HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 70
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 559/15, Beschluss v. 25.08.2016, HRRS 2017 Nr. 70
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 13. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte die Angeklagten mit Urteil vom 12. Juni 2013 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Diebstahl in sieben rechtlich selbständigen Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen Mordes erstrebte, hatte der Senat diese Entscheidung hinsichtlich der Verurteilung wegen des Tötungsdelikts sowie in den Gesamtstraf- und Maßregelaussprüchen aufgehoben. Nunmehr hat das Landgericht insoweit wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt, den Angeklagten D. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und den Angeklagten B. zu sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Angeklagten haben Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verließen die Angeklagten, die beide im Laufe des vorangegangenen Abends Amphetamin und Alkohol zu sich genommen hatten, am 1. Dezember 2012 morgens nach 4.00 Uhr, eine Diskothek in W. und fuhren mit dem Kraftfahrzeug des Angeklagten B. zur Wohnung der Ex-Freundin des Angeklagten D., mit der es in der Diskothek zu Spannungen gekommen war. Sein Versuch, in ihre Wohnung zu gelangen, scheiterte. Daraufhin kontrollierten die Angeklagten die Türgriffe in der Nähe abgestellter Fahrzeuge, um daraus eventuell Gegenstände zu entwenden. In diesem Augenblick näherte sich der Nebenkläger Z., der dies bemerkte, sie aufforderte, dies zu unterlassen und ihr Tun mit den Worten „Ihr seid ja Helden“ kommentierte. Diese Zurechtweisung durch einen Unbeteiligten nahm der Angeklagte D. als willkommenen Anlass, sich abzureagieren und gleichzeitig seinen Ruf als aggressiven Zeitgenossen unter Beweis zu stellen. Er beleidigte den Nebenkläger, nannte ihn unter anderem einen schwulen Hund. Der Nebenkläger wollte sich diese Verbalattacken nicht gefallen lassen und steuerte auf D. zu, um ihm Paroli zu bieten. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Nebenkläger äußerte, D. in zwei Stücke zerreißen zu können oder zu wollen. Vom Beginn einer tätlichen Auseinandersetzung sah der Angeklagte D. zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die kräftige Statur seines Gegenübers noch ab. Dem Nebenkläger wurde es schließlich zuviel, er wandte sich ab, ohne sich noch einmal umzudrehen. Für ihn war, obwohl ihm D. Verschiedenes nachrief, die Auseinandersetzung beendet.
Der über die Zurechtweisung erzürnte D. fasste den Entschluss, den Nebenkläger Z. für sein unbotmäßiges Verhalten zu bestrafen.
Der Angeklagte D. ging daraufhin an den Kofferraum des PKW und entnahm ihm einen dort von den beiden Angeklagten für den Fall einer körperlichen Auseinandersetzung deponierten Baseballschläger und versicherte sich der Gefolgschaft des bis dahin untätigen Angeklagten B. Dieser sagte seine Gefolgschaft zu, weil er sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen wollte, hinter D. zurückzustehen bzw. ihn nicht unterstützt zu haben.
Im Bewusstsein, seinem Gegner auf diese Weise auf alle Fälle überlegen zu sein, nahm der Angeklagte D. mit B. im Schlepptau gegen 4.40 Uhr die Verfolgung des sich entfernenden Nebenklägers Z. auf, wobei B. klar war, dass D. Z. mit dem Baseballschläger misshandeln und womöglich damit auch gegen dessen Kopf schlagen werde. Das nahm er billigend in Kauf. D. schlug mit dem Baseballschläger auf den Boden, um seinem Unmut über den Nebenkläger freien Lauf zu lassen und sich selbst weiter anzustacheln. Dabei brach der Keulenkopf vom Griffstück des Schlägers ab. Z. maß diesem Imponiergehabe, so er es denn überhaupt mitbekam, keine Bedeutung bei und setzte seinen Weg fort. Beide Angeklagten erkannten, dass der Nebenkläger die Auseinandersetzung für beendet erachtete und waren sich deshalb bewusst, dass bei einem Angriff von hinten die Ausweich- und Verteidigungsmöglichkeiten des Tatopfers durch seine bestehende Ahnungslosigkeit stark herabgesetzt waren.
In diesem Bewusstsein näherte sich der Angeklagte D., der den Keulenkopf des Schlägers in der Hand trug, dem Nebenkläger von hinten. Er trat dem immer noch ahnungslosen Nebenkläger von hinten in die Beine und schlug ihm, um erst gar keinen Widerstand aufkommen zu lassen, gleichzeitig mit dem Keulenkopf auf den Schädel, worauf dieser das Bewusstsein verlor, zu Boden ging und sich durch den ungebremsten Aufprall den rechten Oberschenkelhals brach. Es folgten drei weitere Schläge von D. auf den Kopf des Tatopfers, B. schlug mit der linken Faust zu und traf das linke Auge, wodurch es zu einem Orbitabruch kam. Infolge der mit dem Baseballschlägerkopf ausgeführten Schläge erlitt der Nebenkläger Platzwunden sowie eine Einreißung an der linken Ohrmuschel. Im Bewusstsein, dem bewusstlosen Tatopfer möglicherweise auch tödliche Verletzungen beigebracht zu haben, ließen die Angeklagten von ihm ab; es wurde kurze Zeit später von Passanten gefunden, die Rettungskräfte alarmierten.
2. Das Landgericht hat die Angeklagten im Hinblick auf dieses Geschehen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Hinsichtlich beider Angeklagten ist es von einem heimtückischen Vorgehen im Sinne von § 211 StGB ausgegangen, beim Angeklagten D. hat es zudem niedrige Beweggründe festgestellt. B. hat die Strafkammer aufgrund einer „Gesamtschau“ als Mittäter angesehen.
Die Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte B. habe als Mittäter eines versuchten Mordes gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die insoweit von der Strafkammer vorgenommene Gesamtschau, die in die Feststellung mündet, B. habe zumindest konkludent zugesagt, sich aktiv an der Misshandlung des Nebenklägers durch den Mitangeklagten D. zu beteiligen, und habe diese Zusage auch eingelöst, ist lückenhaft und lässt durchgreifende Zweifel aufkommen, ob es eine solche Zusage gegeben hat und ob - sollte es eine entsprechende „Gefolgschaft“ des Angeklagten B. gegeben haben - dies die Annahme mittäterschaftlichen Handelns trägt.
Das Landgericht folgert die Annahme einer Übereinkunft (im Vorfeld des eigentlichen Tatgeschehens) im Wesentlichen aus einem „symbiosehaft anmutenden Verhältnis der Angeklagten im Zeitraum vor der Tat“ und dem sich daraus ergebenden Tatmotiv des Angeklagten B., der mit D. solidarisch gewesen sei und ihn deshalb unterstützt habe. Diese Würdigung greift zu kurz. Der Angeklagte B. hatte sich während der gesamten vorangegangenen Auseinandersetzung des Angeklagten D. mit dem Nebenkläger herausgehalten, er war „untätig“ geblieben, hatte sich also nicht an dem verbalen Schlagabtausch mit dem Nebenkläger beteiligt. Warum sich B. nunmehr entschlossen haben soll, seine vorherige Zurückhaltung aufzugeben und sich an der folgenden körperlichen Attacke gegen den Nebenkläger zu beteiligen, obwohl sich insoweit an der Motivlage des Angeklagten nichts verändert hatte, hätte insoweit näherer Erörterung bedurft. Dass er dem Angeklagten D. womöglich regelmäßig „hinterher dackelt“, wie das Landgericht feststellt, besagt in diesem Zusammenhang noch nichts darüber, ob darin die Zusage einer Unterstützung des Angeklagten D. bei dessen nachfolgenden Totschlagshandlungen zum Nachteil des Zeugen Z. zu sehen ist. Soweit die Strafkammer im Übrigen die Feststellung solidarischen Verhaltens des Angeklagten B. als Tatmotiv aus der vorangegangenen Zurückhaltung bei der verbalen Auseinandersetzung und der anschließenden Aufnahme der Verfolgung des Zeugen Z. folgert, erweist sich dies als zirkelschlüssig; dass er den Angeklagten D. unterstützt hat, wird auch daraus abgeleitet, dass er einen Tatbeitrag zur Misshandlung des Tatopfers beigesteuert hat.
Selbst wenn man aber - wie das Landgericht - davon ausginge, dass in der Aufnahme der Verfolgung die Zusage einer Hilfeleistung liege, würde daraus nicht zwangsläufig die Annahme mittäterschaftlicher Begehung zu folgern sein. Insoweit wäre es erforderlich gewesen, anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme vorzunehmen und darzulegen, dass - obwohl B. nach den jetzt getroffenen Feststellungen kein eigenes Tatinteresse verfolgte und (wohl) auch keine Tatherrschaft hatte - gleichwohl als Täter anzusehen ist.
Dieser Rechtsfehler führt hinsichtlich des Angeklagten B. ohne Weiteres zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände zu einer für den Angeklagten günstigeren Entscheidung geführt hätte. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass B. nach den landgerichtlichen Feststellungen dem Nebenkläger in Kenntnis der vorangegangenen Schläge des D. gegen dessen Kopf einen Faustschlag versetzt hat. Darin könnte zwar eine sukzessive Tatbeteiligung des B. zu sehen sein, die auch zur Zurechnung des vorangegangenen Verhaltens des D. führen könnte. Auch insoweit aber wäre zu erörtern gewesen, ob dies die Annahme täterschaftlichen Handelns tragen könnte.
2. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen versuchten Mordes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat das Vorliegen von Mordmerkmalen nicht hinreichend dargetan.
a) Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zu Unrecht ist die Strafkammer vom Vorliegen eines Ausnutzungsbewusstseins beim objektiv heimtückischen Angriff gegen das Tatopfer ausgegangen. Das Landgericht ist zwar nachvollziehbar davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Aufschlagens des Baseballschlägers auf den Boden zumindest die subjektive Komponente des bewussten Ausnutzens einer möglichen Arg- und Wehrlosigkeit nicht gegeben war. Denn es war damit zu rechnen, dass der Nebenkläger dieses Geräusch wahrnehmen und damit auch seine denkbare Arglosigkeit entfallen würde. Die weitere Annahme der Strafkammer, er habe in der Folge sein mit dem Aufschlagen verbundenes Imponiergehabe aufgegeben, und der ersichtlich aus der fehlenden Reaktion des Nebenklägers gezogene Schluss, der Angeklagte D. habe sich nunmehr den in der Ahnungslosigkeit des Tatopfers liegenden Vorteil zur Tatbegehung zunutze gemacht, beruhen auf einer unzulänglichen Beweiswürdigung, die der Entwicklung des Tatgeschehens nicht hinreichend Rechnung trägt. Unberücksichtigt bleibt zunächst, dass nicht etwa der Angeklagte bewusst eine Situation herbeiführt, in der er die Möglichkeit hat, auf das arg- und wehrlose Opfer einzuschlagen, er vielmehr - wenn auch mit „Bewaffnung“ - eine offene Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger sucht. Prägend für die Tatsituation - und insoweit besonders zu würdigen - ist der Umstand, dass der Nebenkläger unbeirrt seines Weges geht und sich erst daraus die Möglichkeit eines Angriffs gegen ein möglicherweise arg- und wehrloses Opfer ergibt. Dafür, dass dies der Angeklagte im Zuge der Zurücklegung des Weges bis zum Überfall tatsächlich erkannt und sich zunutze gemacht haben könnte, fehlen tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte. Die Strafkammer stellt nur fest, es habe insoweit ausreichend Zeit bestanden zu bemerken, dass der Nebenkläger das Aufschlaggeräusch entweder nicht gehört oder ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt habe (UA S. 57). Ob der Angeklagte D. es aber tatsächlich beobachtet hat, wird nicht dargetan. Es wird auch nicht weiter erörtert, von welcher Alternative der Angeklagte ausgegangen sein könnte. Hätte er aus der fehlenden Reaktion des Nebenklägers lediglich den nicht ganz fernliegenden Schluss gezogen, der Nebenkläger ignoriere - wie schon zuvor, als er diesem Verschiedenes nachgerufen hatte, ohne dass dieser darauf reagierte - die wahrgenommenen Geräusche, könnte dies - anders als in der Konstellation, wonach der Nebenkläger in der Vorstellung des Angeklagten das Geräusch überhaupt nicht wahrgenommen hat - darauf hindeuten, er sei schon gar nicht von einer Arglosigkeit des Tatopfers ausgegangen, habe sich jedenfalls die Wehrlosigkeit des Opfers nicht bewusst zunutze gemacht.
b) Auch die Annahme niedriger Beweggründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ihr liegt eine unvollständige Gesamtwürdigung zugrunde, die für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht lässt. Die Strafkammer berücksichtigt zwar im Ausgangspunkt die Vorgeschichte, die der eigentlichen Tat vorangeht, und nimmt dabei auch die Verantwortung des Nebenklägers für die Konflikteskalation in den Blick (UA S. 62 f.). Sie erfasst dieses Geschehen aber nicht vollständig in seiner für das Mordmerkmal relevanten Bedeutung. Nicht unberücksichtigt bleiben darf der Umstand, dass es schließlich zu einem Wortgefecht zwischen dem Angeklagten D. und dem Nebenkläger gekommen ist, das ersichtlich nichts oder nur noch wenig mit seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, der berechtigten Zurechtweisung durch den Zeugen Z., zu tun hatte. Wechselseitige Beleidigungen und schließlich auch die Äußerung des Nebenklägers, D. in zwei Stücke zerreißen zu können oder zu wollen, sind Gesichtspunkte, die bei der anzustellenden Gesamtwürdigung einzubeziehen gewesen wären.
Auf dieser mangelhaften Würdigung beruht die angefochtene Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei fehlerfreier Prüfung das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint worden wäre.
c) Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, auch hinsichtlich der an sich rechtsfehlerfrei festgestellten tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 70
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede