HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 344
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 1/15, Beschluss v. 19.02.2015, HRRS 2015 Nr. 344
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.
Der Angeschuldigte, der neben der türkischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist aufgrund des Haftbefehls des Jugendrichters des Amtsgerichts München I vom 25. Juli 2014 - 1012 Gs 964/14 jug. - am selben Tag festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Nach Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 3. November 2014 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 5. Dezember 2014 den Haftbefehl des Amtsgerichts München aufgehoben und durch einen eigenen vom gleichen Tag (2 BGs 589/14) ersetzt. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 5. Februar 2015 vor dem Oberlandesgericht München Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.
Nachdem dem Angeschuldigten durch das Amtsgericht München die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB zur Last gelegt worden war, ist Gegenstand des Haftbefehls nunmehr der Vorwurf, er habe sich von Ende März 2014 bis Juli 2014 - bis zum 23. Mai 2014 als Heranwachsender - als Mitglied an der "Jabhat al Nusra Li Ahli Sham" und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 1, 105 JGG).
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
aa) Die Vereinigung "Jabhat al Nusra Li Ahli Sham"
Bei der Organisation "Jabhat alNusra LiAhli Sham" (im Folgenden: JaN), die im Januar 2012 durch die Veröffentlichung eines Videos im Internet ihre Gründung bekannt gab, handelt es sich um eine Vereinigung, die - wie andere Gruppierungen in der Region auch - geleitet von radikal religiösen Anschauungen das Ziel verfolgt, die Regierung des syrischen Machthabers Baschar alAssad zu stürzen und einen "Gottesstaat" unter der Geltung der Scharia zu gründen. Dabei nimmt die JaN auch in Kauf, dass Zivilisten Opfer ihrer Anschläge werden.
Anführer der JaN ist der bereits in dem Gründungsvideo als Generalverantwortlicher vorgestellte Al Fatih Abu Muhammad al Julani, der sich in der Folgezeit in mehreren Audiobotschaften zu Wort meldete. Aus diesen geht hervor, dass Führungsentscheidungen innerhalb der JaN für die Mitglieder verbindlich sind; Entscheidungen werden zudem von einem "Shura Rat" getroffen. Aus ebenfalls im Internet veröffentlichten weiteren Videobotschaften geht zudem hervor, dass sich immer wieder neue Kämpfer der JaN anschließen und al Julani ihre Treue schwören. Die Organisation, deren Mitgliederzahl auf 5.000 bis 15.000 geschätzt wird, verfügt über eine zentrale Medienstelle (Al Manara Al Baida), die mit professioneller Medienarbeit die Kommunikation nach außen übernimmt. All dies zeigt, dass die Vereinigung über verfestigte Organisationsstrukturen verfügt und ihre Mitglieder sich bei Unterordnung ihrer Einzelinteressen unter den Gruppenwillen als einheitlicher Verband fühlen und gemeinsam die Zwecke der Vereinigung verfolgen.
Diese Zwecke sind auf die Begehung von Mord und Totschlag gerichtet, wie die zahlreichen seit dem Jahr 2012 verübten, im Einzelnen im Haftbefehl aufgeführten Anschläge belegen, zu deren Begehung sich die Vereinigung durch Videoverlautbarungen und andere, von ihrer Medienstelle verbreitete Veröffentlichungen bekannte. Dabei wurden nicht nur Soldaten der syrischen Armee, sondern immer wieder auch Polizisten und Mitarbeiter anderer Sicherheitsdienste, ein staatlicher Fernsehsender und ein Krankenhaus - überwiegend durch Sprengstoffanschläge - angegriffen.
bb) Die Beteiligung des Angeschuldigten an der Vereinigung
Der Angeschuldigte, der sich binnen weniger Monate durch Besuche in einer somalischen Moschee in München und über das Internet religiös radikalisiert hatte, fasste Mitte März 2014 den Entschluss, im "Jihad" als "Märtyrer" zu sterben, und reiste zu diesem Zweck Ende März 2014 über die Türkei - wo er vereinbarungsgemäß mit dem gesondert Verfolgten Harun K. zusammentraf - nach Syrien aus. K. hatte Kontakt zu einem Mittelsmann aufgenommen und teilte dem Angeschuldigten noch in der Türkei mit, dass sie zur "Jahbat al Nusra" gehen würden. Damit war der Angeschuldigte einverstanden.
Nach der Ankunft in Syrien wurde der Angeschuldigte zunächst in einem zur JaN gehörenden Wohnhaus mit anderen Personen aus Deutschland und Österreich untergebracht. Von dort wurde er zu einem Ausbildungslager gebracht, in dem man ihn in Taktik, Religion, im Umgang mit Waffen und in der Begehung von Anschlägen unterwies; zudem wurde er körperlich trainiert. Anschließend wurde er wieder in die "deutsche Villa" zurückverlegt, wo er jedenfalls Wachdienste übernahm.
Am 9. Juli 2014 verließ der Angeschuldigte, der bis zum 23. Mai 2014 zwanzig Jahre alt und somit Heranwachsender im Sinne der §§ 1, 105 JGG war, Syrien und reiste in die Türkei. Von dort flog er am 25. Juli 2014 nach Deutschland zurück und wurde noch am Flughafen München festgenommen.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung der JaN ergeben sich im Wesentlichen aus dem Sachverständigengutachten des Islamwissenschaftlers Dr. S. sowie aus den Auswertungen zu den zahlreichen Internetveröffentlichungen der Vereinigung, die in mehreren Vermerken des Bundeskriminalamtes niedergelegt sind.
Der Angeschuldigte hat - nach seiner Verhaftung auf der Grundlage des Haftbefehls des Amtsgerichts München - in seiner Beschuldigtenvernehmung am 15. Oktober 2014 seinen Anschluss an die JaN sowie seine Teilnahme an der beschriebenen Ausbildung eingeräumt. Zu dem Zeitraum nach seiner Rückkehr aus dem Ausbildungslager bis zu seiner Abreise aus Syrien hat er keine detaillierten Angaben gemacht. Jedoch hat die Auswertung der von ihm genutzten Facebook-Accounts ergeben, dass er in Syrien unter anderem mit Waffen posierte, die - so seine Einlassung - denjenigen übergeben werden, die den Wachdienst zu leisten haben. Diese Fotos stammen aus der Zeit nach seiner Rückkehr aus dem Ausbildungslager.
Über seinen Facebook-Account teilte der Angeschuldigte seiner Schwester schon Anfang April mit, dass er im Namen Allahs in den "Jihad" ziehe, zunächst aber eine Ausbildung bekommen solle. In Telefonaten zwischen dem Angeschuldigten und Familienangehörigen sprechen die Gesprächsteilnehmer darüber, dass sich der Angeschuldigte im Umgang mit Waffen unterrichten ließ, um als Kämpfer am gewaltsamen "Jihad" teilzunehmen und den "Märtyrertod" zu sterben.
2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat, wobei er bis zum 23. Mai 2014 als Heranwachsender handelte (§§ 1, 105 JGG).
Deutsches Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeschuldigte Deutscher ist und - wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner staatlichen Strafgewalt unterlag - Personenzusammenschlüsse, die sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht werden.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jabhat al Nusra", soweit sie unter anderem deutsche Staatsangehörige sind, liegt seit dem 15. Juli 2014 vor.
3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Aus den fortgeltenden Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.
4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Erst aus der Einlassung des Angeschuldigten am 15. Oktober 2014 ergab sich erstmals der dringende Verdacht seiner Mitgliedschaft in der JaN, der zur Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 3. November 2014 führte. Dieser hat unverzüglich am 17. November 2014 den Erlass eines neuen Haftbefehls beantragt, den der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 5. Dezember 2014 erlassen und dem Angeschuldigten zeitnah am 12. Dezember 2014 eröffnet hat. Das mit den Ermittlungen befasste Bayrische Landeskriminalamt hat am 14. Dezember 2014 seinen Abschlussbericht zu dem Angeschuldigten vorgelegt. Parallel dazu hat der Generalbundesanwalt aktuelle Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes zur JaN eingeholt, die am 9. und 22. Dezember 2014 bei ihm eingingen. Das in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen Dr. S. zur JaN gelangte am 11. Dezember 2014 zur Akte. Zwischenzeitlich hat der Generalbundesanwalt die Sachakten zusammengestellt und unter dem 5. Februar 2015 vor dem Oberlandesgericht München Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 344
Bearbeiter: Christian Becker