HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 515
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 7/15, Beschluss v. 26.03.2015, HRRS 2015 Nr. 515
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.
Die Angeschuldigten befinden sich ununterbrochen in Untersuchungshaft wie folgt: die Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. September 2014 seit diesem Tage; die Angeschuldigten Abd. W. und T. aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2014 seit dem 20. September 2014. Gegenstand der Haftbefehle gegen alle Angeschuldigten ist der Vorwurf, sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung Al Shabab beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Den Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. wird darüber hinaus vorgeworfen, tateinheitlich eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB). Der Generalbundesanwalt hat gegen die Angeschuldigten und den weiteren - sich nicht in Haft befindenden - Angeschuldigten D. unter dem 4. März 2015 Anklage zu dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben.
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor. Der Senat stützt seine Entscheidung allein auf die den Angeschuldigten in den Haftbefehlen vorgeworfene Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Im Einzelnen:
1. Den Angeschuldigten liegt im Sinne eines dringenden Tatverdachts Folgendes zur Last:
Die 2006 aus dem extremistischen Flügel der UIC (Union of Islamic Courts - Union Islamischer Gerichtshöfe) hervorgegangene Organisation Al Shabab, die viele Anhänger der islamistischen Gruppierung Al Ittihad Al Islamiya an sich binden konnte, propagiert den "Jihad" als einen Befreiungskampf gegen "Imperialisten" und "christliche Kreuzfahrer". Ihre primären Ziele sind die Vertreibung der in Somalia stationierten Truppen der African Union Mission (AMISOM), der Sturz der von dieser gestützten somalischen Regierung, die Errichtung eines Kalifats in Somalia und die dortige Einführung der Scharia. Schon 2009 hatte der frühere Führer von al Qaida, Usama bin Laden, die Kämpfer von Al Shabab zum weiteren "Jihad" aufgerufen und Somalia als einen Schauplatz des Kampfes zwischen dem Islam und den "internationalen Kreuzfahrern" bezeichnet. Seit Februar 2012 ist die Gruppierung Bestandteil des Netzwerks von al Qaida. Sie hat eine global-jihadistische Ausrichtung. Zur Erreichung ihrer Ziele kämpft die Vereinigung zum einen militärisch gegen Truppen benachbarter Staaten und Staatenverbände, die versuchen, die somalische Regierung zu stabilisieren. Zum anderen begeht sie regelmäßig Überfälle sowie Entführungen und verübt Anschläge sowie Selbstmordattentate innerhalb und außerhalb Somalias, darunter den Sprengstoffanschlag in Kampala (Uganda) im Juli 2010, bei dem mehr als 70 Menschen getötet und zahlreiche Personen, darunter ein Deutscher, verwundet wurden. Im Jahre 2013 bekannte sich die Vereinigung u.a. zu einem Überfall auf ein Einkaufszentrum in Nairobi (Kenia), bei dem mehr als 60 Besucher sowie Sicherheitskräfte starben. Auch im Jahre 2014 wurden bei von ihr zu verantwortenden Anschlägen mehr als 100 Personen getötet. Die Al Shabab ist wie andere islamistische Vereinigungen hierarchisch aufgebaut. Der an der Spitze stehende Emir Mahad Umar Abdalkarim wird von einem Vertreter, einem Pressesprecher sowie einem Konsultativrat (Shura) unterstützt; darunter bestehen verschiedene Komitees mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Die Organisation betreibt eine Medienstelle und - jedenfalls zeitweise - einen lokalen Fernsehsender.
Die Angeschuldigten, die sämtlich deutsche Staatsangehörige sind, entschlossen sich im Jahre 2012, nach Somalia zu reisen und sich dort der Al Shabab anzuschließen. Sie identifizierten sich mit der Ideologie, den Zielen und Handlungen der Organisation. Für den Fall, dass sie bei ihrem Einsatz für die Vereinigung sterben würden, fertigten sie Abschiedsbriefe oder ließen Abschiedsvideos aufnehmen.
Im April bzw. Mai 2012 reisten die Angeschuldigten A. W. und N. nach Somalia; im Oktober 2012 folgten ihnen die Angeschuldigten Ab. sowie Abd. W. und T. Die Angeschuldigten begaben sich in ein "Clearinghouse" der Al Shabab in Baraawe/Somalia, wo sie auf ihre körperliche und ideologische Eignung für die Aufnahme in die Organisation geprüft wurden. Anfang des Jahres 2013 legten zunächst die Angeschuldigten Abd. W. und T. den Treueeid auf den Emir der Al Shabab ab und absolvierten im Anschluss ein viermonatiges Trainingslager. Dabei wurden sie zur Teilnahme an Kampfhandlungen und zum Umgang mit Waffen ausgebildet. Danach versahen sie etwa fünf Monate lang einen paramilitärischen Dienst in einem Verteidigungsposten für die Organisation. Die Pressestelle der Al Shabab drehte von ihrem Einsatz ein Propaganda-Video, das im Internet veröffentlicht wurde. Nach krankheitsbedingter Verzögerung legten auch die Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. den Treueeid ab und begannen Mitte des Jahres 2013 ihre Ausbildung für den bewaffneten Kampf in einem Trainingslager. Nach deren Abschluss trafen sich alle fünf Angeschuldigten wieder. Zu Beginn des Jahres 2014 versahen die Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. für etwa vier Monate einen paramilitärischen Dienst als Kämpfer an der Front in der Region Jobuinka. Nach etwa einem Monat stieß der Angeschuldigte Abd. W. zu ihnen. Der Angeschuldigte T. war von Januar bis Mai 2014 als Kämpfer in einem Verteidigungsposten in der Nähe von Jilib tätig.
Da die Realität nicht ihren Vorstellungen entsprach, entschlossen sich alle fünf Angeschuldigten im Juli 2014, die Al Shabab und Somalia zu verlassen. Sie reisten nach Kenia und dort zunächst nach Nairobi. Von Kenia aus begaben sich die Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. am 6. September 2014 nach Frankfurt am Main, wo sie festgenommen wurden. Die Angeschuldigten Abd. W. und T. wurden am 29. August 2014 in Kenia festgenommen.
2. Der dringende Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO bezüglich der Vereinigung Al Shabab ergibt sich insbesondere aus den in mehreren Auswerteberichten des Bundeskriminalamts - zuletzt im September 2014 - zusammengefassten Erkenntnissen sowie dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 27. Juni 2013. Zu den Handlungen der Angeschuldigten haben sich die Angeschuldigten Abd. W. und T. in mehreren Vernehmungen umfangreich im Sinne des vorstehenden Sachverhalts eingelassen. Ihre Angaben werden bestätigt durch nachrichtendienstliche Erkenntnisse, Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung, die Bekundungen mehrerer Zeugen sowie das Ergebnis der Auswertung zahlreicher Asservate. Darunter befinden sich etwa Videodateien, welche die Angeschuldigten bei verschiedenen Verrichtungen, zum Beispiel dem Umgang mit Waffen, während ihrer Tätigkeiten für die Al Shabab zeigen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die ausführlichen Darlegungen in den Haftbefehlen sowie der Anklageschrift Bezug genommen.
3. Daher ist eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, dass die Angeschuldigten sich wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit der Vereinigung Al Shabab stehen, erteilt, soweit deutsche Staatsangehörige Täter oder Opfer sind.
Angesichts des dringenden Tatverdachts in dem aufgezeigten Umfang kann im Rahmen dieser Haftprüfung offen bleiben, ob die Angeschuldigten A. sowie Ab. W. und N. - wie ihnen in den Haftbefehlen vorgeworfen wird - mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB erfüllt haben und wie gegebenenfalls das Konkurrenzverhältnis zwischen dieser Strafvorschrift und den §§ 129a, 129b StGB zu beurteilen wäre.
4. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), wie dies in den Haftbefehlen zutreffend dargelegt worden ist, sowie der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Die von den Angeschuldigten zu erwartende Strafe übt einen hohen Fluchtanreiz aus. Ausreichend tragfähige soziale oder berufliche Bindungen im Inland, die geeignet sind, diesem Anreiz maßgeblich entgegen zu wirken, bestehen nicht. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Angeschuldigten, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen würden. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gemäß § 121 Abs. 1 StPO liegen vor. Das Verfahren ist mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Nach der Festnahme der Angeschuldigten waren u.a. zahlreiche Sachbeweismittel umfangreich auszuwerten. Dies betrifft vor allem eine Vielzahl von elektronischen Datenträgern. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse waren mit den Einlassungen der Angeschuldigten Abd. W. und T. abzugleichen. Der Generalbundesanwalt hat gleichwohl bereits Anklage erhoben.
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen die Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der diese Entscheidung trägt, und der hierfür zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 515
Bearbeiter: Christian Becker