HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 495
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 188/16, Beschluss v. 24.01.2017, HRRS 2017 Nr. 495
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 15. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen sich der Angeklagte und der gesondert Verfolgte S., die sich nur flüchtig kannten, in den Abendstunden des 20. Dezember 2014 in einer Gaststätte in N., um Streitigkeiten wegen einer Frau auszuräumen. Nachdem sie dort reichlich Alkohol zu sich genommen hatten, begaben sie sich zum Weitertrinken in eine weitere Gaststätte, aus der sie in den frühen Morgenstunden des 21. Dezember 2014 wegen starker Alkoholisierung verwiesen wurden. Dies führte bei ihnen zu einer gereizten, aggressiven Stimmung. Auf einer Brücke nahmen sie die Geschädigten G. und P. wahr, die sich auf dem Heimweg von einer Weihnachtsfeier befanden. Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte S. entschlossen sich, ihre Aggressionen an den beiden Geschädigten abzureagieren, sie anzupöbeln und eine körperliche Auseinandersetzung zu provozieren. Sie liefen den Geschädigten hinterher, schlossen zu ihnen auf, verwickelten diese in ein Gespräch und fragten, wo sie hingehen wollten. Die Geschädigten, die sich sogleich unwohl fühlten, hofften beide dadurch loszuwerden, dass sie erklärten, noch eine Nachtgaststätte aufsuchen zu wollen. Der Angeklagte und S. erklärten jedoch, dass man zusammen dorthin gehen und gemeinsam etwas trinken werde. Auf dem weiteren Weg lief der Angeklagte neben dem Geschädigten P. her, während S. den Geschädigten G. mit einigen Metern Abstand begleitete. Zweck dieser Vorgehensweise war es, eine Flucht der beiden Geschädigten zu verhindern. Auf dem Weg rempelten der Angeklagte und S. die Geschädigten absichtlich mehrmals an, nachdem die Geschädigten zwischenzeitlich erklärt hatten, es sich anders überlegt zu haben und nun doch nicht in die Nachtgaststätte gehen zu wollen. Der Angeklagte versuchte, den P. zu provozieren, indem er ihn fragte, ob er und G. schwul seien, worauf dieser nicht reagierte. Schließlich fragte der Geschädigte G. den Angeklagten, was man von ihnen wolle und ob es um Geld oder die Handys gehe. Der Angeklagte erwiderte, dass man „einfach nur mitgehen“ wolle. Als der Geschädigte P. seine Wohnung erreicht hatte, stieg er die beiden zur Haustür führenden Stufen hinauf, öffnete aber nicht die Tür, da - wie er sah - der gesondert Verfolgte S. mit dem Geschädigten G. weiterlief. In diesem Augenblick schlug der Angeklagte dem Geschädigten P. die Mütze vom Kopf, zog ihn am Jackenärmel die Treppe hinunter und schob ihn um die Ecke des Wohnblocks. Es ließ sich nicht feststellen, ob dies in der Absicht geschah, den Geschädigten dort körperlich zu misshandeln oder ob der Angeklagte in Erwartung einer körperlichen Misshandlung des Geschädigten G. durch S. eine mögliche Hilfeleistung durch P. unterbinden wollte. Ebenfalls nicht feststellen ließ sich, ob der Angeklagte wusste oder damit rechnete, dass S. versuchen würde, dem Geschädigten G. Wertgegenstände unter Einsatz von Nötigungsmitteln wegzunehmen. Die Jugendkammer gelangte jedoch zur Überzeugung, dass der Angeklagte davon ausging, nunmehr werde - wie von vornherein beabsichtigt - von der bloßen Provokation zum tätlichen Übergriff übergegangen.
Nachdem der Geschädigte G. auf die Frage des S., „was er dabei“ habe, seinen Schlüsselbund und sein leeres Portemonnaie vorgezeigt hatte, ergriff er die Flucht und rannte davon. S. folgte ihm nicht, sondern kam zu dem Angeklagten und dem Geschädigten P., die etwa zehn Meter entfernt standen. S. schlug P. dann übergangslos mit der Faust ins Gesicht. Nachdem P. zu Boden gegangen war, stach S. ihm mit einem mitgeführten Küchenmesser seitlich zwei Mal tief in den linken Oberschenkel. Gleichzeitig lief der Angeklagte dem Geschädigten G. hinterher, ohne ihn jedoch einholen zu können. Ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Körperverletzungshandlung noch beim Geschädigten P. stand und diese wahrnahm oder ob er zu diesem Zeitpunkt bereits losgelaufen war, ließ sich nicht sicher feststellen. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass der Angeklagte wusste, dass der gesondert Verfolgte S. ein Messer bei sich führte und dies gegebenenfalls einzusetzen gedachte.
2. Die Jugendkammer hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Tatbegehung bei vorhandener Einsichtsfähigkeit aufgrund des zuvor genossenen Alkohols erheblich vermindert war.
Den Einsatz des Messers durch den gesondert Verfolgten S. hat das Landgericht als für den Angeklagten nicht vorhersehbaren Exzess gewertet. Im Hinblick auf das Niederschlagen des Geschädigten P. hat es eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB angenommen.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Dabei wird weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr schon das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung einer Körperverletzung (BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383, 386). Vorausgesetzt ist eine Beteiligung, durch die sich die Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation erhöht (Fischer, StGB, 64. Aufl., § 224 Rn. 11a).
Daran gemessen belegen die Feststellungen nicht die vom Landgericht angenommene Tatbeteiligung des Angeklagten. Ob der Angeklagte im Zeitpunkt der vom gesondert Verfolgten S. ausgeführten Körperverletzungshandlung noch beim Geschädigten P. stand und diese wahrgenommen hat oder zu diesem Zeitpunkt bereits losgelaufen war, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen (UA S. 5). Der Angeklagte war somit weder an der unmittelbaren Tatausführung beteiligt noch leistete er einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Mitwirkungsbeitrag.
b) Soweit das Landgericht die Annahme einer gemeinschaftlichen Begehung darauf stützt, dass eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Übereinkunft des Angeklagten mit dem gesondert Verfolgten S. bestanden habe, die Geschädigten zu verletzen, begegnet dieser Schluss durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar muss das Revisionsgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. Ebenso ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatgerichtlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings ist zu prüfen, ob die Überzeugung des Tatgerichts in den Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Diese müssen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe des Tatgerichts erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht nur eine bloße Vermutung darstellt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388).
Nach diesem Maßstab ist die Schlussfolgerung des Landgerichts nicht tragfähig begründet. Der von der Strafkammer aus dem Vortatgeschehen (gemeinsames Hinterherlaufen, Getrennthalten der Geschädigten, gemeinsame Provokationen, Verbleiben bei den Geschädigten nach deren Äußerung, nicht in die Nachtgaststätte zu gehen) gezogene Schluss auf eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Übereinkunft des Angeklagten und des gesondert Verfolgten S., einen der Geschädigten körperlich zu misshandeln, stellt eine bloße Vermutung dar, die eine für die Verurteilung notwendige Überzeugung nicht zu begründen vermag. Die Jugendkammer hat diese Schlussfolgerung rechtsfehlerhaft im Ergebnis als die einzig mögliche gewertet und dabei die Möglichkeit der bloßen Provokation und nicht tätlichen Streitigkeit unberücksichtigt gelassen, für die das Wegschlagen der Mütze vom Kopf des Geschädigten sprechen könnte.
2. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen sind die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht erfüllt; der Senat kann aber nicht ausschließen, dass - wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt - weitere, auch die Tatbestandsverwirklichung eines versuchten gemeinschaftlichen Raubes oder einer versuchten Erpressung belegende - Feststellungen möglich sind und verweist die Sache insoweit zu umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Da infolge der Abtrennung des Verfahrens gegen den gesondert Verfolgten S. die Voraussetzungen der besonderen Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr vorliegen, erfolgt die Zurückverweisung an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 495
Externe Fundstellen: NJW 2017, 1894; NStZ-RR 2017, 174
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede