her!“ Aus Angst vor weiteren Schlägen händigte die Geschädigte S. dem Angeklagten ihr Portemonnaie und ihr Mobiltelefon aus. Der Angeklagte nahm zehn Euro weg und warf das Mobiltelefon in die Ostsee. Von dem Geld kaufte er sich Nahrungsmittel.
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine besonders schwere räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB begangen habe; jedoch habe er dabei krankheitsbedingt ohne Unrechtseinsicht und deshalb gemäß § 20 StGB ohne Schuld gehandelt. Er sei in völliger Realitätserkennung davon ausgegangen, dass er ein „verfassungsmäßiges Notstandsrecht“ und keine Verhaltensalternative gehabt habe.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Die Feststellung einer rechtswidrigen Tat gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, § 52 Abs. 1 StGB ist ebenso rechtsfehlerfrei wie die Annahme, dass der Angeklagte bei der Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung ohne Schuld gehandelt hat (§ 20 StGB).
Die Diagnose eines zur Tatzeit bestehenden und danach weiter andauernden systematisierten Wahns, verbunden mit akustischen Halluzinationen und Körperhalluzinationen als Symptome einer schizophrenen Psychose hat das sachverständig beratene Landgericht im Einzelnen dargelegt. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Seine Auffassung, der Angeklagte sei wegen seiner krankhaften seelischen Störung zur Tatzeit nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Handlung einzusehen, ist ebenfalls rechtsfehlerfrei.
So hat der Angeklagte nach seiner Einlassung in der Hauptverhandlung auf die Frage, ob man einen Menschen schlagen dürfe, geantwortet: „Nö, darf man nicht. Aber darum geht es nicht.“ Seine Erklärung für die wahnbedingte Behauptung, er sei berechtigt gewesen, gegen die Geschädigten Gewalt anzuwenden und sie zur Herausgabe ihrer Sachen zu zwingen, lautete: „Notwehr, das ist für mich Verfassungsrecht. Das ist wie Krieg, dann geht es um die Personalität.“ Auch aus entsprechenden weiteren Äußerungen und Verhaltensweisen des Angeklagten hat das Landgericht nachvollziehbar darauf geschlossen, dass der Angeklagte infolge seiner Wahnvorstellung von anarchischen Verhältnissen ausgegangen sei, die es ihm gestatteten, ohne Rücksicht auf die Rechte anderer Gewalt anzuwenden, um seine Existenz zu sichern. Insoweit habe sein Handeln trotz des vordergründig rational erscheinenden Handlungsmotivs, sich Geld zu beschaffen, um seinen Hunger zu stillen, auf seinen wahnhaften Denkinhalten beruht.
Dem Angeklagten war daher die Möglichkeit zur Unrechtseinsicht aufgrund einer krankheitsbedingten Fehlvorstellung über eine Notstandslage versperrt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 505/10, NStZ 2011, 336 f.).
2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 Satz 1 StGB).
a) Dazu durfte das Landgericht unbeschadet der Tilgung von Eintragungen im Bundeszentralregister auch auf frühere strafbare Verhaltensweisen zurückgreifen. In der Heranziehung im Bundeszentralregister getilgter Verurteilungen zur Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose liegt hier kein Verstoß gegen das prinzipiell auch bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung geltende Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2013 - 4 StR 145/13 mwN). Die Verwertung kann auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Danach darf eine frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG berücksichtigt werden, wenn in einem neuen Strafverfahren ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist und die Umstände der früheren Tat dafür von Bedeutung sind. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Sachverständiger, der ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstellen hat, zu falschen oder nicht belastbaren Aussagen gelangt, weil er bei der Persönlichkeitsanamnese auf bedeutsame Erkenntnisse verzichten muss (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2012 - 4 StR 247/12, BGHR BZRG § 52 Abs. 1 Nr. 2 Verwertbarkeit 1 mwN). § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG hebt das Verwertungsverbot für bestimmte Erkenntnisse aus der getilgten Verurteilung auf, wenn deren Verwendung für eine tragfähige Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen erforderlich ist. Auf diesen Verwendungszweck hat sich das Landgericht beschränkt.
b) Die Gefährlichkeit des Angeklagten wegen einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Straftaten ist hinreichend dargetan.
Aus den Tatsachen des Vorliegens eines systematisierten Wahns, des Fehlens von Krankheitseinsicht, der darauf beruhenden Ablehnung von Hilfestellungen und der Art der Fehlvorstellung des Angeklagten, er dürfe aufgrund einer notstandsähnlichen Situation Gewalt gegen beliebige Dritte anwenden, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei entnommen, dass „mit großer Wahrscheinlichkeit“ ohne die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus künftig vergleichbare Handlungen des Angeklagten wie bei der rechtswidrigen Tat vom 16. April 2015 zu erwarten seien. Dies wird auch durch seine Erklärung in der Hauptverhandlung deutlich, „dass er in vergleichbarer Lage wieder so handeln würde“.
c) Die Maßregelanordnung ist schließlich mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit gemäß § 62 StGB nicht zu beanstanden.
Die Anordnung der Unterbringung wird grundsätzlich nicht durch die Möglichkeit minder einschneidender Maßnahmen außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln gehindert. Bei den freiheitsentziehenden Maßregeln gilt das Subsidiaritätsprinzip nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein für die Frage der Vollstreckung (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 StR 469/08, NStZ 2009, 260, 261). Daher ist es für die Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unerheblich, ob die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden könnte. Auch die Überwachung der Medikation oder die Bestellung eines Betreuers, eines Bewährungshelfers sowie die Erteilung von Bewährungsauflagen und Weisungen, die allein die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe betreffen, sind insoweit ohne Belang. Solche Maßnahmen erlangen erst für die Frage Bedeutung, ob die Vollziehung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Zur Angemessenheit der Maßregelanordnung mit Blick auf die Schwere der Anlasstat und der künftig zu erwartenden Taten hat das Landgericht zwar keine näheren Ausführungen gemacht. Dies ist aber kein Rechtsfehler, weil sich die Angemessenheit aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe unschwer entnehmen lässt. Die Anlasstat bestand in einem qualifizierten Verbrechen mit erheblichen Gefahren und Tatfolgen für die Geschädigten. Nach den Urteilsgründen besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die künftige Begehung vergleichbar schwer wiegender Taten, wenn der Angeklagte nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird.
d) Schließlich ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine Aussetzung der Vollziehung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte ohne die Unterbringung völlig isoliert lebt, keine Krankheitseinsicht zeigt, jede Hilfe ablehnt und ein sozialer Empfangsraum fehlt, der ihn ausreichend zur Einnahme von Medikamenten veranlassen und an rechtswidrigen Taten hindern könnte.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 503
Externe Fundstellen: NStZ 2017, 579
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede