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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 516

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 8/15, Beschluss v. 02.04.2015, HRRS 2015 Nr. 516


BGH AK 8/15 - Beschluss vom 2. April 2015

Fortdauer der Untersuchungshaft (dringender Tatverdacht; mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland; "ISIG").

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wurde am 24. September 2014 vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Düsseldorf vom 25. September 2014 (151 Gs 80 Js 795/14-1318/14). Nach Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 18. Dezember 2014 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 3. Februar 2015 den Haftbefehl des Amtsgerichts Düsseldorf aufgehoben und durch einen eigenen vom gleichen Tag (2 BGs 82/15) ersetzt. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 10. März 2015 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.

Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich von Ende Juli 2014 bis Ende August 2014 als Mitglied an der Organisation "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (im Folgenden: ISIG) und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:

aa) Die Vereinigung "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien"

Bei der Organisation "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (im Folgenden: ISIG) handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" zu errichten. Jeden, der sich seinen Ansprüchen entgegenstellt, begreift der ISIG als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel ihres Kampfes an.

Nachdem die Organisation zunächst auf Seiten der Gegner des syrischen Präsidenten Assad in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hatte, gelang es ihr, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. In der Folge zog sie sich weitgehend aus dem Bürgerkrieg zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr kontrollierten Gebieten, in denen sich Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des ISIG in Frage stellten, der Verhaftung, Folter und Hinrichtungen ausgesetzt sahen. So kam es unter der Führung des ISIG im August in der Provinz Latakia zu Massakern unter der alawitischen Zivilbevölkerung, die sich regierungstreu verhalten hatte; 190 Menschen starben dabei, weitere 200 wurden entführt. Nachdem die libanesische Hisbollah-Miliz für das Assad-Regime Partei ergriffen hatte, verübte der ISIG in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut ein Bombenattentat, bei dem vier Menschen getötet und 77 verletzt wurden. Daneben kam es zu mehreren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 und einem Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013. Anfang Juni nahm der ISIG die Stadt Mossul ein, die sich seitdem in seiner Gewalt befindet.

Die Organisationsstruktur des ISIG ähnelt der anderer terroristischer Vereinigungen: Dem Anführer ("Emir") - derzeit Abu Bakr al Baghdadi - unterstehen für einzelne Bereiche innerhalb der Organisation "Minister", etwa ein "Kriegs-" und ein "Propaganda-Minister". Die Führungsebene verfügt über "Shura-Räte" als Beratungsgremien. Innerhalb des kontrollierten Gebiets wachen "Gerichte" über die Einhaltung der Regeln der Sharia. Informationen über Operationen oder Anschlagsbekennungen werden von einer organisationseigenen Medienproduktionsstelle hergestellt und von einer eigens gegründeten Medienstelle veröffentlicht. Der ISIG verfügt über ein eigenes Logo. Die etwa 10.000 Kämpfer der Vereinigung unterstehen dem Kriegsminister und sind in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur aufgeteilt.

bb) Die Beteiligung des Angeschuldigten an der Vereinigung

Der Angeschuldigte, der sich Ende 2013 verstärkt mit islamistischem Gedankengut befasst hatte, fasste im Juli 2014 den Entschluss, seine Glaubensbrüder und -schwestern im syrischen Bürgerkrieg kämpfend zu unterstützen. Zu diesem Zweck flog er am 22. Juli 2014 in die Türkei und ließ sich von Schleusern nach Syrien bringen. Dort angekommen gliederte er sich in eine Unterabteilung des ISIG ein, ließ sich in einem Ausbildungslager unter anderem im Umgang mit Schusswaffen ausbilden und nahm sodann mehrfach an Kampfhandlungen teil.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung des ISIG ergeben sich insbesondere aus den Sachverständigengutachten der Islamwissenschaftler Dr. S. und A., aus Behördenzeugnissen und -erklärungen des Bundesnachrichtendienstes sowie aus den Auswertungen zu den zahlreichen Veröffentlichungen der Vereinigung, die in mehreren Vermerken des Bundeskriminalamtes niedergelegt sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Darstellung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift vom 10. März 2015.

bb) Der Angeschuldigte hinterließ seinen Eltern vor seiner Ausreise einen Abschiedsbrief, in dem er seine Motive - die von ihm empfundene Pflicht, in Syrien für seinen Glauben zu kämpfen - erläuterte; er werde sein Leben für Allah opfern.

Nach seiner Rückkehr gab der Angeschuldigte in mehreren polizeilichen Vernehmungen an, er habe zum ISIG hingehen und in Syrien kämpfen bzw. sich der "Daula Islamiyya" anschließen wollen; bei letzterem handelt es sich um eine in islamistischen Kreisen verbreitete Bezeichnung für den ISIG. Außerhalb der Beschuldigtenvernehmung gab der Angeschuldigte gegenüber einem Polizeibeamten zudem an, er habe auch eine Ausbildung in einem Lager des IS genossen; dies habe er zunächst nicht angegeben, um sich nicht selbst zu belasten.

Weitere Anhaltspunkte für den Besuch eines Ausbildungslagers, seiner Eingliederung in den ISIG sowie seine Teilnahme an Kampfhandlungen ergeben sich aus der Vernehmung von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld des Angeschuldigten, denen gegenüber er darüber berichtete, aus der Auswertung seiner WhatsApp-Kommunikation sowie derjenigen seines Mobiltelefons, auf dem Lichtbilder des Angeschuldigten in Kampfkleidung und mit Maschinengewehr bewaffnet gespeichert waren. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und in der Anklageschrift sowie die dort jeweils in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.

2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat. Die Teilnahme an Kampfhandlungen für eine Organisation stellt eine besonders schwerwiegende mitgliedschaftliche Betätigungshandlung für eine terroristische Vereinigung dar, da diese Handlungen gerade der Erreichung ihrer Ziele mit terroristischen Mitteln dienen sollten.

Deutsches Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeschuldigte Deutscher ist und - wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag - Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht werden.

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der ausländischen terroristischen Vereinigung ISIG, die deutsche Staatsangehörige sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, liegt seit dem 6. Januar 2014 vor.

3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Aus den fortgeltenden Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Dies gilt mit Blick auf das dargelegte Gewicht seiner Betätigungshandlungen auch vor dem Hintergrund des relativ kurzen Aufenthalts in Syrien.

4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Erst aus der Auswertung der in seinem Mobiltelefon gespeicherten Chat-Protokolle ergab sich der dringende Verdacht seiner Mitgliedschaft in der Organisation ISIG, der zur Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 18. Dezember 2014 führte. Dieser hat den Erlass eines neuen Haftbefehls beantragt, den der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 10. Februar 2015 erlassen hat. Zur Erlangung aktueller Strukturerkenntnisse betreffend den ISIG hat der Generalbundesanwalt ein weiteres Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. S. in Auftrag gegeben. Unter dem 10. März 2015 hat der Generalbundesanwalt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben. Die dort am 11. März 2015 eingegangene Anklageschrift, deren Zustellung die Vorsitzende des zuständigen Strafsenats noch am gleichen Tag verfügt hat, ist dem Angeschuldigten am 13. März 2015 zugestellt worden; die Erklärungsfrist gemäß § 201 Abs. 1 StPO läuft am 13. April 2015 ab; sodann soll über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und im Fall der Eröffnung noch im Juli 2015 mit der Hauptverhandlung begonnen werden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 516

Bearbeiter: Christian Becker